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4 - Sicher ist sicher. Ist sicher.

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Eine Stunde später haben Matt und ich den Laden soweit aufgeräumt, dass wir Feierabend machen können. Es ist eher Feiermorgen statt Feierabend, denn es beginnt bereits zu dämmern, als wir auf den Parkplatz gehen.

Matt neben mir pfeift anerkennend durch die Zähne, als er sieht, was für ein Auto neben meinem alten VW Polo steht.

Es ist weiß und sauber und sieht verdammt teuer aus. Testweise drücke ich auf den Schlüssel in meiner Hosentasche und ein lautes Piepen, gepaart mit einem Aufblinken der Scheinwerfer, signalisiert meinem Boss und mir, was wir auch vorher schon vermutet haben: Die Karre gehört wohl dem Gast, den wir mit dem Taxi nach Hause geschickt haben.

„Na toll", stöhne ich. „Und jetzt?"

„Hast du seine Adresse mitbekommen?", will Matt wissen und begibt sich grinsend zu seinem eigenen Auto. Sein BMW ist sicherlich nicht so alt wie mein Polo, kostet aber schätzungsweise nur einen Bruchteil dessen, was da neben unseren beiden Fahrzeugen steht.

Interessehalber fotografiere ich das Auto und nutze die App auf meinem Handy, die das Modell anhand des Fotos per Suchmaschine für mich herausfindet.

Bentley Continental GT Speed

„Holy shit!", rufe ich und Matt dreht sich erschrocken um. „Für den Preis würde ich mir ja eher ein Haus kaufen, aber gut", brumme ich und nutze die Gelegenheit, gleich auch die im Taxi gewünschte De Koning Mansion zu suchen.

Die Adresse ist am anderen Ende der Stadt und wenn der Bubi wirklich dort wohnt, ist meine Entscheidung, ihm den Schlüssel abzunehmen, definitiv die Richtige gewesen, denn auf dem Weg dorthin hätte er sich ganz sicher totgefahren.

Und um das Auto wäre es verdammt schade gewesen.

Kurz überlege ich, ob ich mich nicht einfach in das Schätzchen setze und es zu diesem ... Schloss fahre, aber vermutlich verklagt er dann meinen Arsch, weil er meint, ich hätte sein Auto gestohlen.

Was ich – ganz technisch gesehen – auch habe, denn er weiß nicht mal, dass ich mir seinen Autoschlüssel unter den Nagel gerissen habe. Meine Beweggründe interessieren da sicherlich niemanden.

Ich reibe mir mit den Fingern über beide Augen und stöhne genervt. „Ich bringe den Schlüssel da hin", lasse ich meinen Boss wissen.

„Bist du sicher?"

„Ich habe keine Lust, das Ding die ganze Woche hier stehen zu lassen, Matt. Wahrscheinlich ist der innerhalb eines halben Tages weg. Und hier rumlungern und darauf warten, dass der Junge sich ausgeschlafen hat und sich hoffentlich daran erinnern kann, wo er sein Auto gelassen hat, klingt auch nicht gerade verlockend."

Matt nickt und winkt mir zum Abschied. „Du bist der Beste, Jules", ruft er mir zu und steigt in seinen BMW.

„Erinnere dich bitte bei meinem nächsten Gehaltscheck daran, Boss!", grinse ich zurück und er zwinkert mir gespielt aufreizend zu, ehe er den Motor startet.

Ich denke daran, den Knopf des Bentleys zum Verriegeln der Türen zu drücken und bevor ich zu meinem Auto gehe, drücke ich ihn vorsichtshalber noch zwei weitere Male. Sicher ist sicher. Ist sicher.

•••

Zwanzig Minuten später parke ich meinen Polo am Straßenrand, nachdem ich den letzten Kilometer neben einer riesigen Mauer hergefahren bin, die laut meiner Karten-App bereits zu dem Grundstück gehört, welches ich suche.

Jetzt habe ich zumindest ein riesiges, natürlich geschlossenes, Tor in der Mauer gefunden und überlege, ob es nicht besser wäre, den Schlüssel einfach beim Fundbüro abzugeben.

Nicht mal einen Briefkasten gibt es, in den ich den Schlüssel werfen könnte.

Ich steige aus meinem Auto und schlendere vorsichtig zu dem Tor.

Hier sind bestimmt überall Kameras und ich möchte nicht, dass irgendjemand denkt, ich würde was aushecken. Ein bisschen fühlt es sich so an, wie wenn die Polizei hinter einem fährt. Man fühlt sich automatisch schuldig, obwohl man nichts getan hat.

Neben dem Tor ist eine Tür und daneben in der Mauer entdecke ich ein Tastenfeld, darüber einige Schlitze, die vermutlich zu einer Gegensprechanlage gehören. Beherzt drücke ich auf den Knopf mit dem Glockensymbol auf dem Feld und warte.

Irgendwann knirscht es hinter den Schlitzen und ich höre ein „Ja bitte?"

„Ja ... äh ... hi. Gehört jemandem in Ihrem Haus zufällig ein Bentley?", rufe ich in die Schlitze.

Ist da überhaupt ein Mikrofon drin? Kann man mich wohl irgendwo sehen?

Meine Augen suchen die Mauer ab, können aber keinerlei Linsen oder Objektive entdecken. Vielleicht habe ich auch einfach zu viele Filme geschaut.

„Danke, wir arbeiten sehr gut mit unserem bestehenden Autohaus zusammen", will die Stimme mich abwimmeln und es knirscht erneut.

Bitte was?

Wieder drücke ich auf den Knopf und dieses Mal muss ich nicht so lange warten, weil der Mensch am anderen Ende noch nicht so weit gekommen sein kann.

„Ja bitte?", tönt es wieder aus der Wand.

„Ich möchte Ihnen kein Auto verkaufen, aber jemand hat seinen Bentley gestern auf dem Parkplatz des Dogma stehen gelassen und ich habe hier den passenden Schlüssel", meckere ich. „Ich kann ihn natürlich auch beim Fundbüro abgeben, wenn–"

Weiter komme ich nicht, denn die Tür neben mir summt auf einmal elektrisch und ich zucke überrascht zusammen.

Gerade noch rechtzeitig drücke ich sie auf und schlüpfe hindurch.

Kontrollverlust | ✓Where stories live. Discover now