19 - [Telefonat]

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Immer wieder schweifte mein Blick auf das Haustelefon, welches auf dem Wohnstubentisch lag. Immer wieder las ich mir die Nummer auf meinem Handy durch. Immer wieder wandte ich meinen Blick ab und schaltete mein Handy aus. Immer wieder, ununterbrochen.

Es kostete mich all mein Mut, um von der Couch zum Telefon zu laufen. Nervös tippte ich die Zahlen ein.

Ein Summen ertönte. Es klingelte.

Pausenlos biss ich auf meine Unterlippe herum, kaute meine Fingernägel an und kratzte mir an mehreren Stellen die Haut auf.

Nervosität und Besorgnis konnte man das nicht mehr nennen, es war die pure Angst gewesen, welche mich verfolgte.

,,Ja?" Ertönte eine raue Stimme von der anderen Seite des Hörers.
,,Hallo, hier ist Aspen, eine Mitschülerin von Quinn" Ich sprach so schnell, dass ich mich fast an meinen eigenen Worte verschluckte.
,,Aspen... Die Tochter der Harringtons?" Fragte die Frau.
,,Genau"

Widerlich begann sie sich zu räuspern. Wahrscheinlich eine Zigarette zu viel geraucht, dachte ich mir heimlich.
,,Du bist doch das Mädchen, dass Quinn besuchen war" Sie besaß einen merkwürdig Unterton. Er klang so bedrohlich.

,,Ja" Das Gespräch zog sich viel zu lang mit der Mutter.
,,Ist sie wieder nicht in der Schule gewesen?" Sprach sie nun wütend.
,,Nein, nein. Quinn war da" Log ich panisch.

,,Und was willst du dann?" Fragte ihre Mutter desinteressiert.
,,Ich möchte mit ihrer Tochter reden"
,,Warum?" Entgegnete sie mir skeptisch.

Ich konnte mir schon vorstellen, wie sie mit verschrängten Armen, den Hörer hielt.
,,Es geht um ein gemeinsames Schulprojekt" Log Ich erneut.

Nichts, sie schwieg. Panik stieg in mir auf. Tausende von Gedanken schossen mir durch den Kopf. Hatte sie es schon getan? War Quinn vielleicht einfach nur nicht zu Hause gewesen? Rief ich zu spät an?

Ich spürte, wie mein Herz immer schneller schlug.
,,Quinn, Telefon!" Schallte plötzlich durch meine Ohren. Die Frau hatte wirklich in den Hörer geschrien.

Es vergingen vielleicht zwanzig Sekunden, die sich wie zwei Stunden anfühlten, bis Quinn beim Hörer war.
,,Hallo?" Erleichtert hoben sich meine Mundwinkel, als ich ihre Stimme vernahm.

,,Ich bin es" Brachte ich verunsichert hervor. Quinn schwieg jedoch nur.
,,Was möchtest du, Aspen?" Sie sprach nun endlich. Sie redete in der selben Tonlage mit mir, wie an dem Tag, als wir zum ersten mal miteinander sprachen. Monoton, kalt und leblos.

Ich fand keine Worte. Ich hatte mir nicht einmal ein Ziel gesetzt, was ich überhaupt sagen wollte.
,,Wie geht's dir? Du warst heute nicht in der Schule, also..." Ein nervöses Lachen füllte diese unerträglich Stille, in welcher ich den Satz nicht zu Ende bringen konnte, aus.

Wieder schwieg sie, doch sie hörte mir noch zu. Ich konnte ihre flache Atmung hören. Sie war wirklich wie tot gewesen. Seelisch tot.

,,Wir haben dich heute vermisst" Begann ich den Satz neu. Mittlerweile flossen heiße Tränen über meine kalten Wangen. Ich wusste nicht, wann ich mit dem weinen begann.
,,Wir?" Etwas an ihrer Tonlage hatte sich geändert. Es klang lebendiger.
,,Arrow, Ace und ich" Erklärte ich ihr.

Wieder diese unerträglich Stille. Ich hasste es, sie nicht sehen zu können. Ich konnte an ihrem Ausdruck, ihrer Körperhaltung und ihrer Tonlage erkennen, wie es ihr ging.

Doch nun war sie nicht vor meinen Augen und sprach mit dieser leblosen Stimme. Ich hasste es wirklich!

Ich war nicht einmal ansatzweise in der Lage zu wissen, was gerade in ihr vorging. Es machte mich wahnsinnig.

Ich ließ mich auf der Couch nach hinten fallen. Mein Kopf landete auf den unzähligen Kissen, welche hinter mir lagen.

Meine Augen starrten in der Stille die Decke an. Weiss, doch mit vielen Flecken.

,,Ich komm nicht mehr" Jeder Idiot hätte feststellen können, dass sie dies offensichtlich flüsterte.
,,Also tust du es bald?" Fast hätte ich diesen Satz nicht zu Ende gesprochen.
,,Ja"

Es war ein unbeschreiblicher Schmerz gewesen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, jede Faser meines Körpers tat weh.

,,Hast du deinen Frieden gefunden?" Ich konnte meine Augen nicht mehr offen lassen, dafür brannten sie viel zu sehr.

Unruhig atmete sie aus.
,,Das ist unwichtig" Noch nie fühlte sich die Stille so laut zwischen an.
,,Quinn..." Voller entsetzten richtete ich mich auf. Ein ziehenden Schmerz zog sich durch meine Lunge.

Ein kleines schluchzen entfloh mir.
,,Ich will nur das du weisst-"
,,Nein, sag einfach nichts. Wir wussten beide, dass es so enden wird" Unterbrach sie mich kalt.

Ich wollte nur das du weisst, dass ich doch da war. Nicht so, wie du es gern gewollt hättest, doch ich war da.

Panisch lief ich den schmalen Spalt, zwischen der Couch und dem Beistelltisch, auf und ab.

,,Wann wirst du es tun?" Zwang ich mich zu fragen.
,,Morgen" Sie antwortete ohne nachzudenken. Ich wollte mich übergeben. Ich konnte nicht mehr richtig atmen. Ich hatte Angst, ich würde ersticken.
,,Um wie viel Uhr?" Ich lief zum Fenster hin.

Ich erhoffte mir, Quinn sehen zu können, doch es war nicht ihr Haus gewesen, durch welches Fenster ich starrte. Wie auch? Sie wohnte knapp fünf Häuser weiter.

,,Um Mitternacht"
,,Ich will dich sehen" Ich sprach ohne auch nur an meinen Worten zu zweifeln. Aber etwas fehlte.
,,Dann finde mich" Aufeinmal war die Leitung tot.

Sie hatte einfach aufgelegt.

Langsam sank ich in die Hocke. Meine Muskeln hatten wirklich den Geist aufgegeben.

Mein Blick fiel wieder auf die Decke, welche nun von den restlichen strahlen der Sonne beschienen wurden.

Der Montag war dabei zu enden. Es waren nur noch Stunden  gewesen, bevor sie es tun würde.

Ich hatte 24 Stunden Zeit, um Quinn zu finden. Nur ihre Eltern dürften nichts davon wissen.

Ich hasste es, ein Feigling zu sein. Ich konnte mich einmal zu ihr trauen, ohne bei dem Anblick ihres Vaters in Angst zu verfallen.

It's Okay - I'm There For You Where stories live. Discover now