Heilung

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Ich ignoriere alles um mich herum, die aufgeregten Männer, der Tumult neben mir, sogar Eliandro. Das Einzige, was für mich zählt, ist, die Angreifer endlich alle zu töten. Schützend haben die Männer Eliandro umringt, auch ich stehe in der Umzingelung, als wäre ich sein Bodyguard. Am Tor wütet noch immer eine erbitterte Schießerei, es sind anscheinend doch mehr Männer über die Straße gekommen, als ich dachte.

„Gebt mir Deckung", rufe ich den Männern zu und breche nach vorne – ohne Schutzweste, ohne Jacke. Die Kälte nehme ich jedoch gar nicht war, das Adrenalin lässt meinen Körper auf Hochtouren laufen.

Die Schüsse kommen alle aus der Nähe der Bäume. Als ich etwas weghuschen sehe, schieße ich. Ein Schrei bestätigt meinen Treffer. Dann endlich habe ich den Torpfosten erreicht, den einzigen Schutz, den es hier gibt. Von hier aus kann ich ausmachen, dass es sich nur noch um zwei Angreifer handelt, einer rechts, einer links. Um beide zu erschießen, gibt es nur einen Standort: in der Mitte der Straße vor dem Tor. Allerdings wäre es wahnsinnig sich dorthin zu begeben; auf der anderen Seite aber verbluten Männer. Mit Mina habe ich schonmal ein solches Szenario geübt. Sie predigte hierbei, ich solle mich mit einer Rolle nach vorne bewegen, damit keine eindeutige Schussbahn entsteht. Schlussendlich aber benötigte ich zwei Waffen, da ich beide gleichzeitig ausschalten muss – im Gegensatz zur Rolle traue ich mir das zu. Die zweite Waffe habe ich mir schnell organisiert, einem verletzten Wachmann abgenommen. Die Angst um Eliandro treibt mich schließlich dazu an, das Unmögliche zu versuchen. Also fordere ich die noch fitten Männer dazu auf, mir Deckung zu geben. Aus dem Augenwinkel kann ich noch erkennen, wie Francesco in meine Richtung läuft, wild gestikulierend, ich solle nichts tun. Ich ignoriere seine Gesten jedoch und laufe los. Sofort wird auf mich geschossen, doch ich vollziehe die Rolle, sodass der erste Kugelhagel mich nicht trifft. Gerade jedoch beende ich diese und möchte meine Waffen auf die Beiden richten, trifft mich eine Kugel am Arm – wahrscheinlich ein Streifschuss. Ich habe keine Zeit nachzusehen. Trotz der starken Schmerzen im rechten Oberarm, reiße ich meine Arme nach oben, strecke die Ellbogen durch und schieße; jeder Schuss ein Treffer.

Auch nachdem ich nun das Massaker beendet habe, interessiert mich nicht meine Verletzung. Zwar habe ich starke Schmerzen, aber so richtig nehme ich diese gar nicht wahr. Ich laufe zurück zu Eliandro, um den ein ganzer Pulk Menschen steht und kniet. Durch diesen kämpfe ich mich hindurch und sehe das erste Mal einen schwachen Eliandro mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ein Mann drückt ihm ein Oberteil auf seinen rechten Schulterbereich, was sich schon rot gefärbt hat. Eins steht für mich fest: Mein Schubsen hat ihm das Leben gerettet. Obwohl ich jetzt weiß, dass er lebt und sogar noch bei Bewusstsein ist, falle ich auf die Knie und fange bitterlich an zu weinen. Die ganzen Gedanken, Ängste, die ich in den vergangenen Minuten unterdrücken musste, überwältigen mich. Ich höre Eliandros Stimme, doch ich kann seine Worte nicht verstehen. Auch Francesco spricht, doch auch seine Worte dringen nicht zu mir.

Schließlich ist es Francesco, der mich nach einer unbestimmten Zeit vom Boden regelrecht aufhebt. Dabei löst er die Waffen aus meinen Händen, die ich noch immer umklammere, und überreicht sie einem nebenstehenden Mann. Anschließend bringt er mich ins Haus, obwohl ich mich unkontrolliert wehre. Damit hat er jedoch keine Schwierigkeiten, meine Bewegungen sind viel zu unkoordiniert, um etwas gegen ihn auszurichten. Er bringt mich in das Zimmer, das einem Operationssaal gleicht. Hier hat Eliandro vor Wochen meine Schnittverletzung versorgt. Dort legt mich Francesco auf der Liege ab und nimmt meine Schussverletzung in Augenschein.

Irgendwie erleichtert, murmelt er: „Colpo di striscio." Auf meinen fragenden Blick hin, übersetzt er: „Streifschuss."

Mich hat es demzufolge bei weitem nicht so schlimm erwischt wie Eliandro. Allmählich klärt sich mein Verstand. Neben der Erkenntnis, dass ich Eliandro das Leben gerettet habe, wird mir noch etwas klar: „Ich hätte flüchten können, habe aber lieber mein Leben riskiert, um das von Eliandro – meinem Käufer – zu schützen. Ein größeres Liebesgeständnis hätte ich nicht machen können."

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