SIEBENUNDZWANZIG

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Und dann ist sie schon weg. Ich bleibe sprachlos zurück. Ich würge meinen Joghurt runter. Ich weiß, dass sie recht hat. Aber ich will nicht, ich kann nicht. Es tut zu weh. Ich habe den Schmerz betäubt, und sobald ich ihn ausgrabe, wird es sehr schlimm werden. Aber sie hat recht, ich laufe nur davor weg. Es wird schlimmer und schlimmer werden. Ich fahre auf die Wand zu und werde immer schneller. Und wenn der Aufprall dann kommt, wird die Kollision nurnoch härter und schmerzvoller. Was soll ich bloß tun?! Ich gehe ins Bad und dusche ausgiebig. Ablenkung ist Regel Nummer 1. Nachdem ich meine Haare geföhnt und sogar geglättet habe, merke ich, dass ich es nicht rauszögern kann. Ich gehe zögernd in mein Zimmer. Aber wie will ich mich stellen? Ich setze mich auf mein Bett und habe schließlich eine Idee. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, aber ich mache die Musikanlage an. Und jetzt kommt der richtige Schmerz. Ich schalte ihn an.

"Denn, Baby, glaub mir, das beste bist du!", höre ich ihn. Es zerreißt mich, und plötzlich habe ich das Bedürfnis, ihm zu antworten.

"Du bist ein Lügner. Du bist ein mieser Lügner!", schreie ich, meine Stimme wird wie von selbst lauter. Meine Hilflosigkeit verwandelt sich in Wut. "Du bist so unehrlich! Sei ehrlich oder halt die Klappe!"

Das nächste Lied geht per Zufallsprinzip an. Es ist ein älteres Lied von ihm. "Denn, Baby, du bist wunderschön und wir können gerne weiterreden, doch bevor wir weitergehen, sollt ich dir noch eingestehen: Girl, ich brech dir nur dein Herz."

"Wenigstens ein Lied, in dem du die Wahrheit sagst", sage ich bitter. "Wieso hast du das nicht immer gemacht?" Die Tränen beginnen zu laufen, eine nach der anderen. Es sind viel zu viele Tränen, aber trotzdem schalte ich das nächste Lied ein.

"An manchen Tage ist man down, egal ob wegen Frauen..."

"Du bestimmt nicht!", schreie ich ihn schluchzend an. "Du als allerletzter! Du Schwein hast mich verarscht, von vorne bis hinten! Wie konntest du mir das antun? Wie? Ich könnte das nie, ich wäre nie so zu dir gewesen! Verdammt, du warst mir was wert! Du hast mir so viel bedeutet, verdammt!" Ich schalte diese scheiß Musik aus und breche zusammen... Entgültig. Schluchzend rutsche ich auf den Boden und rolle mich zusammen. Ich glaube nicht, dass ich leise weine. Zum Glück bin ich alleine. Der Schmerz zerreißt mich, es tut so weh. Es fühlt sich, als würde mein Herz mir immer wieder in der Brust umgedreht.

"Lass es aufhören, bitte, lass es aufhören", flehe ich jemand unbestimmtes an. "Bitte... Es tut so weh..." Ich kämpfe mich in eine sitzende Position. Ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich habe mich noch nie so erbärmlich gefühlt. Und das nur wegen ihm. Ich kann nicht mal seinen Namen denken, ohne dass es mich zerreißt. Ich wische die Tränen weg und setze mich aufs Bett. Ich habe gedacht, dass ich mich nach dem klärenden "Gespräch" mit mir besser fühlen würde. Das stimmt auch teilweise, ich fühle mich nicht mehr, als würde ich hilflos ihm Meer treiben. Aber mir ist auch klar, dass ich ihn liebe. Viel zu sehr. Und deshalb muss ich ihn loslassen, weil er mir sonst nur noch mehr wehtun wird. Ich setze mich aufs Bett und packe zum ersten Mal seit meiner Ankunft mein Handy aus. Ich hab unzählige Anrufe von ihm und zwei Nachrichten auf der Mailbox. Ich öffne zitternd die erste.

"Summer... Ich kann es erklären, bitte. Ruf mich zurück. Ich vermisse dich. Bitte."

Und mir wird eiskalt, als ich seine Stimme neben mir höre. Die andere Voicemail ist noch kürzer.

"Du lässt mir keine andere Wahl." Was für eine Wahl? Was zu Teufel meint er?! Aber es kann mir egal sein, es SOLLTE mir egal sein. Aber wieso ist es mir das nicht? Weil ich dumm bin. Strohdumm, mich noch um ihn zu kümmern. Ich muss seine Stimme hören, nur einmal. Um zu sehen, dass er mich vergessen hat. Dass er glücklich ist, ohne mich. Aber daran gibt es eh keine Zweifel. Zögerlich rufe ich ihn mit unterdrückter Nummer an. Er meldet sich, ich höre Gelächter im Hintergrund.

"Ja?", meldet er sich. Ich bin erstarrt und merke, dass ich doch noch Hoffnung gehabt habe, und diese Hoffnung zerfließt in diesem Moment. Ich ziehe zitternd die Luft ein.

"Wer ist da?", fragt er nun. Erneute Pause, in der ich kein Wort rausbekomme.

Dann schaltet er anscheinend. "Summer?!" Wieder eine kurze Pause. "Oh, endlich. Scheiße."

Da bekomme ich endlich den Mund auf. "Du scheinst dich ja zu amüsieren", sage ich kühl. Meine Stimme bricht.

Nun bekommt er nichts mehr raus. Ich füge bitter hinzu: "Viel Spaß noch!"

"Summer, bitte, nein, nicht auflegen!", sagt er flehend. Doch ich habe ihn schon weggedrückt. Eine erneute Woge von Enttäuschung, eine weitere Welle, die mich runterzog. Er ruft mich wieder an, aber ich gehe nicht ran. Ich habe genug gehört. Wie konnte ich nur so blöd sein, und ihn anrufen? Dieser miese Arsch ist sich schon wieder munter am Vergnügen. Es tut so weh, so egal zu sein. Ein Nichts zu sein. Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon sechs Uhr abends. Ich lege mich ins Bett. Ich habe keine Lust, je wieder etwas anderes zu machen. Ich habe keine Kraft mehr. Ich höre Julie unten. Sie redet mit meinen Eltern. Sie streiten sich anscheinend.

Ich höre meine Schwester rufen: "Lasst sie einfach in Ruhe, sie ist echt müde und fertig!"

"Wieso?", ruft Mama. "Sie hat uns nichts erzählt."

"Sie hatte ein Problem. Nichts schlimmes. Lasst sie die nächsten Tage allein."

Ich höre Papas Resignation. "Okay. Kümmer dich um sie, Julie. Wir beide müssen sowieso arbeiten. Wir haben einen neuen Auftrag im Büro."

Ich verspüre Erleichterung. Danke, große Schwester. "Ihr geht es gut", sagt Julie beruhigend. Wie die lügen kann. Mir geht es ganz und garnicht gut. Ich schalte das Licht aus. Ich will schlafen. Und das tue ich auch. Für ungefähr 10 Minuten. Da erwache ich aus einem Albtraum, in dem ich auf meine eigene Beerdigung gegangen bin. Keine Angehörigen kamen, ich saß da alleine als einsames Mädchen. Und das ist meine größte Angst: Dass genau das mein Schicksal ist. Ich falle wieder in einen unruhigen Schlaf.

Cro-You make my life completeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt