10. SANKT MARTIN

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„Liebe Jungs, ich bin froh, euch heute zum allmorgendlichen Training begrüßen zu dürfen. Es freut mich natürlich ebenso sehr, dass ihr so zahlreich erschienen seid, obwohl gestern der Sankt Martins Umzug stattgefunden hat und der kann, wie wir wissen, auch ab und zu mal ausarten!" Filip hatte die letzten Wirte kaum ausgesprochen, musste er kichern und schwelgte nebenbei in feucht-fröhlichen Erinnerungen an frühere Umzüge. In Kiel war es Usus, beim Sankt Martins Umzug zuerst den Kindern und deren Liedern den Vortritt zu lassen, doch kaum war der offizielle Teil des Abends erledigt, übernahmen die Väter den Befehl.
Die Mütter wussten bereits, was auf sie zukommen würde, weswegen sie voller Fremdscham ihre Kinder packten und nach Hause eilten. Dieser Selbstentwürdigung wollten sie keinesfalls beiwohnen.
„Wisst ihr noch, letztes Jahr, als ich den Wet-Tshirt-Contest gewonnen habe? I was shook to the core! Wortwörtlich!", Domagoji riss Filip kurz aus seinen Gedanken, doch sofort flimmerten wieder Bilder dieser ikonischen Nacht vor sein Auge. Domagoji und sein dunkles Brusthaar, welches sanft durch sein nasses Oberteil hindurchschimmerte. Er hatte sich damals den ersten Platz aber auch wirklich verdient, immerhin lagen die Temperaturen nur knapp über null Grad.
„Domagoji, das war stark letztes Jahr, aber trotzdem solltest du die Trainingshalle nun nicht für Lobhudeleien in deine Richtung missbrauchen, immerhin wurde dir dein Titel erfolgreich streitig gemacht! Olympiasieger ist man für immer, der Wet-Tshirt-Titel wird jedes Jahr neu ausgekämpft", intervenierte Hendrik entschieden - und das aus gutem Grunde. Immerhin war er der neue Titelträger!
Filip war überwältigt von der Situation. Selten geriet die Stimmung innerhalb der Mannschaft derart aus dem Ruder und er musste dringend dieses Fahrwasser, in welches das Team Gefahr lief zu geraten, stoppen!
„Jetzt mal Stop!", sprach er Tacheles „Hendrik zügle deinen Ton und Domagoji, zeig dich als fairer Verlierer. Henni war gestern unschlagbar. Das muss man anerkennen."
„Also, weiter im Text: Schön, dass ihr da seid, Miha hat sich für heute entschuldigt. Ihn hat es anscheinend ziemlich mitgenommen, dass er als erster rausgewählt wurde..." Zum Ende hin brach Filips Stimme und er blickte bedrückt zu Boden. Es waren schlimme Bilder gewesen, die er gestern mitansehen musste: Alle seine Jungs standen in Reih und Glied da, jeder war mit einem klitschnassen weißen T-Shirt bekleidet und stand breitgrinsend auf der Bühne. Bühne war zu viel Gesagt, die kleine Erhöhung, welche so charakteristisch für einen Bürgersteig war, musste als Bühne dienen. Filip stand vor ihnen, neben ihm war Viktor und Christian. Sie alle durften nach und nach einen ihrer Schützlinge rauswählen. Entscheidend für das Votum war die Pose, die alle gleich umsetzen sollten.
„Bei Miha fehlt mir ein wenig die Fierceness...", flüsterte Viktor nach 20 Minuten der stillen Betrachtung Filip ins Ohr. Von Christian kam ein zustimmendes Nicken. Der Cheftrainer wollte Miha nicht als erstes den Laufpass geben, doch er wusste, er war bereits überstimmt und Mihas Schicksal damit besiegelt.
„Okay, wer sagt's ihm?", berieten sich die drei und nach weiterer zehnminütiger Diskussion trat Christian den Walk-Of-Shame an und nahm Miha, der mittlerweile zitterte wie Espenlaub, an der Hand und zog ihn sanft von der Bühne... Miha ging sofort nach Hause, er wollte sich nicht weiter am Ort seiner Entwürdigung aufhalten.
„Ja, das war echt sad gestern", pflichtete Rune seinem Trainer bei. Filip wischte sich eine letzte Träne aus dem Gesicht, stützte die Hände in die Hüften, atmete einmal tief ein und aus und verdrängte die Bilder aus seinem Kopf - vergessen konnte er sie noch nicht.
„Also, wir spielen heut zum Aufwärmen Reise nach Jerusalem!", verkündete er und ein verhaltener Jubel schallte ihm entgegen. Keiner von den Jungs mochte diese mentale Belastung, die auf allen lag, während die Musik lief. Man wusste nie, wann sie abrupt stoppen würde.
„Komm, schaffen wir diesmal ohne Gähnen", motivierte Steffen seinen Kumpel Harry und klopfte ihm wohlwollend auf den Rücken.
„Okay... schaff ich!", sprach sich Harry auch selbst Mut zu und ging nervös auf den Stuhlkreis zu.

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⏰ Last updated: Jan 23, 2023 ⏰

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HANDBALL ONE SHOTS (failfiction)Where stories live. Discover now