1. RUNES DEMÜTIGUNG

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"Guten Morgen meine Hasen!" hallte es durch die Sporthalle des Handballvereins THW Kiel. Die übermotivierte Physiotherapeutin Irene war wieder einmal durch die Hallentür gestürmt und ließ einen lauten Schrei los, doch die zu erwartende Reaktion trat nicht ein. Keiner der durchtrainierten, verschwitzten Männer erschrak, denn diese Prozedur erneuerte sich beinahe täglich. Sander drehte seinen Kopf langsam in Richtung der menschgewordenen Ruhestörung und würzte jene Bewegung mit einem theatralischen Seufzer. "Hallo, Irene", sprach der junge Profiathlet und seine Kumpanen nickten beinahe unmerklich, um deutlich zu machen, dass auch sie sich Sanders Begrüßung anschlossen. Nach ein paar Momenten des gegenseitigen Anschweigens drehte sich die 54-jährige Krankengymnastin um und bereitete den Behandlungsraum für ihre unnachahmliche Technik der Muskelregenerationsmassage vor.

"Ich würd' heut irgendwie lieber zu André, ich musste gestern schon zu Irene", kommentierte Magnus und hopste von dem Sportgerät herunter, auf welchem er seinen erhöhten Puls des vorangegangenen Trainings wieder in einen seines Ruhepulses entsprechenden Rahmen zu senken versuchte.

"Moooooment! Ich geh auch nicht zu Irene, mir hat sie vorgestern bei einer Massage des Lumbalbereichs mein Steißbein gestaucht!" kam es direkt von seinem Bruder Niklas, der sich auch einen Physioplatz fernab von Irene sichern wollte.

"Ich bin sowieso immer bei André, da werde ich jetzt bestimmt nicht die Seiten wechseln, da bin ich zu loyal, André ist für mich nicht verhandelbar!" gab auch Steffen seinen Senf dazu und so verkleinerte sich der Kreis der übrig gebliebenen immer mehr.

"Wenn wir jetzt alle nicht zu Irene wollen, dann kann die doch auch gleich kündigen, dann muss André eben ein paar Überstunden ackern!" kommentierte Nikola das Geschehene und schaute lachend in die Runde, um sich ein paar amüsierte Reaktionen ob seiner frechen Anmerkung zu Irenes zukünftigen Berufsstandes abholen zu können. Doch als er seinen Blick so gleiten ließ, fiel ihm ein ausdrucksloses Augenpaar auf. Rune. "Was ist los, Rune?" stellte ihn der humorvolle Athlet zur Rede.

"Hm?" schreckte der Junge hoch und erwachte somit aus seiner Trance.

"Wieso lachst du nicht über meinen Witz? Er war gut ausgearbeitet und hatte sowohl Niveau, als auch die nötige Skrupellosigkeit, die eben eine solche Aussage haben muss, um als Komik zu gelten!", knallte ihm sein Teamkollege die Faktenlage vor den Latz.

"Sorry, hab nicht zugehört, war in Gedanken. Sag nochmal!" forderte ihn Rune auf, was bei Nikola auf wenig Tatendrang, ebendieses zu tun, traf.

"Das geht nicht, das war ein in-the-moment  Witz! Den kann man nicht mehr wiederholen, da stimmen die Rahmenbedingungen gar nicht mehr!" erwiderte sein Kumpel frustriert und schmiss seine halbleere Wasserflasche deprimiert in die Ecke.

"Komm, Niko! Kopf hoch, du machst bald wieder so nen lustigen Witz! Der war bockstark, den fanden wir alle echt witzig! Ob da jetzt einer mehr oder weniger lacht, ist doch egal! Und ganz ehrlich: Wenn Rune den Witz nicht gehört hat; selber Schuld!" Hendrik hatte sich neben seinen trauernden Freund gesetzt und ihn mit aufbauenden Worten gut zugeredet, doch der nächste Schicksalsschlag sollte nicht lange auf sich warten lassen.

"Was ist mit mir?" fragte wieder der geistig abwesende Rune und machte damit klar, dass er nicht nur Nikola nicht zugehört hatte, sondern auch Hendrik auf keinerlei Audienz hoffen sollte.

"Schau, du hörst schon wieder nicht zu!" nun kamen Niko die Tränen, da ihm bewusst wurde, dass Runes Desinteresse im Bezug auf die zwanglosen, lockeren Unterhaltungen ein wiederkehrendes Phänomen darstelle könnte.

"Ich war halt wieder in Gedanken, es tut mir Leid, Niko! Ich mach's nicht mehr, echt!" entschuldigte er sich aufrichtig und wollte leicht über Nikos Hand streicheln, doch ehe es zu einem Hautkontakt kam, zog dieser seine Hand geschickt unter Runes weg und schaute ihn mit schmerzerfüllter Mimik an. "Ich bin noch nicht soweit", flüsterte er und klärte alle über seine bemerkenswerte Reaktion auf.

Niedergeschlagen musste Rune dies akzeptieren und packte seine Trainingsutensilien behutsam zusammen.

"Rune hat anscheinend gar nicht gehört, dass wir alle zu André wolle, also muss er zu Irene!" kicherte Steffen und löste unter seinen Kameraden erneut einen Sturm der humoristischen Gefühlsregungen aus.

"Was hast du gesagt?" Rune hielt inne, denn dieser war gerade dabei, sich den Weg aus der Halle, hinein ins Physiozimmer zu bahnen, unwissend, dass sich hinter ebendieser Tür heute die Wirkungsstätte von Irene versteckte.

"Du musst heut zur Irene!" schallte es aus 5 Mündern gleichzeitig, auf welches ein schadenfreudiges Lachen folgte.

"Okay...", Rune erkannte, dass es keinen Sinn machte, sein Schicksal anzufechten und es blieb ihm nur übrig, dieses mit Haltung einfach nur zu akzeptieren.

"Wie okay? Du nimmst das einfach so hin?"

"Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich hab mich hier mit meinem Verhalten heute sowieso schon ins Abseits geschossen, dann kann ich jetzt nicht wieder loslegen und meine Gunst in der Mannschaft verspielen", deklarierte Rune niedergeschlagen.

"Pffff! Das wär mir an deiner Stelle scheißegal! Da geh ich mit dem Kopf durch die Wand, da kämpfe ich mit allen Mitteln, da vergesse ich Freundschaften und stelle mich nicht hin und sag: ach, dann mach ich es eben, sonst ist vielleicht noch wer grantig mit mir!" belächelte Hendrik Runes aufopferungsvolles, selbstloses Verhalten und attestierte ihm damit fehlende Mentalität.

"Der ist bestimmt in Irene verliebt!" machte  Steffen seine Vermutungen bezüglich Runes Gefühlswelt publik und traf damit einen wunden Punkt.

"Was... was hast du da gerade gesagt?" Rune zeigte Zähne und sein Kopf errötete. Er konnte kaum fassen, mit welchen Anschuldigungen sein Freund da um die Ecke kam!

"Rune ist in Irene verliebt!" demütigte er ihn immer weiter und auch die anderen begannen, in Runes Blamage mit einzusteigen.

"Hör auf, das stimmt gar nicht!" Rune konnte mit solch einer Gruppendynamik nicht umgehen! Wieso musste Steffen so gemein sein?

"Rune plus Irene sitzen aufm Baum!", stimmte er den ersten Teil des Schmähliedes an und forderte die anderen mit Handbewegungen dazu auf, mitzugröhlen "und jetzt ihr!" gab er das Kommando.

"KNUTSCHEN RUM MAN GLAUBT ES KAUM!" Alle lachten, alle wischten sich Lachtränen aus den Augen, alle lagen sich glückselig in den Armen.

"Du bist doch so gemein!" kreischte Rune dem Mann entgegen, der seiner Meinung nach den Stein ins Rollen gebracht hatte. Steffen.

Den jedoch ließ Runes Angriff kalt und er begann kurz darauf, das nächste Lied anzustimmen:

"Ei, ei, ei was seh ich da! Ein verliebtes Ehepaar!"

Rune verließ langsam aber sicher die Kraft, Tränen der Traurigkeit verließen in unregelmäßigen Abständen seine Augen und er begann zu zittern. Er konnte nicht länger in der Stätte seiner größten Schmach verweilen. Er musste fliehen.

Begleitet von den Schmähgesängen seiner Teamkollegen riss er sich vom Boden los und flüchtete geschlagen aus der Halle...

HANDBALL ONE SHOTS (failfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt