Kapitel 99

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Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Die Gardinen waren zugezogen, sodass kein Licht in mein Zimmer gelangen konnte. Ich schloss mich schon seit Tagen in diesem riesigen Haus ein. Ich hatte die letzten Tage kaum was gegessen und geduscht hatte ich auch nicht. Ich war am Tiefpunkt. Meinen Vater hatte ich seit dem Vorfall nicht mehr gesehen, ebensowenig wusste ich was ich mit Nico anfangen sollte und Zayn hatte mich gebrochen. Er hatte mir nicht nur mein Herz aus der Brust gerissen sondern auch mein Vertrauen zu ihm sowie auch fast zu jedem anderen Menschen.

Nach so langer Zeit dachte ich eigentlich, dass ich endlich wieder bereit wäre mich einer Person zu öffnen. Ich dachte Maes Tod und all der Schmerz hätte uns nur noch stärker zusammengeschweißt, doch Zayn hatte alles mit einem Fingerschnipsen kaputt gemacht. Nun zog sich immer wenn ich an ihn dachte meine Brust zusammen und meinHerz pochte Schmerzhaft bis in meine Adern hinein. Ich hasste es. Ich hatte mir doch geschworen, dass mir nach dem Tod meiner Mutter niemand mehr so sehr weh tun könnte. Ich hatte mich selbst verraten...

Mein Handydisplay erleuchtete und erhellte somit die Dunkelheit. Ich öffnete die Augen und starrte zusammengekniffen auf den Bildschirm. Zayn...
Zayn schrieb mir die letzten Tage tausend Nachrichten am Tag und rief mich etliche Male an. Ich reagierte natürlich nicht, dennoch war ich froh, denn das zeigte mir, dass es ihm gut ging und er noch lebte. Nach dem Vorfall mit Rodriguez war ich wirklich auf alles gefasst. Und gleichzeitig hasste ich mich dafür, dass ich ihn nicht hasste. Ich müsste ihn eigentlich hassen, wegen allem was er mir angetan hatte. Wegen all den Tränen der letzten Tage. Ich hatte mir so oft versprochen ich würde nicht mehr an ihn Denken, doch es half nichts.

Und das schlimmste war auch noch, dass ich Zayn vermisste. Ich war nun mal kein Eisbrocken, wie ich es eigentlich gerne hätte. Auch wenn ich echte Probleme damit hatte meine Gefühle zu zeigen und es immer noch habe, war ich innerlich voller Gefühle die einfach nur rauswollten, doch von mir gezwungen in Schach gehalten wurden. Ich konnte es nicht zulassen jetzt in diesem Chaos zu versinken. Auch wenn ich schon mit einem Bein drinnen stand. Ich wollte Zayn einfach nur zeigen, wie sehr er mich kalt ließ. Dass er mich nicht verletzen konnte, dass mich niemand verletzen konnte... mir war bewusst, wie ungesund dieses Verhalten eigentlich war. Doch ich zeigte keine Gefühle, da ich erstens nicht den verdammten Mut dazu besaß und es zweitens nicht gewohnt war, dass Gefühle zeigen etwas gutes war. Es wurde mir einfach nie beigebracht. Meine Eltern liebten sich zwar, doch ich hatte sie nie zusammen gesehen wie sie sich küssten oder umarmten. Demnach war mir dieses öffentlich Verhalten ebenfalls fremd und genau deswegen lag ich nun in meinem dunklen Zimmer. Mein Gesicht schon ganz verkrustet von den getrockneten Tränen auf meiner Haut.

Erneut erhellte mein Handy den Raum. Wieder Zayn...
Die Winterferien waren vorbei und die anderen gingen wieder zur Schule. Ich hatte kurz mit Leo telefoniert. Vikki, Cami und die anderen waren ebenfalls wieder in der Schule. Ich jedoch befand mich zuhause. Ich konnte jetzt nicht zur Schule gehen, nach allem was passiert war. Ich wusste von Leo, dass Zayn sich wohl auch einmal in der Schule blicken lassen hat, doch nur um direkt wieder abzuhauen. „Als er erfahren hat, dass du nicht wiedergekommen bist, ist er direkt wieder gegangen." sagte Leo am Telefon. Wenigstens konnte ich beruhigt sein, dass Zayn nicht wusste wo ich wohnte.

Ich wurde in meinem Gedanken unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Direkt darauf öffnete sich die Tür einen Spalt sodass ein schmaler Grad an Licht in mein Zimmer gelangte. Eine Silhouette war zu erkennen.
„ Kacey?" Henrys Stimme ertönte. Ich setzte mich in meinem Bett auf.
„ Ein Junge ist da. Er sagt er heißt Nico und er muss mit dir reden... soll ich ihn wegschicken?" fragte Henry. Mein Atem stockte kurz. Nico? Es wunderte mich jedoch nicht allzu sehr dass er hier war.
„ Ja. Sag ihm ich komme gleich runter." sagte ich. Ohne eine Antwort schloss Henry wieder die Tür. Er wusste einfach, dass ich in meinen depressiven Phasen nicht gerne sprach und lieber in Ruhe gelassen werden sollte. Dafür war ich ihm auch sehr dankbar.

Ich schlich in mein Bad um mir kurz meine Haare durchzubürsten. Mit einem Blick in den Spiegel stellte ich fest, dass ich schrecklich aussah. Ich hatte seit Tagen nicht mehr richtig geduscht. Meine Augen waren gerötet vom ganzen Weinen und mein Gesicht war von dunklen Schatten gezeichnet. Ich zog mir einen auf dem Boden liegenden Pullover an und schmerzhaft musste ich feststellen, dass er Zayn gehörte. Nach der kurzen Zeit miteinander habe ich ihm trotzdem erstaunlich viele Sachen abgeknüpft. Ich seufzte und zog mir meinen linken Socken an, da ich die ganze Zeit nur mit einem Socken rumlief.

Ich wusste nicht was mich nun erwarten würde. Ich wusste nur dass Nico mein Bruder war oder eher gesagt Halbbruder. Nico kam mir schon immer so vertraut und so gleich vor, als würde ich ihn kennen, doch niemals hätte ich mir vorstellen können, dass wir uns so nah waren. Ich hatte nie Geschwister und konnte mir auch nicht vorstellen wie es wäre, welche zu haben. Doch scheinbar würde ich es nun erfahren. Ich schleppte mich die Treppe hinunter. Auf wackligen Beinen lief ich in Richtung des Wohnbereiches in dem Licht brannte. Draußen dämmerte es bereits und im ganzen Haus war es kalt, da ich mir noch nicht die Mühe gemacht hatte die Heizungen einzuschalten.

Nico stand mit dem Rücken zu mir vor der Sofafront auf der anderen Seite des Raumes. Er schaute auf ein großes Bild an der Wand, welches meinen Vater, meine Mutter und mich zeigte. Seine Hände vergrub er tief in den Taschen seiner Jeans. Seine breiten Schultern wurden von einer Lederjacke bedeckt. Sein dunkles Haar stand in alle Richtungen von seinem Kopf ab, was ich erkennen konnte auch wenn er mit dem Rücken zu mir stand. Er schien wohl in Gedanken, da ich eine ganze Weile einfach nur da stand und ihn beobachtete. Er bemerkte mich nicht. Erst als ich ein paar Schritte auf ihn zu machte drehte er sich um. Als wäre er erschrocken, dass ich nun vor ihm stand.

Seine tiefgrünen Augen funkelten meinen Eisblauen entgegen. Seine Augen waren mir schon bei unserem Zusammentreffen in der Küche beim Kekse backen aufgefallen. Wusste er auch da schon, dass ich seine Schwester war? Natürlich, anscheinend wusste er es schon die ganze Zeit... und wer wusste es noch? Zayn vielleicht?
Ich musterte sein Gesicht. Gegen meine Erwartungen sah Nico ähnlich erschöpft aus wie ich. Seine Haltung war gekrümmt und tiefe Augenringe bildeten sich unter seinen Blattgrünen Augen.

Doch das erste mal fiel mir auf, wie ähnlich er meinem Vater war. Ich selber hatte mein Aussehen eher von meiner Mutter und meinen Charakter von meinem Vater, doch bei Nico musste es wohl andersrum sein. Er hatte die gleichen dunklen Haare wie er, die gleichen markanten Gesichtszüge und vor allem die etwas gezackte Nase fiel mir auf. Wieso war mir das vorher noch nie aufgefallen? Vielleicht wegen seiner Augen... sie waren meinen in der Farbe so verschieden, doch in ihrer stärke so gleich. Man hatte Angst sich in dem tiefen Grün zu verlieren.

Es blieb eine Weile still zwischen uns. Wir musterten uns einfach nur gegenseitig. Durch meinen Kopf schweiften die Erinnerungen an meine Entführung. Nico hatte mich aus dem Haus der Black's geschleift, er hatte mich gefesselt und mich den Löwen zum Frass vorgeworfen. Dennoch wusste ich, dass er es bereute und eigentlich nur eine Marionette in den Stück von Black und Rodriguez war.
„ Wie geht es dir?" fragte Nico nach einer Weile der Stille. Ich schluckte...
„ Was denkst du denn?" fragte ich sarkastisch. War es nicht offensichtlich, dass es mir scheiße ging?

Nico antwortete nicht auf meine rhetorische Frage.
„ Du hast bestimmt viele Fragen." sagte er. Ich nickte nur und merkte, wie meine Beine schwach wurden. Also setzte ich mich auf einer der roten Samtsofas vor dem Kamin. Nico setzte sich mir gegenüber. Er stützte seine Arme auf seinen Beinen ab und schaute mich nachdenklich an.
„ Du bist also mein Bruder?" fragte ich nach einer Weile. Dabei schaute ich ihn nicht an, sondern in den Kamin in dem ein imaginäres Feuer brannte.

„ Ja." sagte er nur. Ich nickte verstehend.
„ Wir haben also den gleichen Vater?" fragte ich weiter.
„ Ja." antwortete Nico im gleichen Tonfall wie auch zum ersten Mal.
Ich schaute in seine Augen. Ich konnte es einfach nicht fassen. Das war alle so absurd, dass es einfach nicht wahr sein konnte.

In the heart of the BadboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt