Tag 4: Nichts für kleine Kinder

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Ich weiß nicht genau warum ich zögere, aber ich tue es.
Ich stehe vor der Leiter, welche nach oben in den Dachboden führt und scheine mich einfach nicht dazu überwinden zu können da hoch zu gehen.
Wieso auch immer.

Menschen zu töten, selbst meine eigene Familie, ist ein Kinderspiel, aber einen Dachboden anzuschauen stellt ein Problem da. Super.

Genervt knurre ich.
Das passiert im Moment übrigens immer öfter, als wäre ich halb Tier oder sowas.
Mein Blick fällt erneut auf die eiserne Leiter vor mir.

Wenn ich die Luft ganz tief in meine Lunge ziehe kann ich sie riechen. Meine Eltern.
Ich rieche ihren Schweiß, Lavendel und Adrenalin. Angst, Wut, Verzweiflung. Es ist faszinierend.

Nach und nach fällt mir immer mehr auf wie wenig ich und mein Bruder eigentlich wussten. Naja, er wirds wohl nie erfahren aber ich hab zumindest ne Chance, nicht wahr?

Schulterzuckend greife ich einfach nach der erst besten Sprosse und beginne mich hochzuziehen.
Scheiß auf meine von mir selbst ermordeten Eltern.
Auf zu neuen Abenteuern.

Ich muss fast über mich selbst lachen. Es scheint als würden alte, menschliche, Wesenszüge wieder zu Tage kommen, aber nichts an meiner mangelnden Empathie für Menschen ändern.
Es ist interessant wie schnell ich mich nicht mehr zu ihnen zugehörig fühle.

Es dauert nur Sekunden bis ich an der Luke, welchen den Eingang in den Dachboden darstellt angekommen bin.
Eine Art Aufregung breitet sich in mir aus. Könnte aber auch Vorfreude sein eine Regel zu brechen die ich in all den Jahren meines Lebens nicht mal zu berühren gewagt hatte.
Es kommt wie fast vor wie meine persönliche erste Betretung des Mondes.

Wie war das gleich? Ein kleiner Schritt eines Mannes, aber ein großer für die Menschheit?
Ich weiß es nicht mehr... und ich sollte aufhören mich davor zu drücken endlich den Ort zu betreten an welchem vielleicht alle Antworten auf meine Fragen versteckt sind.
Ich sollte endlich herausfinden was ich wahrhaftig bin, denn meine Existenz erinnert eher an die eines Monsters als die eines Vampirs.

Zumindest wen man bedenkt wie Vampire in den Medien dargestellt werden.
Sollte ich mich persönlich angegriffen fühlen wie falsch die Menschen meines gleichen zeigen?
Gibt es Rasissmus gegen Vampire?

Ich bin kurz davor mir selbst eine zu verpassen.

"Verdammte scheiße, jetzt geh endlich da hoch." flüstere ich mir selbst wütend zu.
Es wird an der Zeit die Regeln meiner Eltern endgültig abzuschütteln.

Tief atme ich ein, kneife meine Augen zusammen und starre konzentriert auf meine linke Hand, während ich mich mit der rechten noch an der Leiter festhalte.
Ich sehe dabei zu wie sich meine Finger langsam verändern.
Sie werden länger und knochiger. Meine Fingernägel fester, dann verwachsen sie zu langen scharfen Krallen.

Fasziniert beobachte ich den Prozess. Das ist spannender als jeder Film, den ich je gesehen habe. Wie sieht es dann erst aus wenn sich der Rest meines Körpers verwandelt?
Ich sollte einen Ganzkörperspiegel in meinem Wohnzimmer aufstellen, oder das Ganze filmen oder sowas.

Noch eine Sekunde länger betrachte ich meine Monsterhand, dann beginne ich mit meiner Mission.
Zuerst muss die Luke aufgebrochen werden. Da diese verschlossen und aus Stahl ist, würde sich das normalerweise als echt schwierig gestalten, aber mit meinen neuen Fähigkeiten sollte es hoffentlich ein Leichtes für mich sein.

Ich atme ein letztes Mal tief ein dann hole ich aus und schlage mit all meiner Kraft auf den Stahl in der Hoffnung, dass dieser nachgibt.
Doch alles was passiert, ist dass eine Delle entsteht.
Diese ist zwar ziemlich tief, aber reicht definitiv nicht aus um das hier als Erfolg zu bezeichnen.
Nicht zu vergessen, dass sich ein dumpfer Schmerz in meiner Hand ausgebreitet hat.

Meine Zähne zusammenbeißend bereite ich mich darauf vor das Ganze noch ein zweites Mal zu machen.
Also auf geht's.
Erneut hole ich aus und schlage mit allem was ich habe gegen die Luke.

Ein metallisches Knirschen erklingt, dann brechen meine Krallen durch das Metall.
Jeder Muskel in meinem Arm spannt sich bis aufs Äußerste an, so dass ich Angst habe dass sie gleich zerreissen.
Würde eh nichts machen, da das sowieso gleich wieder heilt.

Mit einem tiefen Knurren reiße ich die Luke aus ihrer Halterung und schleudere sie auf den Boden.
Mit einem lauten Krachen kommt diese dort auf.
Eine gespenstische Stille folgt, in der sogar ich den Atem anhalte, als würde ich nur darauf warten, dass meine Eltern zum Leben erwachen und hier her sprinten um mich anzuschreihen.

Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen weht mir eine merkwürdige Kälte und ein starker Geruch entgegen.
Ich ziehe die Luft tief ein, lasse sie mir auf der Zunge zergehen, um festzustellen nach was es so fürchterlich stinkt.

Das Endresultat meiner Analyse ist durchaus sehr beunruhigend.
Es riecht nach Tod und Lavendel und das nicht gerade sanft.
Der Geruch bricht über meine Sinne herein wie ein Tsunami, als würde er mich davon abhalten wollen den Raum zu betreten.

Ich weiß einfach, was auch immer meine Eltern da oben getrieben haben, war definitiv nichts für kleine Kinder, denn jede Faser meines Körpers schreit danach dem Dachboden meinen Rücken zuzukehren, die Leiter wieder nach unten zu steigen, mir eine Netflix Serie reinzuziehen und das ganze hier zu vergessen.

Vielleicht sollte ich das tatsächlich tun, aber wann habe ich mich je dafür interessiert was besser für mich wäre?
Außerdem ist meine Neugierde kein bisschen gestillt und durch den beißenden Geruch erst recht angefacht worden.

Nichts hält mich jetzt noch auf. Ich kann offensichtlich fast nicht sterben, also ist jede Angst unbegründet.

Normalerweise hätte ich jetzt das Bedürfnis noch mal tief einzuatmen, aber unter diesen Umständen vermeide ich das lieber, um nicht kotzen zu müssen.
Der Lavendel ist echt das Letzte.

Ich zögere noch einige Sekunden, dann ziehe ich mich die letzte Sprosse der Leiter nach oben und betrete den Dachboden.

Mein vorheriges Gefühl stellt sich als absolut wahr heraus.
Was meine Eltern hier gemacht haben, ist definitiv nichts für kleine Kinder.

INFINITUS- Der Tod holt mich niemals ein [a vampire love story 18+]Where stories live. Discover now