2. - Gefühle

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 04. April 2012

Turnhalle der Aoba-Johsai-Oberschule
>POV: Hajime Iwaizumi<

Seine Haare standen zu allen Seiten ab, als er wieder auf dem Boden, nach dem Spike landete. Dieser Anblick ist ungewohnt. Ich sollte aufhören, so versessen auf ihn zu sein. Ja, ich bin sein bester Freund und als sein Teamkamerad bin ich stolz auf ihn, doch das was in mir los ist, ist nicht okay. Er zieht einfach jeden in den Bann, damit meine ich nicht nur die Mädchen, sondern auch mich. „Oikawa!", rief Yahaba. Meine Augen fixierten den rasanten Ball an, der ins Aus flog, doch Tooru rannte mit aller Kraft dahin, um den Ball noch zu einer Vorlage für Makki zu verwandeln. Er will immer das Beste aus allem rausholen. Schon gierig sah ich zu meinem Teamkollegen, der absprungbereit vor dem Netz war. Statt ein Knall des Balles ertönte ein Krachen und mein Kopf schnellte in die Richtung der Katastrophe. Er lag am Boden. Oikawa ist gestürzt bei seinem Zuspiel. Sein erstes Zuspiel, was er vermasselt hat. Das passierte nicht mal, wenn Kazumi ihn von der Tribüne aus beobachtete oder ihn anschrie. Selbst wenn sie stritten, es änderte nichts an seinem Zuspiel, doch seit einiger Zeit benimmt er sich seltsam. „Fuck, was ist passiert!" Adrenalin schoss in meine Venen und ich spürte wie ein Kloß in meinem Hals wuchs. Ich rannte zu dem Idioten. „Oikawa!" Meine Hände zitterten. Vorsichtig lege ich ihn auf sein Rücken, wodurch ich sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. Seine sonst makellose Haut hatte Falten und ich erkannte sogar Augenringe, die aber zuvor wahrscheinlich durch Make-up verdeckt wurden. In diesem Bild von ihm waren zu viele Fehler. Fehler die den echten Tooru ausmachten. „Rede, du Schwachmat! Kindaichi, hol ein Kühl-Akku!" Der Erstklässler wurde sofort panisch, aber er rannte los. Zum Glück kann einer auf mich hören. Ich sagte ihm so oft, er solle sich eine Pause gönnen, doch es wäre nicht Oikawa, hätte er auf mich gehört. Manchmal hasse ich meinen sturköpfigen Idioten. Nein, das ist nicht richtig. Ich könnte ihn nie hassen und gehört er mir auch nicht. Die Realität sieht anders aus. „Mein... Mein Fuß", krächzte Tooru und ich wurde noch nervöser. Er richtete sich langsam auf, allerdings stütze ich ihn, damit er sich auf eine Bank setzten konnte. Ich wollte ihn nie geschädigt sehen, auch wenn ich ihn oft schlug, beleidigte oder auslachte, aber wenn er zum Beispiel fiel, lag in mir immer ein Stein der Sorge. Ich will nicht, dass er seinen Traum aufgibt. „Ich bin beim Zuspiel umgeknickt", erklärte er zischend. Sein Fuß, welches schon bei seinem letzten Aufschlag umgeknickt ist, ist nun blau und angeschwollen. Das ist nicht gut! Ihm ist doch sein Traum so wichtig, das darf nicht sein. „Ich kann ein Krankenwagen rufen", bat unser Trainer an, doch Tooru winkte, wie immer, ab. Er will sich echt keine Blöße geben. Das macht mich noch aggressiver! Ich will ihm nur helfen, doch er nimmt nie etwas an. Er tut so, als wäre er nur auf sich allein gestellt, obwohl er weiß, dass Volleyball ein Teamsport ist. Bastard. „Hier, Oikawa-san." Kindachi reichte ihm den blauen Beutel, den er sofort auf seinen Fuß legte. Ich wollte mein Arm von seinem Körper nehmen, doch seine Hand verkrampfte sich in mein T-Shirt, wodurch ich dieses Vorhaben ließ. Diese Geste brachte mich etwas aus dem Konzept, aber ich freute mich. Sein Geruch brannte sich in meine Nase ein. Ich konnte es nie wirklich beschreiben, doch am ehesten kommt Joghurt und Zitrone daran. Tooru riecht nach Zitrone. Mist, ich soll aufhören daran zu denken! Blende es aus Gehirn, sofort! Er ist ein talentierter Spieler, seit unserer Kindheit, doch er ist ein genauso großer Idiot, der seine Grenzen nicht kennt. Er ist der Idiot, der meine Gedanken einnimmt, wie ein Tumor wird man ihn nicht los. Auch wenn er gutartig ist. „Oikawa, lass es für heute, ich bring dich in die Umkleide und dann kannst du deine Schwester anrufen", sagte ich ihm, doch er hob sein Kopf nicht. Was tust du dir nur an? Ich verstehe, dass er Ziele hat, dabei unterstütze ich ihn auch, aber das ist schon übertrieben. Ich will ihn nicht wegen Volleyball verlieren. Ich stand mit ihm zusammen auf, damit ich ihm beim Laufen helfen konnte.

