Du wirst es nicht bereuen

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Hinterm Haus führte ein Trampelpfad durch ein kleines Wäldchen. Es lag zwar kein Schnee mehr, aber die Umgebung um das Haus herum war trotzdem idyllisch. Immer wieder durchbrachen Lichtungen und größere Wiesen die Waldlandschaft. Wir gingen schweigend den Weg entlang. Ein paar Vögel schimpften, als sie unsere Schritte hörten. Aufgeregt stoben sie durch die Baumkronen.

Neben mir ertönte plötzlich ein leises Knacken. Ich blickte mich suchend um. Es dauerte eine Weile, bis ich die Quelle des Geräusches ausmachen konnte. Ein paar Rehe drückten sich heimlich durchs Unterholz davon. Ich beobachtete die Tiere, wie sie sich leise aus dem Staub machten. 

Sie waren frei, ging es mir durch den Kopf. Sie konnten gehen, wohin auch immer ihre Läufe sie trugen. Mit einem Mal war ich neidisch auf die kleinen Wildtiere.

"Eines muss man In-Su lassen, er hat wenigstens Geschmack. Das hier war sicherlich mal sowas wie ein alter Truppenübungsplatz, oder?", fragte Adrien.

"Keine Ahnung", sagte ich. "Jarvis hat mich gethrallt, sodass ich mir nie merken kann, wo wir eigentlich genau sind."

Er pfiff anerkennend durch die Zähne. "Das muss ewig gedauert haben. Du bist total schwer zu beeinflussen."

Ich überlegte. "Ist es normal, dass ich mich daran nicht erinnern kann?"

"Kommt auf den jeweiligen Thrall an." Adrien zuckte mit den Schultern. "Vermutlich hat er es getan, als er dich gesund gepflegt hat. Wenn ein Mensch im Halbschlaf ist, dann geht es wesentlich einfacher."

Grant wartete, bis wir wieder zu ihm aufschlossen. "Es gibt etwas, über das ich mit dir reden wollte, Bea. Das Preystalking hat bei dir ziemlich gut funktioniert. Zumindest hast du dadurch keine Angst vor Progenitoren mehr."

Er deutete vielsagend auf Adrien. "Jeder normale Mensch wäre schon lange davongelaufen. Aber der Abwehrinstinkt bei dir ist bereits vollkommen verschwunden. Das ist ziemlich gut."

"Ich schätze schon..."

"Aber alles andere läuft überhaupt nicht nach Plan. Ich hatte bereits ein paar Gespräche mit Jarvis über deine ersten Wochen bei ihm. Ich kann dir versichern, dass du es ihm nicht leicht gemacht hast. Und ich meine damit ganz explizit die Zeit, bevor ihr auf dem Nachhauseweg aneinander geraten seid."

Ich blieb stehen, sah den Arzt mit großen Augen an. Meinte er das gerade wirklich ernst? Ich sah abwechselnd zwischen ihm und Adrien hin und her. 

"Er hat mich entführt und mir gedroht. Ich hab mich kaum getraut, überhaupt den Mund aufzumachen", sagte ich fassungslos. "Was ist daran denn ungewöhnlich?"

"Bei Roger und mir lief es deutlich unproblematischer ab. Aber wir waren auch in einer etwas anderen Situation als du und In-Su." Adrien kratzte sich am Kopf. "Man kann euch beide nur schwer vergleichen. Als ich ihn gefunden hab, war er noch ein Kind."

Oh Gott! Er war Prey, seitdem er ein Kind war! Ich tat mein Bestes, um meinen Horror zu verbergen, doch die Gesichtszüge entgleisten mir trotzdem. Adriens Augen weiteten sich.

"Halt, das kam vollkommen falsch rüber! Sein Vater war schwer alkoholsüchtig und gewalttätig, ein fürchterlicher Mensch. Roger war vernachlässigt und alleine. Ich musste ihn da einfach rausholen!"

"Du willst mir erzählen, dass du ihn gerettet hast?" Adrien nickte eifrig.

"Indem du ihn von klein auf dazu gezwungen hast, dein Prey zu werden?", fragte ich weiter.

Der Vampir hob die Hände, als müsste er mir seine Unschuld beweisen. "Du kannst ihn ja selber fragen, wenn du mir nicht glaubst. Ich schwöre, dass ich ihn gerettet habe, Bea. Ich hab seinem Vater vorgeschlagen, dass ich Roger als Pflegekind adoptiere, gegen Geld. Er hat zugestimmt, aber dieser Mann..."

In seinen FängenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt