Kapitel 4 - Lili

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Nach einer stillen Fahrt, während der David nur mit mir gesprochen hatte, um mir zu sagen, wo ich hinfahren musste, stellte ich das Auto auf seinem Parkplatz ab. Ich warf ihm zum tausendsten Mal einen heimlichen Blick zu, aber mehr als seine dunklen Haare und sein perfektes Profil sah ich im schwachen Schein der Armaturen nicht. Von unterwegs hatte er unaufgefordert einen Fahrdienst für mich gerufen, was ich ihm hoch anrechnete.

Hatte er gemerkt, dass wir angekommen waren? Er starrte gedankenverloren vor sich hin. War das die Strafe, weil ich nicht mit ihm schlafen wollte? Ich presste unwillig die Lippen aufeinander. Was sollte das? Ich war kein Gebrauchsgegenstand, den man weglegte, wenn man nicht bekam, was man wollte.

Ich legte möglichst viel Sarkasmus in die Stimme. „Danke für die Fahrt. Tschüss."

Jetzt wäre ich gerne in die Nacht entschwunden, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aber David war vor mir ausgestiegen und stellte sich mir in den Weg - unbeeindruckt von meiner finsteren Mine.

„Warte."

Ich dachte nicht daran. Er mochte umwerfend sein, aber ich war nicht sein Spielzeug. Als ich an ihm vorbeiging, entriss er mir die Handtasche.

„Hey, gib mir die wieder!"

„Ja klar. Nachdem ich dir gesagt habe, was ich dir sagen will. Nur so bekomme ich deine volle Aufmerksamkeit."

Ich stemmte den Arm in die Hüften, streckte den anderen nach der Tasche aus und sah ihn herausfordernd an. Seine Augen funkelten vergnügt. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Er sah viel zu gut aus für meinen Seelenfrieden. Eigentlich sah er viel zu gut aus, um wirklich aus Fleisch und Blut zu sein.

„Ich habe dich belogen. Ich bin kein Maurer, sondern studiere Medizin und das da..." David machte eine Pause und zeigte mit der Handtasche aufs Auto. „Du hattest recht, das ist nicht meins. Es gehört meinem Kumpel Ale."

Im letzten Moment konnte ich mir ein Ich wusste es verkneifen. Ich war klein und trotzdem musste ich den Sitz kaum verstellen, obwohl er sicher zwei Meter groß war. Stattdessen vermied ich es, sein Gesicht anzusehen. Selbst durch sein dunkelblaues T-Shirt konnte ich perfekt geformte Muskeln erahnen. Ich musste hart schlucken, da sich mein Mund staubtrocken anfühlte. „Warum erzählst du mir das?"

„Ich will keine Lügen zwischen uns haben."

„Warum belügst du mich dann?"

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist eine gute Frage. Vielleicht, weil Lügen einfacher sind, wenn man sich nicht kennt?"

Das konnte ich verstehen. „Warum erzählst du mir jetzt die Wahrheit?"

„Weil ich dich gerne wiedersehen möchte und du Nein sagen wirst, wenn du denkst, ich sei ein verlogener Mistkerl."

Wollte er mich auf den Arm nehmen? „Ich werde auf jeden Fall Nein sagen."

„Warum?"

„Warum? Seit ich dich kenne, wurde ich mit Cocktail Oliven beworfen, beleidigt, mit Bier übergossen, durfte dich nach Hause kutschieren, weil du zu betrunken warst, und zur Krönung hältst du meine Handtasche als Geisel fest. Du bringst mir kein Glück."

„Also für das Bier, die Olive und die Beleidigungen kann ich nichts. Die Fahrt nach Hause hast du angeboten. Ich übernehme einzig und alleine die Verantwortung für die Handtasche. Gehst du nächste Woche mit mir aus?"

„Nein", entfuhr es mir wie von selbst.

Er sah selbst betrunken und nach einer durchgefeierten Nacht aus, als wäre er stundenlang für ein Fotoshooting zurechtgemacht und danach noch mit Photoshop bearbeitet worden. Die albernen Mädchen am Taxistand hatten ihn beinahe besprungen. Nicht, dass ich hässlich war, aber so gut sah ich nicht aus.

Liebe ist blindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt