36. Kapitel

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Ich entschloss mich dazu, unter die Dusche zu springen und mich fertig zu machen, bevor meine Mutter wieder mit meinem Vater heimkommen würde. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir Samstag hatten. Welcher Arzt hat denn am Samstag Zeit? Ich notierte mir im Geiste, dass ich sie später noch fragen würde. 

Während das warme Wasser meinen Körper angenehm umhüllte, dachte ich an den Kuss mit Ethan. Ich konnte kaum glauben, dass das erst drei Tage her war. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Mein Herz versetzte mir einen Stich bei dem Gedanken daran, dass wir nie zusammen kommen sollten. Ethan hatte eine wunderschöne, wenn auch offensichtlich temperamentvolle Verlobte. Verlobte !! Der Gedanke ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Bei unserem letzten Gespräch meinte er, er würde sich trennen. Aber wie soll das so leicht gehen, wenn so viel an deren Beziehung hängt? Es ist ja nicht nur eine persönliche, sondern auch einen geschäftliche Sache. Es kam mir so vor, als wäre ich einem schlechten Roman aus dem 18. Jahrhundert gefangen, in dem man in seinen Stand einheiraten musste. Irgendwie hatte ich Sorge, dass das gewaltig schief gehen könnte. Letztendlich kannte ich Ethan ja nicht mal wirklich gut. Was, wenn er alles hin schmeißt und wir nach kurzer Zeit merken, dass es einfach nicht klappt? Der Gedanke beunruhigte mich noch mehr und ich schob ihn sogleich beiseite. Letztendlich saß ich sowieso erstmal hier fest. Eine Traurigkeit erfüllte mich, die ich nicht einmal richtig zuordnen konnte. 

Ich duschte fertig und konzentrierte mich auf die Zeit, die mir nun bevorstand: Meiner Mutter helfen, meinen dementen Vater zu pflegen, den ich nicht einmal ansatzweise mehr lieben konnte. Zu viel hatte er in mir kaputt gemacht. Ich trocknete mich ab, zog meine Jeans und ein weißes Shirt an und föhnte meine Haare. Als ich mich zurecht gemacht hatte, beschloss ich das das Tablett mit dem Frühstück in die Küche zu bringen. Ich balancierte es auf meinen Händen die Treppen hinunter. Dabei fiel mir auf, dass die Tür zum Büro meines Vaters offen stand. Ich verräumte das Tablett und näherte mich dem Raum. 

Die Tür war noch nie offen gewesen. Zumindest hatte ich sie noch nie offen gesehen. Das war das Erste, was ich gelernt hatte. Betrete niemals das Büro deines Vaters, hatte meine Mutter mir zugeflüstert als ich noch nicht einmal das Wort Büro richtig zuordnen konnte. 

Ich starrte auf den goldenen Knauf der Tür. Er glänze und spiegelte seine Umgebung in verzerrten Formen wieder. Er sah aus als hätte man ihn erst vor Kurzem frisch poliert. Vermutlich die alte Macht der Gewohnheit meiner Mutter, dachte ich mir und verdrehte unwillkürlich meine Augen. Sie ließ sich viel zu sehr von ihm bestimmen - anscheinend immer noch. 

Aus dem Büro kam ein stickiger Geruch. Als hätte jemand seit Langem nicht mehr gelüftet. Die Luft roch abgestanden, nach alten Möbeln und Papier. Ich spürte wie mein Herz klopfte. Es ist nur ein gewöhnlicher Raum, sagte ich mir selbst, doch trotzdem konnte ich das Gefühl von Angst nicht ganz abstreifen.

Die Kindheit prägt dich, ob du es willst oder nicht. Sie ist kein Gewand, das du ablegen kannst. Vielmehr verwächst sie sich in dir. Wie die Wurzeln eines Baumes in die Erde oder ein Tattoo, das unter die Haut gestochen wird. Selbst wenn du es irgendwann einmal schmerzhaft entfernen lässt, bleiben Narben. Es ist unwiderruflich. Nicht zu trennen. Nicht mehr. Natürlich kannst du unterscheiden zwischen Gegenwart und Vergangenheit, aber Beides wird sich niemals von einander lösen. Es ist verwoben, wie tausende Fäden in einem alten Teppich. 

Ich nahm einen tiefen Atemzug, gab mir selbst einen Ruck und stieß die alte Tür mit dem Fuß weiter auf. Sie öffnete sich mit einem protestierendem Knarren. Auf einmal schoss eine Erinnerung in mir hoch. Als kleines Kind hatte ich es immer gehört. Nachts, wenn ich dachte, dass wir alle schliefen. Ich hatte unheimliche Angst vor diesem Geräusch, denn ich dachte immer, es wäre die Treppe gewesen. Es war mein Vater gewesen, der Nachts in sein Büro ging, erkannte ich verwundert. 

Ich betrat den einzigen Raum des Hauses, den ich niemals von innen gesehen hatte. Mein Körper fühlte sich auf einmal viel schwerer an als sonst. Als müsste ich alle Kraft aufbringen, um einen Fuß vor den anderen setzen zu können. Ich sah mich um und war schon fast enttäuscht. Ein Schreibtisch mit einem alten Bürostuhl stand am einzigen Fenster, das mit Gardinen verhangen war. Auf ihm ein alter Computer mit einem dicken Bildschirm. Darauf tausende Akten, gestapelt. Ein roter Sessel stand im Eck, dahinter eine große Stehlampe. Das Einzige, was faszinierend wirkte, waren die Regale, die den Raum fast einschlossen. An jeder Wand stand ein Regal, das sich komplett über ihre ganze Fläche streckte. Der Raum sah aus wie ein Viereck aus Büchern.

Ich drehte mich nach links und scannte mit schnellem Blick über die Buchrückseiten. Alles alt-bekannte Titel. Klassiker. "Romeo und Julia", "Stolz und Vorurteil", "Der Steppenwolf", "Der Fänger im Roggen"...

Ich konnte gar nicht alle in Gedanken aufzählen. Es waren unendlich viele. Ich lief zum nächsten Regal. Dieses war wesentlich langweiliger. Unzählige Bände vom Brockhaus, Lexika und andere Sachliteratur. Das ähnelte meinem Vater schon mehr - Zumindest der Seite von ihm, die ich kannte. Ich lief weiter und blieb verwundert stehen. Das kleinste Regal hob sich von allen anderen ab. Die Buchrücken waren per Hand geschrieben. Ich kniff meine Augen leicht zusammen als könnte ich dadurch besser lesen. Die Schrift war schön, geschwungen und fein säuberlich. Es standen unzählige Jahreszahlen auf jedem einzelnen Buch. 

Unter der ersten Reihe mit den Jahren, folgte eine Weitere mit Beschriftungen wie: "Urlaub Texas" oder "Hochzeit". Langsam dämmerte es mir, dass es sich um Fotoalben oder Tagebücher handeln müsste. Aber wer schrieb denn so abartig viel, dass er ein ganzes Regal damit befüllen konnte? 

Ein Titel sprang mir besonders ins Auge. "My Babe" stand in kursiven Buchstaben darauf. Ich verzog das Gesicht. Wie kitschig das klingt, dachte ich mir. Babe, eigentlich verabscheute ich das Wort, aber ich griff trotzdem zu dem Buch. Vorsichtig schlug ich die erste Seite darin auf. Das Papier war fein und dünn. Darauf stand mit schwarzer Tinte geschrieben: 

Für mein Babe,

Die einzige Liebe, die ich jemals spüren durfte. 

Ich drehte mich noch einmal im Raum herum, um mich zu vergewissern, dass das wirklich das Büro meines Vaters und nicht das eines verstorbenen, hoffnungslos verliebten Dichters war, der Softpornos in Form von Liebesschriften verfasst hatte. 

Ich sah wieder auf das Buch und blätterte um. In dem Moment hörte ich die Schlüssel im Schloss der Haustüre. Ich zuckte zusammen, klappte das Buch mit einem dumpfen Ton zu und steckte es so schnell ich konnte zurück in die Lücke, die es im Regal hinterlassen hatte. 

Mit großen, möglichst leisen Schritten hechtete ich zur Tür und zog sie hinter mir zu. 

My BabeTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang