31: Der Schlüsselreiz

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"Gally. Was hat dein Arbeiter zu dem Vorfall gesagt?", fragte Alby und Gally lachte kalt auf. "Gesagt? Nichts, der Junge liegt halb im Koma" Mein Blick glitt zu Newt, der sich vehement ein Grinsen verkneifen musste. Ich wusste, dass er beeindruckt war auch wenn er es nie zugeben würde. Kurz lächelte ich, als mich auch schon wieder die Realität einholte. "Was genau hat sie-" "Ihm den Arm ausgerenkt, eine Rippe gebrochen und sonstige Weichteile beschädigt", unterbrach der Hüter der Baumeister Alby, der jetzt nachdenklich zu mir sah. Doch ich verzog nur überrascht mein Gesicht. Gebrochen? Eine Rippe? Das klang ernster, als ich meinen Wutausbruch in Erinnerung hatte. "Hat jemand mitbekommen, wie genau das zustande gekommen ist?" Winstons Hand schnellte beinahe wie ein Pfeil in die Höhe und ich verengte meine Augen zu Schlitzen. Wer auch sonst? Gally hatte, mittlerweile unleugbar und offensichtlich, auf ihn Einfluss genommen. Warum mein Hüter jedoch auf ihn hörte, war mir nicht klar. Ich hatte erwartet, das er sich auf meine Seite schlagen würde, immerhin mochte er mich. "Sie hat das Opfer grundlos angegriffen und ihn ohne Hemmungen mehrmals getreten, um ein Haar hätte sie ihn umge-" "Ich hatte einen Grund!", fuhr ich auf und sprang von meinem Hocker. Alle Blicke schnellten zu mir aber ich würde nicht kampflos aufgeben. "Er hat Chuck beleidigt und geärgert! Und ich hätte ihn auf gar keinen Fall umgebracht! Außerdem hab ich ihn nicht fest getreten und-" "Ein Mädchen in deinem Alter sollte nicht wie ein wild gewordenes Tier auf Andere losgehen, nur weil sie es-" Gally hob die Hände und schnitt eine Grimasse. "-geärgert haben" Ich riss wütend den Mund auf, doch zustimmende Rufe erklangen von den anderen Hütern und übertönten meine Worte. Newt jedoch blieb stumm und beobachtete die sich ihm bietende Szene. "Ruhe!", rief Alby und sofort verstummten wir, langsam lies ich mich wieder auf meinem Hocker nieder als ich des zweiten Anführers Blick bemerkte. Ich verstand - ich musste mich benehmen, wenn sie mich ernst nehmen sollten. "Frischling. Schildere deine Sicht", wandte sich Alby nun an mich und ich holte tief Luft. Das war womöglich meine einzige Chance. "Der Junge hat mich provoziert und solange gestichelt, das es nicht einmal das sanfteste Gemüt hätte aushalten können" Gally schnaubte doch unbeirrt redete ich weiter. "Dann, als er Chuck beleidigt hat, bin ich losgerannt und hab ihn nur geschubst" Verharmlosen war eine gute Strategie. "Was kann ich dafür wenn er umfällt? Jedenfalls ja, ich hab ihn getreten aber nur dreimal und nicht fest" "Und der Arm?", fragte Alby und ich erinnerte mich an meine Folter. "Ähem... Ich wollte, dass er sich das merkt" "Super. Also nicht super aber danke Frischling", ergriff mein Anführer schließlich wieder das Wort und richtete sich an die Hüter. "Sie hat die Regeln gebrochen- ja. Aber sie hatte einen Grund, Fred hat sich nicht zügeln können-" "Aber-!" "Ruhe", würgte Alby Gally ab und ich konnte mir einen genugtuenden Blick auf den Baumeister nicht verkneifen. Er sollte sein Mundwerk etwas zügeln, schließlich war Alby unser Anführer. "Fred hat übertrieben und der Frischling auch. Ich kann beide Seiten sehen und verstehen. Der Frischling hat klar eine Grenze überschritten, aber so hat es auch Fred. Ich denke wir können sie ohne Strafe gehen lassen" "Strafe! Strafe! Strafe!", riefen die Lichter im Chor und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Unverschämte Idioten, Alby hatte Recht gehabt. Ich hatte zwar die Regeln gebrochen aber Fred hatte es provoziert. Das war genau sein Ziel gewesen. Ich wollte aufspringen und mich lauthals verteidigen, als ich plötzlich Newts Blick auffing. Kaum merklich schüttelte er den Kopf und ich lockerte meine Schultern etwas. "Was für eine Strafe?" "Eine Woche im Loch ohne Essen!", rief der Hüte der Hackenhauer, Zart, und zustimmende Rufe untermalten seine Worte. Die wildesten Strafen wurden aus allen Ecken gebrüllt und ich spürte, wie die Fassade meiner Kontrolle unaufhaltsam zu bröckeln begann. Ich wurde so unglaublich ungerecht behandelt. "Verbannung!" "Die härtesten Strafarbeiten!" "Wäsche machen!" "Ich würde sagen-"      
