18. Supernova

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Allwissender Erzähler

Yu lebt erst seit einem halben Jahr in seiner Wohnung in Taiwan. Nur für die Dreharbeiten mietete er sich das Apartment. Bislang gab es noch keine Möglichkeiten, die Nachbarn näher kennen zu lernen. Wie auch? Oft kam  Yu erst in der Nacht nach Hause. In den ersten Monaten fühlte er sich immer sehr einsam. Die Wohnung war leer, als er ging und still, als er wieder kam. Das war aber nicht der Grund für seine Einsamkeit. Es fehlte ihm die Zeit und die Kraft, es sich gemütlich zu machen. Gemütlich bedeutet für Yu allerdings nicht das, was andere darunter verstehen.

Yu ist ein Ästhet. In Japan investierte er viel Liebe und Geld in seine Einrichtung. Seine fehlende Fähigkeit, sozial zu interagieren, kompensierte er schon als Kind mit der Leidenschaft zu Einzelstücken.

Gegenstände, die er bei sich fühlte. Die schön und still bei ihm waren. Die er nicht enttäuschen konnte. Nur bewundern. Nur für sich selbst.

Yu war nie der gesellige Mensch. Nie lud er Freunde ein oder wurde von der Familie besucht. Er empfand es immer als störend, jemanden bei sich eindringen zu lassen. Es entsprach einfach nicht seiner Lebensphilosophie. Er wollte für sich sein. Seinen eigenen Gedanken horchen.

In seinem Wohnsitz in Taiwan fühlte er sich verloren. Er kam nicht gerne nach Hause. Nur während der Dreharbeiten und Meetings spürte er deutlich, dass es die richtige Entscheidung war, diese Möglichkeit zu ergreifen.

Er wuchs und wächst durch Sam.

Noch nie in seinem Leben ließ er jemanden so nah an sich heran.

Sam versteht es, Yus Mauern zu überwinden. In einem Parcour raste er direkt auf sein Inneres zu.

Um ihm dann zum Lachen zu bringen. Um ihm aufzuhelfen. Um einfach schweigend an seiner Seite zu stehen.

Yu weiß genau, dass Sam es hasst, wenn man ihn auf sein Aussehen reduziert. Er will für seine Leistung bewundert werden. Seine ständigen Grimassen lösen nicht bloß eine Lachlawine in beiden aus, sie wollen Yu viel mehr bitten, hinter die Fassade zu schauen.

Für Yu aber war es direkt Sams Inneres, was er bewunderte. Von Anfang an. Er sah einen starken, selbstbewussten Mann, der es wusste, wie er in jeder Situation zu reagieren hat. Überall wo er erschien, zog er seine Mitmenschen an. Und wie er sprach. Seine tiefe Stimme ließ keine Unterbrechungen zu und seine Rhetorik benötigte auch keine.

Und seine herzliche Freundlichkeit rührte Yu in all den Stunden, die Sam damit verbrachte, mit ihm die Rollen zu verinnerlichen. Seine Aussprache zu üben.

Stunden, in denen Yu an seinen Lippen hing. In denen sie ihre Rollen spielten.

Als Zhou Shu Yi konnte er ihm nah sein. Ihn sehen und fühlen.

Erst dann war der Moment, als ihm Sams Erscheinung bewusst wurde. Zu jedem Zeitpunkt, an dem er Sam betrachtete, fiel ihm ein neues atemberaubendes Detail auf.

Yu betrachtet Sam als Ästhet und sein Urteil bestätigt sich stetig.

Wann begannen die Gefühle zu kippen? Yu grübelte oft über diese Frage nach. Wann begann er seinen Arbeitskollegen und inzwischen Freund mit sehnsüchtigen Augen anzuschauen? Wie oft, fragte sich Yu, ob er nicht einfach nur zu tief in seine Rolle eingedrungen war.

Dabei waren es nicht bloß die Szenen, in denen sie sich körperlich sehr nahe kamen. Viel mehr waren es die Flashbacks, die er nach den Aufnahmen hatte.

Bei denen er sich schmerzhaft sehnte. Wie ein süchtiger Körper sich nach dem nächsten Schuss. Sie trafen ihn wie eine Welle und entführten ihn in seine Fantasien.

FANFICTION Zerrissen verbundenWhere stories live. Discover now