Kapitel 29 - Lili

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Ich war nassgeschwitzt, obwohl ich im Schneckentempo gelaufen war. Die Kraft verließ mich schnell und meine Wunde rächte sich mir Schmerzen. Die Sonne, stand inzwischen hoch und der Asphalt hatte sich aufgeheizt.

Sandra beschwerte sich nicht, aber ich durfte ihr nicht ewig am Rockzipfel hängen. Ich musste auf meinen eigenen Beinen stehen, bevor sie mich satt hatte. Es war Zeit, dass ich wieder eine Beschäftigung fand, und mehr Normalität einkehrte. Ich hatte gestern meine ersten Bewerbungen versandt, da es erfahrungsgemäß dauerte, bis ich einen Job finden würde. Sollte ich Daniel kontaktieren? Ich nahm mein Handy zur Hand. Nein. Besser nicht. Das würde er nur falsch verstehen. Ich steckte das Telefon weg und kramte die Schlüssel hervor.

„Hey Lili."

Ich zuckte zusammen. Der Bund fiel klirrend zu Boden.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken."

David hob die Schlüssel auf und reichte sie mir. Ich sah ihm wie erstarrt dabei zu. Er sah müde und ernst aus, aber er trug das blaue Shirt, das mir so an ihm gefiel. Ich war in meinem löchrigen Pyjama Shirt, viel zu kurzen Shorts und verschwitzt. Da ich mich nicht bewegt hatte, legte er mir den Schlüsselbund in die Hand und sagte:

„Ich wollte mit dir reden. Wenn du willst, können wir dorthin gehen." Er zeigte auf die Bäckerei, in der ich zuvor mit Pascal war.

Ich schüttelte den Kopf. Mein erster Impuls war, David wegzuschicken, aber dann sah ich ihm in die dunkelblauen Augen und hörte mich sagen:

„Komm mit."

Ich schloss die Tür auf und erklomm auf zittrigen Beinen die Stufen in den ersten Stock. Bis er hinter mir in der Wohnung stand, hatte ich mich nicht nach ihm umgedreht. Als ich das jetzt nachholte, wusste ich, dass das eine schlechte Idee war. Mein Innerstes zog sich zusammen und mein Herz klopfte im Hals, vor wilder Sehnsucht nach seinen Küssen und Umarmungen. Er roch aufregend und doch so vertraut. Ich schüttelte mich. Ich brauchte dringend eine Dusche, aber wenn ich verschwitzt blieb, war die Chance kleiner, dass ich meinen Trieben nachgab.

David wirkte verwirrt, als er das charmante Chaos das Sandras Wohnung war, betrachtete. Besonders die Pinnwand, die von oben bis unten mit tausenden von Fotos und religiösen Sprüchen zugepflastert war, hatte es ihm angetan.

„Das ist die Wohnung meiner Schwester", klärte ich ihn auf.

Er nickte abwesend. Woher hatte er gewusst wo ich wohnte? Ich tippte auf Ale.

„Lili, ich...", begann er und brach wieder ab.

„Wollen wir uns nicht setzen?", fragte ich und zeigte aufs knallrote Sofa.

Er nickte. Wir pflanzten uns aufs quietschende Kunstleder. Ich wagte nicht, ihn lange anzusehen. Es war, als hätte ich vergessen, wie unwirklich perfekt seine Gesichtszüge waren.

„Ich brauche ein Wasser. Magst du auch etwas? Einen Tee?"

Er schüttelte den Kopf. Ich ging in die Küche und füllte ein Bärchen- Glas langsam mit Wasser. Aber es nutzte nichts, es war voll, bevor sich meine zittrigen Finger beruhigt hatten und ich musste zurück. Ich setzte mich so weit wie möglich von ihm und trank einen Schluck. David studierte mich und ich wusste vor Verlegenheit nicht, wo ich hinsehen sollte.

„Wie gefällt dir deine Arbeit?", fragte ich, um das Schweigen zu brechen.

„Gut. Ich kann am Montag auf die Bettenstation wechseln. Und das bedeutet keine Spät- und Nachtdienste mehr."

„Wann darfst du zur Onkologie?"

„In vier Wochen."

Ich nickte und nahm einen Schluck Wasser. Das hatte ich gewusst. Es war schließlich erst drei Wochen her, seit wir nicht mehr zusammen waren. Aber es war einfacher, Floskeln auszutauschen, als zu schweigen. Doch mir fiel bei bestem Willen nichts mehr ein, was ich sagen konnte.

Liebe ist blindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt