𝚋𝚎𝚌𝚔𝚜

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𝚔𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟷𝟶: 𝚋𝚎𝚌𝚔𝚜



»𝐖𝐀𝐑𝐔𝐌 𝐁𝐈𝐒𝐓 𝐃𝐔 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐄𝐑𝐍 𝐆𝐄𝐅𝐋Ü𝐂𝐇𝐓𝐄𝐓?«, holte mich Mr. Munson zurück in das Hier und Jetzt.
Steve hatte sich zwischenzeitlich leicht abgewandt, um uns etwas Privatsphäre zu gewähren.
Dies allerdings erst, als ihn Robin wild mit den Händen wedelnd darauf aufmerksam gemacht hatte.
Wäre die Situation, in der ich mich befand nicht so ernst gewesen, hätte ich vielleicht darüber schmunzeln können.
Steve's Unwissenheit darüber, wann man jemandem Privatsphäre überließ war gleichermaßen liebenswert wie amüsant.

»Mr. Munson...«, stoppte ich auf der verzweifelten Suche nach den richtigen Worten.
Ich wollte ihn nicht anlügen, aber ich hatte auch große Angst seine Trauer ein erneutes Mal heraufzubeschwören, wenn ich zu emotional wurde.
Eigentlich absurd, war die Trauer um Eddie doch allgegenwärtig.
Ich spürte es ja selbst.
Es war, als läge ein schwerer Schatten über all unserer Herzen und wann immer ein Funke aus Freude oder Gelächter die Dunkelheit vertrieb, wurde uns allen bewusst, warum wir trauerte.
Und der Kreislauf ging von vorne los.

»Ich habe gestern erst von Eddies Tod erfahren. Ich bin angereist, weil ich durch die Nachrichten endlich herausgefunden hatte, wohin Eddie gegangen war. Ich weiß nicht wieso, immerhin galt er ja als verschwunden, aber ich musste herkommen. Ich musste einfach. Und jetzt ist er nicht mehr da. So gar nicht mehr. Er ist tot. Einfach...«
»Bekah, hey. Shht.«, versuchte mich Steve zu beruhigen und schloss mich in eine warme Umarmung.
Da war er wieder.
Obwohl ich ihn in diesem Moment überhaupt nicht in meiner Nähe gebrauchen konnte.
Ich führte das mitunter schwerste Gespräch meines Lebens, war wieder einmal den Tränen nahe und konnte seinen Halt nicht ertragen.
Ich konnte nichts von alldem mehr ertragen.

Das Gefühl, als er mich in die Arme schloss, hätte sich außerdem nicht so vertraut anfühlen dürfen.
Ich wollte nicht, dass es sich so vertraut anfühlte.
Darum stieß ich ihn etwas unsanft von mir und schüttelte den Kopf.
»Nicht.«
Ich musste hier einfach raus.
Ich konnte keine weitere Sekunde diesen Weltschmerz mehr erfahren.
Und das Mitleid auch nicht.
Den tiefen Kummer Mr. Munsons sowieso nicht.
All das nistete sich in mir ein wie ein parasitärer Befall.
Er vergiftete meine ohnehin geschwächte Psyche.

Es war wie eine Folter, die mich dafür bestrafte, überhaupt geboren worden zu sein.
Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass ich die wenigen Jahre, die ich auf dieser Welt weilte, schon so viel Schmerz gefühlt hatte.
Die Person, mit der mich am meisten verband und es mir gleichgültig machte, dass ich eine Außenseiterin war, zog weg.
Ohne, dass ich die geringste Ahnung hatte, wohin. Dann starb meine Mutter, meinen Vater hatte ich nie kennengelernt.
Und um der Tragödie meiner Jugend die Krone aufzusetzen, starb derjenige, der meine erste Liebe hätte werden sollen.

Der, mit dem ich die verwirrenden Teenagerjahre hätte durchleben müssen.
Der, der an meiner Seite hätte stehen sollen, während wir zu jungen Erwachsenen heranwuchsen und in der aufregenden und von Hormonen gesteuerten Zeit gemeinsam ratlos mit mir gewesen wäre.
Ich würde niemals seine Lippen spüren, würde niemals davon schwärmen können, dass sie weich wie Watte waren oder rau wie Schmirgelpapier.
Ich würde niemals wissen, wie es ist, seine Haut auf mir zu spüren und seinen Duft einzuatmen.
Herrgott ich wusste nicht einmal, wie er roch!
Nach Zigaretten und billigem Parfüm? 
Nach frischer Wäsche und der Lederjacke, die er augenscheinlich immer trug?

Meine Füße gehorchten mir nicht mehr.
Eigentlich hatte ich so weit wie möglich davonrennen wollen, stattdessen ging ich die wenigen Schritte bis nach draußen und setzte mich auf die Treppe, die zur Eingangstür gehörte.
Ich vergrub meinen Kopf zwischen meinen Armen und weinte bittere Tränen.
Ich blendete alles um mich herum aus und nahm den Kummer in mir auf wie einen alten Freund.
Innerlich schrie ich.
Schrie seinen Namen. Immer und immer wieder. Äußerlich blieb ich still, nur das leichte Schluchzen stahl sich immer wieder aus meinen trockenen Lippen.
Eddie. Eddie. Eddie!

»𝐁𝐄𝐊𝐀𝐇.«
Ich kannte diese Stimme, die zu mir sprach nicht, also blickte ich auch nicht auf.
Ich wollte für mich allein sein.
Mir alleinigen Trost spenden, in dem ich meine Arme immer enger um meine bebenden Knie schloss.
»Becks.«
Ich erstarrte.
So hatte mich nie wieder jemand genannt.
So durfte mich niemand mehr nennen.
Bis auf Eddie.

Ich spürte, wie eine sofortige Gänsehaut über meine Arme kroch, mein müder Körper stand vollkommen unter Strom. Ich zitterte.
Nur langsam richtete ich mich auf, meine Augen allerdings starrten noch auf den erdigen Boden.
Ich traute mich nicht aufzusehen.
»Becks, hey.«, säuselte die Stimme.
Sie klang so sanftmütig, dass ich nicht anders konnte als mir einen Engel in der Gestalt Eddies vorzustellen.
»Sieh zu mir, Becks. Ich bitte dich.«
Seine Tonlage war neben der Sanftmut so tief und männlich, dass ich das Gefühl hatte sie würde meinen Körper umgarnen.
Als sei sie nur für mich bestimmt.
Jedes Wort, das gesprochen wurde legte sich um meinen müden Verstand wie liebkosende Streicheleinheiten.

Ich begann nun damit meinen Kopf anzuheben, aber die Furcht vor dem was ich sehen würde, ließ meinen Blick nur langsam folgen.
»Sieh zu mir, Becks.«, wiederholte Eddie sich.
»Hey Bekah!«, rief er und hörte sich gar nicht mehr an wie die Stimme zuvor.
Verwirrt blinzelte ich in die Abenddämmerung.
Urplötzlich spürte ich einen leichten Druck auf meiner Schulter spürte, woraufhin ich reflexartig aufschrie.
Als ich hinter mich sah erblickte ich Dustins Gesicht. In seinen Augen die stille Frage nach meinem Wohlbefinden.
Ich gab ihm keine Antwort. Ich hatte sowieso keine. Eddie's plötzliches Auftauchen hatte mich so durcheinander gebracht, dass ich nicht benennen konnte wie ich mich fühlte.

Hektisch bewegte ich meinen Kopf von der einen zur anderen Seite und hielt nach Eddie Ausschau.
Nichts.
In mir tobte ein Sturm aus Wehmut. Und Erleichterung.
»Alles in Ordnung?«, fragte Dustin nun doch.
Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Dann nickte ich zögerlich.
»Ja..«, hauchte ich verwirrt.
Wo war er hin? Wie hatte er so schnell verschwinden können?
Spielte mir mein übermüdeter Körper Streiche?
An Perfidität war dieser zumindest nicht zu übertreffen.

Mein Herz schmerzte bei der Erkenntnis, dass es sich nur um eine Einbildung gehandelt haben musste.
Und noch mehr schmerzte mich die Tatsache, dass ich so erleichtert gewesen war, als er verschwunden war.
Wo doch ein Wiedersehen mit ihm eigentlich alles war, was ich je gewollt hatte. Oder?
»Hey ihr beiden! Na los, steigt ein!«, ertönte plötzlich Robins Stimme und mit ihr ein Hupen.
Mein Verstand hing der Gegenwart so ungemein hinterher, dass ich erst einige Sekunden später realisierte, dass das Hupen mit Steves Auto einherging und dieser und Robin und mitnehmen wollten.
Gemächlich trottete ich mitsamt Dustin in Richtung des Autos und versuchte mich auf die gegenwärtige Situation zu konzentrieren.

Irgendwann funktionierte das auch relativ gut, bis ich letztendlich nur noch die rauchige Stimme Bonnie Tylers vernahm.
Und das mechanische Ticken einer Uhr.

𝐖𝐎 𝐃𝐀𝐒 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐄𝐑𝐍 𝐍𝐈𝐂𝐇𝐓 𝐌𝐄𝐇𝐑 𝐒𝐄𝐈𝐍 𝐊𝐀𝐍𝐍【𝚔𝚊𝚜】Where stories live. Discover now