Augenblicklich trat Totenstille ein, als Newt sich erhob und zu Alby hinauf auf das Podest sah, von welchem der Anführer die Versammlung leitete.
"-Einen Tag im Loch ohne was zu Essen" "Einen Tag im L-  Ach jetzt komm schon Newt! Denkst du das wird sie davon abhalten weitere Lichter anzufallen?", rief Gally wütend und fuhr auf. "Nein. Deshalb empfehle ich, euch eure Anfeindungen zu sparen sonst ist bald die Krankenstation voll" Newt und Alby grinsten sich kurz an und erleichtert atmete ich aus. Die beiden höchsten Autoritäten waren auf meiner Seite. "Damit ist es entschlossen. Einen Tag im Loch ohne was zu Essen, morgen bei Sonnenaufgang beginnt deine Sitzung Frischling. Die Versammlung ist beendet, auf zum Essen!" Froh über die Leichtigkeit meiner Strafe seufzte ich auf und sprang vom viel zu hohen Hocker, um zu Newt zu laufen, der wartend am Ausgang stand. "Danke", murmelte ich und Newt grinste. "Hast den ja ordentlich erwischt" Ich wusste, das er von meinem Opfer auf der Krankenstation sprach und rollte mit den Augen. "Kann man so sa-"
Plötzlich fiel mein Blick auf Winston, der sich schnell vor mir weg drehte doch ich hielt ihn am Ärmel fest. "Was zur Hölle sollte das Winston?!" "Was denn?" Ich konnte es kaum glauben, wie unschuldig er tat. "Frischling komm", hörte ich Newt hinter mir und seine Hand legte sich auf meine Schulter. Winstons Blick lag für eine Millisekunde auf dem Griff doch er entschloss sich, nichts zu sagen. "Ich hab keine Ahnung wovon du redest" "Du bist mir total in den Rücken gefallen!" Winston rollte seine Augen und verschränkte seine Arme. "Was hab ich dir überhaupt getan?!" Meine Stimme wurde lauter und ich fühlte, wie sich meine Wangen erhitzten. "Du bist einfach-" Der Hüter der Schlitzer verstummte, als er auf Newt sah und drehte sich herum. "Ist es weil du mich mal mochtest?", rief ich ihm hinterher und plötzlich erstarrte er. "Und jetzt tust du es nicht mehr?" Langsam drehte sein Oberkörper sich zurück in meine Richtung und unsere Blicke trafen sich. "Ich- also- nein- also ja ich meine-", stotterte er und seine Wangen nahmen einen seichten Rotstich an. Er mochte mich also doch noch. Warum reagierte er dann so auf mich? "Jetzt komm", knurrte Newt dicht an meinem Ohr, nahm mich am Unterarm und zog mich von Winston weg in Richtung Essensplatz. Ich wusste, das sich die Beiden hassten. Wortlos stapfte ich hinter dem zweiten Anführer durch das nasse hohe Gras in den Nebel hinein und achtete darauf, nicht auf den nassen Halmen auszurutschen.

Zwei Stunden später lag ich erschöpft auf meinem Bett und lauschte Newts Murmeln, der nach einem passenden Shirt zum Schlafen für mich suchte. Das Alte war mir zu kalt und kurz. "Hier", murmelte er schließlich erleichtert und ich öffnete die Augen, als er mir einen Pullover zuwarf. Langsam erhob ich mich und faltete ihn auseinander, um einen Blick auf das Motiv zu bekommen. Eine Katze, die auf einer Schaukel saß und ein blauer See- Es geschah urplötzlich. Tausende Bilder rasten vor meinem inneren Auge vorbei. Lampen an der Decke, Vorhänge, riesige Bildschirme, ein Labyrinth, ein Haus, eine blonde Frau - und ein Name- "Y/N!", schrie ich laut und sprang vom Bett. "MEIN NAME! ICH HEIßE Y/N!" Newt blickte mich verdutzt an und runzelte die Stirn. "ICH WEIß WIEDER WIE ICH HEIßE! "

Verborgen im SchattenWhere stories live. Discover now