„Wieso reicht das nicht?" Seine Stimme war nur ein Wispern, doch ich verstand es vollkommen. Mein Herz verkrampfte sich. Ich will ihn doch nur glücklich sehen. Ich öffnete mit meiner rechten Hand die Tür und schleppte ihn in den leeren Umkleideraum rein, wo ich ihn auch absetzte. Seine sonst perfekten Haare fielen ihm ins Gesicht. Manchmal siehst du so zerbrechlich aus und dann will ich dich einfach nur beschützen. Wie damals, als wir den Wald, als wir jünger waren, erkundet haben. Du hattest vor allem Angst und klammertest dich an mich. Jetzt will ich einfach nur, dass du meine Hilfe annimmst. Ich will wieder dein Beschützer sein. „Ich strenge mich doch schon an." Ich weiß! Das reicht doch auch! Ich will doch nur, dass wir unbeschwert Volleyball spielen können. „Wieso bin ich nicht genug?" Er hob sein Kopf und unsere Augen trafen sich. Seine schokobraunen Augen, die mir immer Komfort und Ruhe schenkten, waren nun in einem dunkeln Schleier verpackt. In ihnen sah ich seine jahrelange Wut und Enttäuschung. Diese Augen gehören nicht mehr dem Jungen Tooru, sondern einem besessenen Sportler. „Du bist genug! Du machst doch schon alles perfekt! Du bist für jeden ein Vorbild, Tooru! Für mich bist du mehr als nur genug." Ich machte mir nichts daraus, jenes ausgesprochen zu haben. Er soll es ruhig wissen, auch wenn ich es selbst noch nicht verstehe oder gar akzeptiere. Wir sind beste Freunde und ich muss die Veränderung in mir offen zeigen. Gott, Gefühle sind so anstrengend. „Ich strenge mich doch an un-..." „Du bist perfekt! Hör mir doch mal zu!" Meine Hand schnellte nach vorne. Ein Kribbeln breitete sich auf meiner Handfläche aus, als ich ihn berührte und erst als ein Klatschen ertönte, merkte ich, dass ich ihm eine Ohrfeige verpasst hab. In seinen Augen füllten sich die Tränen. Meine Beine gaben nach und ich kniete mich vor ihm hin. Meine Hand wanderte zu seinem Hinterkopf und mit wenig Druck zog ich ihn zu mir. Toorus Lippen entfuhr ein Schluchzen, weshalb er sein Gesicht in meiner Halsbeuge versteckte. Meine Hände zitterten, dennoch versuchte ich ihm beruhigend über den Rücken zu streichen. Ich werde dich beschützen und unterstützen, das verspreche ich dir.

In meinem Magen machte sich ein Chaos breit. Meine Haut, die seine berührt, brennt. Mein Mund ist trocken. Mein Gesicht glüht. Alles in mir schreit danach, dass etwas nicht stimmt. Wieso fühle ich mich nur so? Wieso kann es nicht mehr so sein, wie in unserer Kindheit, wo wir im Garten gespielt haben? Ich will die Unbeschwertheit zurück. Ich will den glücklichen Oikawa zurück. „I-Ich wi-will Volley-ba-baller werden." „Ich weiß, Tooru, und du schaffst das", versicherte ich ihm. Du schaffst doch alles im Leben. Du weißt ganz genau, was du willst, nicht so wie ich. In meinem Inneren will ich nur dich, aber alles in mir sträubt sich dagegen. Wir sind nur Freunde. „Hajime", mein Körper spannte sich an, "Danke." Fuck! Oikawa hör auf! Ich raste gleich komplett aus. Ich drückte ihn von mir weg und stand auf. Ich brauche Abstand. „Geht es dir besser? Ich rufe Nao an", wechselte ich schnell das Thema. Wieso schlägt noch immer mein Herz so behindert? Es soll aufhören!

