Italien

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Mit einer Dose Ravioli, dem entsprechenden Öffner und einem Holzlöffel, den ich durch Zufall gefunden habe, setze ich mich unterhalb des Fensters an die Wand. Eine weise Entscheidung, wie sich später herausstellt, denn jemand leuchtet mit der Taschenlampe in das Zimmer. Grinsen muss ich allerdings über die Naivität der Entführer: sie rufen meinen Namen – als ob ich freiwillig ‚hier' rufen würde. Genüsslich leere ich die Dose Ravioli und schnappe mir im Anschluss noch eine Dose Pfirsiche, ganz nach dem Motto: „Paar Vitamine schaden nicht." Trotzdem komme ich mir wie ein ausgehungerter Wolf vor – so viel habe ich noch nie auf einmal gegessen.

Eine laute, bekannte Stimme lässt mich zusammenzucken: „Sie ist über den Baum hier aufs Grundstück. Sucht gefälligst jeden Quadratzentimeter ab! Ich habe nicht umsonst so viel Geld für dieses Gör bezahlt! Wieso haben sich die Fenster überhaupt öffnen lassen?" Irgendjemand erwidert irgendetwas, woraufhin er schreit: „Das Tor vorne ist geschlossen, lässt sich aber öffnen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie da durch ist?"

Daraufhin verstummen die Stimmen und ich höre wieder nur Schritte. Ich bleibe derweil regungslos sitzen, da ich weder nach draußen noch ins Haus kann. Der Schlüssel steckt leider auch von außen nicht. Wahrscheinlich bedient sich sonst irgendwer ungefragt an den Vorräten. Daher kann ich keine Hilfe rufen und stattdessen nur beten, dass mich niemand hier findet. Obwohl ich vor der Auktion geschlafen habe, macht mir meine Müdigkeit zu schaffen. Immer wieder fallen mit die Augenlieder zu und ich falle in einen Sekundenschlaf, bei dem ich mich gefährlich weit nach vorne neige. Die Entführer werden sicherlich nochmal in das Zimmer leuchten, so wie Eliandro sie angefahren hat. Ich ändere daher meine Position, als mir eine Decke ins Auge fällt. Da ich weder Stimmen höre noch einen Lichtkegel sehe, schnappe ich mir diese blitzschnell, breite sie vor dem Fenster auf dem Boden aus und lege mich darauf. Mit der übrigen Hälfte decke ich mich zu. In dem einigermaßen entspannten Zustand spüre ich meine Schmerzen sehr deutlich. Mein gebrochenes Fußgelenk pocht, die Schürfwunden brennen am ganzen Körper und meine Kopfschmerzen drohen meinen Kopf zu zersprengen. Kaum habe ich meine Augen geschlossen, drifte ich auch schon wieder in den Schlaf ab.

Mich schreckt Eliandros Stimme auf, dessen Forderung definitiv mir gilt: „Entweder du kommst aus deinem Versteck und deine Strafe wird Milde ausfallen oder ich brech' dir die Knochen – ganz deine Entscheidung."

Ich denke gar nicht daran auf seine Forderung einzugehen. Ein gebrochenes Fußgelenk habe ich sowieso und zahlreiche Schürfwunden, die teilweise sogar recht tief sind. Ihn und seinen darauffolgenden frustrierten Schrei ignoriere ich gekonnt und schlafe binnen Sekunden wieder ein.

Das nächste Mal werde ich durch das Klopfen an der Scheibe geweckt. Von draußen dringt bereits schwaches Tageslicht in die Vorratskammer. Wieder klopft es und ich begreife, was das heißt: „Sie haben mich gefunden." Panisch drücke ich mich an die Wand, in der Hoffnung, die Entführer hätten nur einen Verdacht.

„Helena, öffne das Fenster!", fordert Eliandro lautstark mit säuerlichem Ton. Natürlich bewege ich mich nicht vom Fleck, was ihn noch wütender macht: „Entweder du öffnest das Fenster oder ich trete es ein. Überleg dir also zweimal, ob du die Scherben abbekommen möchtest."

„Woher zum Teufel weiß er, wo ich bin?"

Meine Frage beantwortet er mir etwas ruhiger, obwohl ich sie nicht laut gestellt habe. „Ich weiß, dass du da drin bist. Die Blutspur führt hierher."

„Blutspur?" Hektisch suche ich meinen Körper nach Blut ab. Meine Schürfwunden dürften keine Spur hinterlassen haben. Als ich meinen Arm ansehe, schließe ich vor Frust kurz meine Augen und atme tief ein und aus. Die Dornen haben nicht nur Eliandros Verband zerstört sondern die Wunde auch wieder aufreißen lassen. Ein energisches Klopfen lässt mich den Entschluss fassen, das Fenster zu öffnen, auf die Scherben kann ich gerne verzichten. Eine Chance meinem Entführer zu entkommen, habe ich nicht mehr. Obwohl ich gegessen habe, fühle ich mich sehr schwach, was wohl auf die Verletzungen zurückzuführen ist. Beim Aufstehen zische ich vor Schmerz auf und versuche den gebrochenen Fuß nicht mehr zu belasten. Langsam öffne ich das Fenster, setze mich dann aber sofort wieder hin. Ich möchte eine direkte Konfrontation so lange wie möglich hinauszögern. Außerdem kann ich nicht gut auf einem Bein stehen.

HELenAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt