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7 - Tassi

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Der Junggesellenabschied hält Ian wie erwartet auf Trab und mehr als einmal sehe ich ihn mit einem Eimer zum Bereich hasten. Ekelhaft.

Gönne ich ihm irgendwie.

Auch Matt ignoriere ich die meiste Zeit, denn ich finde es nach wie vor nicht okay, dass er den reichen Bubi mit Whiskey versorgt hat, obwohl der schon weit über seinem Limit war.

Inzwischen ist die große Abreisewelle angebrochen und die wenigen Gäste, die noch da sind, halten sich an ihren bestehenden Drinks fest, statt noch Neue zu bestellen.

Ich gehe hinter der Bar hervor und nehme eine große Kiste mit, um eine erste Runde stehengelassene Gläser aus allen möglichen Ecken zu sammeln. Hinter der Tanzfläche auf dem Boden in der Ecke sitzt der Whiskeybesteller und starrt stumpf ins Leere. Das Glas auf dem Boden neben ihm ist noch mit gut einem Schluck gefüllt, doch er macht nicht den Anschein, als würde er das noch trinken wollen. Oder sollen.

„Ich nehme das schon mal mit, ja?", vergewissere ich mich, während ich mich nach unten beuge und nach dem Glas greife.

Seine müden, leicht blutunterlaufenen Augen reagieren gar nicht und so platziere ich das Glas in meiner Kiste.

„Willst du mir lieber gleich deinen Autoschlüssel geben?", pampe ich ihn an.

Der ist so voll, der merkt ohnehin nicht, wie ich mit ihm rede.

„Tassi", murrt er, ohne sich zu bewegen.

„Alles klar, kommt sofort, der Herr", antworte ich und mache eine ironische Verbeugung, bevor ich mich entferne und auf meinem Weg zurück zur Bar noch weitere Gläser und Flaschen einsammle.

„Mr. Bentley braucht wieder ein Taxi", lasse ich Matt missmutig wissen und deute mit meinem Kopf in die Richtung, in der der Mann sitzt.

Mein Boss nickt nur und macht sich auf den Weg in Richtung Eingang.

„Und ich würde mir jemanden dazuholen", rufe ich ihm nach. „Er machte nicht den Eindruck, als ob er noch im Stande ist, selbständig zu gehen."

Matt stoppt in seiner Bewegung und blickt mich mit erhobener Augenbraue an, bevor er kopfschüttelnd weitergeht.

„Hey Jules", höre ich Ian hinter mir rufen. Der Eimer in seiner Hand riecht verdächtig nach Erbrochenem und ich rümpfe die Nase. „Könntest du mir–?"

„Nope", wende ich ab und eile dem Boss hinterher. „Ich hole einen Taxifahrer, du kannst Ian helfen", lasse ich ihn unvermittelt wissen und bevor er mir widersprechen kann, habe ich mich schon nach draußen gedrängelt.

•••

Zwanzig Minuten später habe ich den einzigen noch verbleibenden Taxifahrer überreden können, mich nach drinnen zu begleiten, um den volltrunkenen Gast abzuholen. Nur die Aussicht auf ein saftiges Trinkgeld hat den Mann überhaupt sein Fahrzeug verlassen lassen und als er mir mürrisch folgt, bleibt er kurz vorher stehen und zeigt wütend auf den noch immer an der Wand sitzenden Jüngling.

„Den nehme ich ganz bestimmt nicht mit!", motzt der ältere Mann mit dem breiten Schnauzbart. „Der hat Joe das ganze Auto vollgereihert!"

Fragend sehe ich zwischen dem Taxifahrer und dem starrenden Bubi hin und her. „Wann?", frage ich dümmlich.

„Gestern. Habe gesehen, wie der andere Typ ihn in Joes Wagen verfrachtet hat", berichtet der Alte. „Und heute zu Schichtbeginn war Joe immer noch am Auslüften. Vergiss es, der kommt nicht in mein Auto."

Bevor ich ihn aufhalten kann, ist der Mann schon wieder aus dem Club gestapft und ich blicke ihm verdutzt nach.

Na, ganz fantastisch.

Matt und Ian kommen mit Wischlappen und Eimern aus dem Bereich und an ihren Gesichtern kann ich erkennen, dass ihre Arbeit noch lange nicht beendet ist. Der Junggesellenabschied hat wohl ganze Arbeit geleistet.

Seufzend gehe ich auf den Betrunkenen zu und bleibe mit ausgestreckter Hand vor ihm stehen.
Wie in Zeitlupe hebt sich sein Kopf und seine blau-violetten Augen schielen mich an.

„Autoschlüssel", verlange ich von ihm.

„Tassi", lallt er zurück.

„Taxi ist nicht."

„Tassi", wiederholt er und ich rolle genervt die Augen.

„Nix Taxi!", motze ich. „Gib mir deine Autoschlüssel, so fährst du bestimmt nicht!"

„TA-SSI!", mault er zurück, lehnt erschöpft seinen Kopf an die Wand hinter sich und ich glaube, zu verstehen.

„Du bist mit dem Taxi gekommen?"

„Ja", lallt er zurück.

Herzlichen Glückwunsch! Wer hätte ahnen können, dass mal allen Ernstes jemand auf mich hört?

Ich sehe ihn lange an, hadere mit mir und schließlich rolle ich erneut mit den Augen.„Aufstehen", befehle ich.

Seine Augen mustern mich fragend.

„Steh auf, ich fahr dich nach Hause", stelle ich klar und halte ihm wieder die Hand hin, dieses Mal, um seine zu packen und ihn auf die Füße zu zerren.

Er taumelt kurz, stützt sich an der Wand neben sich ab und ... steht.

„Musst du kotzen?", frage ich skeptisch.

Er schüttelt nur den Kopf und reibt sich das Auge.

Okay, müde ist nicht schlimm.

„Dann mal los", kündige ich an und packe ihn unsanft am Ellbogen, damit er nicht im Schneckentempo durch den Laden kriecht.

Ich will heute auch noch irgendwann Feierabend machen.

„Wo willst du denn hin?", erkundigt sich Ian im Vorbeigehen, als er uns etwas zu lange mustert.

„Taxifahrer weigert sich und er muss ja irgendwie nach Hause kommen. Ich fahre ihn."

„Hat er keinen Fahrer oder sowas?", lacht Ian und ich blicke ihn streng an.

„Hat er dir letztens die Nummer von seinem Fahrer gegeben? Dann kannst du dich ja darum kümmern", schlage ich bissig vor.

Sofort senkt mein Kollege ertappt den Blick und setzt sich wieder in Bewegung.

Dachte ich mir doch.

„Sag Matt Bescheid, dass ich das hier mache", rufe ich Ian hinterher und geleite den schwankenden Junior an seinem Ellbogen nach draußen auf den Parkplatz.

Kontrollverlust | ✓Where stories live. Discover now