Meine Finger angelten mein Handy aus meiner Tasche. Ich klickte sofort auf die Nummer von Toorus Schwester, keine Sekunde danach hörte ich es schon klingeln. „Hey, Hajime, was ist denn los? Ist etwas mit Tooru?" Ein anderer Grund um sie anzurufen hatte ich nie. „Ja, er ist unglücklich umgeknickt. Kannst du ihn ins Krankenhaus fahren? Es ist wichtig", sagte ich mit ernstem Ton, dabei fixierten meine Augen noch immer den Jungen an. Er setzt sich zu sehr unter Druck. Er brauch eine Auszeit, die er sich wahrscheinlich niemals geben wird. Wenn er so weiter macht, ist seine Karriere schnell vorbei. Ich würde ihm gern die Last abnehmen, aber ich weiß nicht wie. Ich war noch nie der Mensch, der mit Worten umgehen konnte, weshalb ich hoffe, dass meine Anwesenheit reicht. Ich kann mehr nicht tun. „Das klingt echt beschissen. Takeru, geh zu deinem Vater! Ich muss Tooru abholen gehen. Ich bin in zehn Minuten da, Hajime", antwortete sie und ich atmetet erleichtert aus. Ich beendete den Anruf, woraufhin in mein Handy in meine Tasche warf. „Tooru, zieh dich um, Nao kommt", wies ich ihn an, jedoch starrte er noch immer den Fußboden an. Seufzend ging ich wieder zu ihm. Meine Hand legte ich an sein Kinn und zwang ihn so mich anzusehen. Was tue ich nur hier? „Wo ist der bescheuerte König hin? Tooru, hör auf dich niederzumachen, denn ich hasse das." Das waren definitiv die falschen Worte, aber ich hoffe, dass er es versteht. „Danke, Iwa-chan!" Sein behindertes Grinsen kam zurück, welches in mir eine Explosion verursachte. Ich ließ von ihm ab und zog mir schnell mein Shirt aus, um der Situation zu entkommen. Ich muss aufhören so zu fühlen. Ich schmiss meine Sportsachen in meine Tasche und schlüpfte in Blitzgeschwindigkeit in meine Uniform. Ich stand mit dem Rücken zu ihm, denn ich könnte jetzt sein Lächeln nicht ertragen. Ich könnte diese Gefühle nicht ertragen. Es soll doch einfach aufhören.

„Komm, Iwa, ich bin fertig." Selbst seine Stimme ruft sowas hervor. Ich hasse es. „Okay, Assikawa, deine Schwester wartet", gab ich mit einem bissigen Ton zurück. Ich will doch eigentlich nicht so zu ihm sein, aber ich kann nicht anders. Ich muss mich zurückhalten und den Abstand bewahren. Er wartete darauf, dass ich ihn wieder stützte, aber ich wollte es nicht, doch ich darf mir nichts anmerken lassen. Er hat eine Freundin und ich bin sein bester Freund. Ich muss ihm helfen. Ich stützte ihn nochmal, weshalb wir zusammen wieder in die Halle gingen und uns bei jedem verabschiedeten. Das erste Mal gehen wir zuerst. Wir verließen endlich die stickige Halle und ich konnte einmal durchatmen. Ich fühle mich eingeengt. „Ich helfe dir! Du wohnst doch auf dem Weg, ich schmeiß dich dann einfach raus. Und nun zu dir, Tooru, was passt du nicht auf", begann Nao ihn anzubrüllen. Sie meinte es nur gut, immerhin weiß jeder, was er für Ziele hat, auch wenn es nur eine Vermutung ist, denn seinen Wunsch hat er nie ausgesprochen. Ich ließ mich schnell auf den Beifahrersitzt nieder, um nicht neben ihm sitzen zu müssen. „Danke, Nao", bedankte ich mich schnell bei der braunhaarigen, die mich anlächelte.

Ich will hier raus. Er macht mich verrückt. Ich fühle mich schlecht, sowas zu fühlen. Mir tut Kazumi leid. Mir tut er leid. Das ist mir zu nervenaufreibend. Es muss enden. 

(Wörteranzahl: 1788)

AdiósOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz