Kampf der Emotionen

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Bens Blickwinkel:

Doktor Lipp nachblickend, war ich nunmehr zerrissen, welchen Schritt ich als nächstes nehmen sollte. Sicherlich wäre es intendiert und nachvollziehbar, dass ich auf dem direkten Weg zum Bett meiner Frau eilen würde, doch da war dieses innere Gefühl, eine Art Stimme, welche einen zwischenzeitlich in den Handlungen steuerte, obwohl man dessen Herkunft vielmehr gar nicht beschreiben konnte, sie ließ mich augenblicklich hier vor dem OP-Bereich verharren. Darum bittend, ja sogar flehend, noch einige kleine Momente der Stille aufzusaugen, ehedem im Folgenden so einiges der Realität zurück auf mich zuströmen würde. Sicherlich den wichtigsten Kampf, den führte derzeitig meine Leyla! Einen, den sie um nichts in der Welt für etwas Umgebendes und vor allem weniger Wichtiges unterbrechen sollte. Doch demnach war es meine Last das Umschließende so weit aufrecht zu erhalten, sodass sie eben möglichst ungestört gesunden konnte. Das hieß, die Familie irgendwie aufrecht zu erhalten. Eine Mammutaufgabe. 

Da waren noch einige Gespräche, die sich für die kommenden Stunden aufdrängten, doch vielmehr sollte ich wohl überhaupt damit beginnen, einen Schritt weiterzugehen. Demnach war mein kommender Instinkt, derjenige, dass ich mich auf die Suche nach Zoe machen würde. Diese war vor einiger Zeit aus dem Aufenthaltsbereich des OP-Traktes entschwunden, sodass sie mit Navid telefonieren konnte, der irgendetwas bezüglich der Zwillinge in Erfahrung bringen wollte. Hinaus in den offenen Flur tretend, wurde ich auch ohne größere Umschweife mit dieser nächsten komplexen Situation konfrontiert, da Zoe, die ich eigentlich aufspüren wollte, nunmehr direktiv vor mir stand.

Wie viel sollte und konnte ich ihr zumuten, von dem, was Doktor Lipp mir zuvor erklärt hatte? Sicherlich würde das in diesem Moment vorerst nur der notdürftige Informationsrahmen sein. Überall die möglichen nachfolgenden Komplikationen oder potenziellen Schäden, die bis hierhin entstanden sein könnten, sollte sie sich vorerst keine Gedanken machen. Da gab ich der Kollegin vollkommen recht, für den jetzigen Augenblick zählte allein, dass Leyla noch bei uns war. Sie kämpft hier auf der ITS, um ihr Leben, darum, dass sie auch weiter für unsere Familie da sein kann.

Sorgenvoll betrachtete die große-kleine Sherbaz mich, ihre Augen suchend nach dem Umstand, der mich hinaus aus dem Wartebereich gebracht hatte, sodass ich nicht mehr in meiner vorherigen Position harrte. „Ben, ist etwas passiert? Hast du was von deiner Kollegin, die Mama operiert, gehört?", kam es holprig über ihre Lippen, die derweil einen minimalen Tremor entwickelt hatten. Weitere Tränen würde ich sicherlich nicht ertragen können, sonst würde das Kartenhaus meiner Emotionen endgültig in sich zusammenfallen, demnach schloss ich die wenigen Schritte zwischen uns und zog die Große fest in meine Arme, ehedem ich zu erklären begann: „Die OP ist beendet. Deine Mutter wird in diesem Moment hinauf auf die Überwachungsstation gebracht. Momentan ist sie noch sediert, aber wir können dennoch zu ihr." Kam es schlussendlich vielmehr flüsternd und stockend über meine Lippen, als ich es gewollt hätte. Diese verdammten Gefühle in mir bauten sich immer größer und bedrohlicher auf. Schließlich wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mich final übermannen würden. 

Räuspernd, löste sich mein Gegenüber nach einigen Augenblicken aus meiner Umarmung, ehedem sie die echten, dringlichen Fragen in den Raum stellte: „Warum stehen wir denn noch hier rum, statt bei Mama zu sein? Zudem... Konnte Doktor Lipp dir bereits eine Prognose geben? Also wann Mama aufwachen wird und ob sie wohlmöglich irgendwelche Folgeschäden erlitten hat, weil das alles nicht ganz so ohne Vorkommnisse und Unterbrechungen über die Bühne gegangen ist, wie es vielmehr hätte sein sollen?! Irgendwie sagt mir mein Herz nämlich, dass wir noch nicht über den höchsten Berge gekommen sind...". Sie spürte also auch diesen weiteren stetigen Druck auf der Brust als. Auch wenn es beruhigend war, dass ich dies nicht nur allein wahrnahm, so erschwerte es mir auch einiges mehr. Raya gegenüber hätte ich nicht mit der vollkommenden Wahrheit reagieren müssen. Die kleine Maus war schließlich einfach viel zu jung, um das vollständige Maß des ganzen zu greifen. Für sie würde nur zählen, dass Mama ganz schnell auf die Beine und zurück nach Deutschland kam. Alles andere waren Nebensächlichkeiten. Zoe hingegen war volljährig, hatte schon vieles an Höhen und Tiefen des Lebens ertragen müssen, hier würde eine vollkommen ausweichende Erwiderung gewiss eher gegenteilige Effekte erzielen. 

Der trügerische ScheinWhere stories live. Discover now