Verbündete

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Jarvis war mir gestern eine Antwort auf den geplanten Familienbesuch schuldig geblieben, hatte mich stattdessen in den Schlaf geschickt. Es war nicht weiter verwunderlich. Nach meinem "Fehlverhalten" konnte man das vermutlich sogar als Teil der Strafe sehen. 

Allerdings musste ich zugeben, dass es mir jetzt deutlich besser ging. Trotzdem fühlte ich mich noch wie vom Lastwagen überrollt, während ich das Essen auf dem Teller hin und her schob. Ich war irgendwie noch immer bratfertig und am liebsten wäre ich deshalb einfach liegen geblieben, doch Jarvis hatte andere Pläne.

"Hmm.." Sein Blick landete auf meiner beinah unangetasteten Mahlzeit und er zog eine Augenbraue hoch. "Im Hungerstreik?"

Ich schüttelte matt den Kopf. "Nein.."

Zwischen uns herrschte seit unserem Gespräch gestern eine seltsame Stimmung. Ein wenig so, als wäre bereits alles gesagt und doch war die Stille voll mit den Dingen, die niemand von uns aussprechen wollte. 

"Gut. Iss auf. Wenn du fertig bist, machen wir einen kleinen Spaziergang. Wir sollten das letzte Tageslicht noch ein wenig ausnutzen, um deinen Kreislauf etwas in Schwung zu bekommen. Ich will, dass du wieder auf die Beine kommst. Du hast lang genug geschlafen."

Ich nickte. Auch wenn ich keinen großen Appetit hatte, zwang ich mich dazu, den Teller zu leeren. Es war besser, ihn nicht unnötig zu provozieren. 

Als wir später das Haus verließen schlug mir die feucht-kalte Winterluft entgegen. Fröstelnd vergrub ich das Kinn im dicken Schlauchschal, den er mir umgewickelt hatte. 

"Wo genau gehen wir hin?", fragte ich. Insgeheim hoffte ich, dass wir nicht lange unterwegs sein würden und ich einfach bald wieder ins Bett gehen konnte. Die kalte und feuchte Luft drang durch die Poren meiner Kleidung und ließ mich frösteln. 

Wieso musste es ausgerechnet vor Weihnachten immer dieses triste Tauwetter haben?

"Spielt eigentlich keine Rolle. Aber es gibt einen kleinen See in der Nähe mit ein paar Wasservögeln. Wenn du willst, können wir eine Runde drum herum drehen."

Ich verzog heimlich den Mundwinkel unterm dicken Winterschal, doch stimmte ihm brummelnd zu. Ein Spaziergang war besser, als dumm in der kälte rumzustehen und zu frieren und so folgte ich ihm wortlos. Tatsächlich führte der Weg, den er einschlug, an einem schmalen Bachlauf entlang, welcher schließlich in ein kleines Gewässer mündete. 

An einem anderen Tag hätte die Umgebung vielleicht sogar ganz romantisch gewirkt, doch heute verhinderte die dicke Wolkendecke über uns, dass die Wintersonne ihre Strahlen auf das Wasser warf und so wirkte der kleine See eher grau und trist. Ein paar der Stockenten verzogen sich wild schimpfend ins Schilf am anderen Ufer. Offensichtlich waren es diese Tiere nicht gewohnt, von Spaziergängern gefüttert zu werden und mieden zweibeinige Besucher.

Wir sahen den Enten nach, jeder tief in seine eigenen Gedanken versunken.

"Ich hab nachgedacht. Wegen Weihnachten", sagte Jarvis unverhofft. 

Ich sah überrascht auf, doch ermahnte mich selbst, nicht allzu große Hoffnungen zu hegen. Jarvis hatte die Hände in die Jackentaschen gesteckt und sich mir zugewandt. Seine dunklen Augen ruhten so still und tief auf mir wie das trübe Wasser zu unseren Füßen. Ich trat nervös von einem Bein aufs andere.

"Grant hat mich heute morgen angerufen und ich hab mit ihm darüber gesprochen. Er meinte, es würde dir mit Sicherheit gut tun, sie wiederzusehen, aber dass Weihnachten dafür eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt ist."

Ich war enttäuscht, obwohl ich versuchte, es nicht zu sein. Es fiel mir schwer, mich innerlich damit abzufinden, dass es lange dauern konnte, bis ich meine Familie wiedersehen würde. Und irgendwo in meinem Hinterkopf flüsterte eine arglistige Stimme. Wenn.. Falls ich sie wiedersah

In seinen FängenWhere stories live. Discover now