Kapitel 1 (überarbeitet)

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"Ach und warum nicht?", wollte er von ihr wissen. Seine Augen funkelten vor Gier. Er schien sich bereits darauf zu freuen, sie bald in Stücke zu zerreißen.

"Sag es mir, kleines Menschlein. Ansonsten wird es dir gleich genauso ergehen, wie deinem Freund hier", knurrte er und deutete auf Erics zerfleischten Körper. Der Warg fletschte seine Fänge, Geifer tropfte aus seinem riesigen Maul. Seine scharfen Krallen gruben sich bei jedem seiner Schritte in den Waldboden. Er kam ihr immer näher.

Elly blieb vollkommen ruhig. Selbst als der Warg zum Sprung ansetzte, um sich wie eine wilde Bestie auf sie zu stürzen, wich sie nicht vom Fleck. Innerlich erfüllte sie eine Gelassenheit, die sie auf diese Weise noch nie zuvor erlebt hatte. Ihre blonden Haare wehten im stärker werdenden Wind, die Luft um sie herum begann zu knistern. Es fühlte sich beinahe so an, als würde sich ihre nähere Umgebung mit Magie aufladen. Irgendetwas in ihr erwachte. Etwas Dunkles, das sonst die ganze Zeit über unter ihrer Oberfläche geschlummert hatte.

Elly verstand nicht, was mit ihr los war, doch sie fühlte sich plötzlich über diese Kreatur erhaben. Ganz so, als wäre der Warg nie dazu in der Lage ihr etwas anzutun, weil er in der Hierarchie unter ihr stand. Ellys Blick brannte sich in den der Bestie. Einige Sekunden lang sahen sie sich einfach nur an.

Was in Illunaras Namen ging hier gerade vor sich? Sie hatte das Gefühl, als könnte sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. Es war ihr möglich, für einen Moment aus seiner Perspektive zu sehen, seine Gefühle und Taten nachzuvollziehen. Sie entwickelte ein tiefes Verständnis für ihn und doch sah sie ihn warnend an. Wenn er sie jetzt angreifen würde, würde er es bitter bereuen.

Seine glühenden Augen weiteten sich vor erstaunen, als ihm etwas klar zu werden schien. Die Blutgier verschwand aus seinen Augen und er hielt in seiner Bewegung inne. Unsicherheit lag in seinem Blick. Er schien durcheinander zu sein, als wüsste er nicht so recht, wie er nun reagieren sollte.

"Es ist also wahr, genau wie die Orakel bestätigt haben. Es gibt Euch wirklich", sagte er voller Ehrfurcht in der Stimme und Elly wunderte sich über sein verwirrendes Verhalten.

Er kam näher auf sie zu, als müsse er sich noch einmal vergewissern, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Wovon redete er nur? Wer sollte sie schon sein?

Der Warg atmete ihren Geruch tief ein, schmiegte sich dann eng an sie. Sein blutverschmiertes Fell hinterließ dabei rote Flecken auf ihrem Kleid.

"Verzeiht mir mein schlechtes Benehmen, meine Königin. Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass ihr es seid, wäre ich euch gegenüber niemals so respektlos aufgetreten", versicherte er ihr und senkte seinen Kopf, als würde er bereuen, was er getan hatte. "Ich konnte ja nicht ahnen, dass Ihr wirklich existiert und dass ihr dazu noch so jung seid."

Sie war ihm nicht böse. Dieses dunkle Wesen war für die Jagd geboren, es lag ihm im Blut, mit seiner Beute zu spielen, bevor er sie tötete. Elly wunderte sich über ihre Gedanken, die ihm gegenüber doch sehr wohlgesonnen waren.

Der Wind beruhigte sich langsam wieder und der Hauch der Magie, der in der Luft lag, wurde mit dem nächsten Windstoß weggeweht.

"Ist schon gut", antwortete sie und streckte wie von selbst ihre Finger nach ihm aus, um sein blutverkrustetes Fell zu streicheln. Seine verwirrenden Worte gingen ihr dabei jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Warum sagte er zu ihr, dass sie seine Königin war? Das ergab doch keinen Sinn.

Auf eine merkwürdige, verdrehte Weise, fühlte sie sich für das Geschöpf verantwortlich, als würde es unter ihrem Schutz stehen. Wie absurd, wo er sie doch vor wenigen Sekunden noch zerfleischen wollte.

"Ich muss sofort aufbrechen und meinem Herrn von unserem Treffen berichten. Er wird höchst erfreut darüber sein, wenn er erfährt, dass..", weiter kam er nicht mehr. Ein Pfeil zischte durch die Luft und traf den Warg direkt in den Hals. Er jaulte vor Schmerzen auf, hatte Mühe sich auf den Pfoten zu halten. Ellys Herz krampfte sich augenblicklich zusammen. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie dabei zu, wie er qualvoll vor ihren Augen verendete. Sie konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Sie war völlig machtlos. Er krümmte sich vor Schmerzen und fiepte laut, Todesangst stand in seinem Gesicht geschrieben.

"Nein!", schrie Elly, als ein weiterer Pfeil durch die Luft sauste und seinen Oberkörper durchbohrte. Augenblicklich sackte er in sich zusammen, hauchte sein Leben aus. Es fühlte sich an, als würde sich einer der Pfeile auch in ihr Herz bohren. Der Verlust der Kreatur erschütterte sie bis ins Mark.

"Was hast du getan?", schrie sie ihren Vater frustriert an, der nun gemeinsam mit einigen Dorfbewohner die Lichtung betrat. Henry Pierce senkte den Bogen, mit dem er die Kreatur getötet hatte, und blickte Elly fassungslos an. Seine Miene spiegelte sowohl Wut als auch Enttäuschung wieder. Sie lief ihm entgegen, beharrte auf eine Antwort. Doch als sie bei ihm ankam, verpasste er ihr nur eine schallende Ohrfeige. Ihre Wange brannte vor Schmerzen. Tränen bildeten sich in ihren Augen. Sie suchte seinen Blick und wollte eine Erklärung für seine Handlung, aber Elly bekam keine Antwort. Stattdessen sah er sie einfach nur an, als würde er sie nicht kennen. Als wäre sie eine Fremde für ihn.

"Eric", schluchzte eine Frau mittleren Alters und kniete sich neben den aufgeschlitzten Körper des Jungen. Sie weinte bitterlich und zitterte am ganzen Körper. Eine weitere Frau legte ihre Hand tröstend auf ihre Schulter, während sie Elly vorwurfsvoll ansah.

"Ich kann nicht glauben, was ich hier gerade gesehen habe, Elly", fing ihr Vater mit ernster Stimme an, seine Miene war schmerzerfüllt.

"Du stehst ganz offensichtlich mit den dunklen Mächten im Bunde", fuhr er fort und schien maßlos von ihr enttäuscht zu sein.

"Das ist nicht wahr! Ich weiß auch nicht, was gerade geschehen ist, aber..", versuchte sie sich zu erklären, doch ihr Vater unterbrach sie.

"Genug", erhob er seine Stimme, er wollte ihre Erklärungen nicht hören. Die meisten anderen Dorfbewohner hielten sich im Hintergrund und wirkten eher verängstigt. Sie machten einen großen Bogen um Elly. Ganz so, als hätte sie eine Krankheit und sie wollten ihr daher nicht zu nahe kommen.

"Auf dem Scheiterhaufen sollte sie verbrannt werden, sie ist eine Hexe!", schluchzte Erics Mutter vor Wut und Verzweiflung, Tränen liefen ungehindert ihre Wangen entlang nach unten. Elly gefror das Blut in den Adern, ihr war bitterkalt. Der Hass, der ihr entgegenschlug, verletzte sie sehr.

"Sie ist eine Dienerin des Bösen, in der Gestalt eines unschuldigen Mädchens. Aber wir dürfen uns nicht von ihrem Aussehen täuschen lassen", fuhr die Frau aufgebracht fort. Sie ließ ihren Blick über die anderen Dorfbewohner schweifen, als würde sie bei ihnen nach Zustimmung suchen. Doch niemand reagierte.

"Ihr habt es doch selbst gesehen!", versuchte sie es noch einmal, um die Dorfbewohner endlich zum Handeln zu bewegen. "Sie war vertraut mit der Kreatur der Finsternis und ihr Kleid ist blutverschmiert. Sicher hat sie gemeinsam mit der Bestie meinen Sohn ermordet", stieß die Frau gequält aus und durchbohrte Elly mit ihrem hasserfüllten Blick. Lautes Getuschel unter den Dorfbewohnern war zu hören.

"Das ist eine Lüge, er war bereits Tod, als ich gekommen bin!", erwiderte Elly und wurde ein wenig wütend. Sie hasste es, für etwas beschuldigt zu werden, was sie nicht getan hatte.

Ihr Vater schien einen Moment lang über die Sache nachzudenken, dann sah er Elly direkt in die Augen, als hätte er eine Entscheidung getroffen.

"Wir werden das Böse aus dir heraustreiben. Ob mit Feuer oder anderen Mitteln wird noch entschieden werden", versprach er ihr. Henry Pierce schien nicht an ihre Unschuld zu glauben, seine Worte klangen endgültig. Das konnte doch nicht wirklich sein ernst sein, oder? Lag ihm denn gar nichts an ihr?

Elly konnte ihre eigenen Tränen nun nicht mehr zurückhalten. Sie hatte zwar nie eine gute Beziehung zu ihren Eltern gehabt, was vermutlich mit daran lag, dass Elly gerne ihre Grenzen austestete. Aber dass es ihm so leicht fiel, in dieser Sache eine Entscheidung zu fällen, erschütterte sie bis ins Mark. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Herz entzwei reißen.

Warum hörte ihr eigentlich niemand zu? Sie hatte doch gar nichts Schlimmes getan. Sie fühlte sich missverstanden und allein gelassen.

"Komm jetzt", knurrte ihr Vater sie an und forderte sie dazu auf, mit ihm gemeinsam zum Dorf zurückzukehren. Henry verengte vor Wut die Augen und drohte ihr im Stillen, ihm besser nicht die Stirn zu bieten. Elly gab sich geschlagen und wagte es nicht, sich ihm zu widersetzen. Sie fühlte sich wie der letzte Dreck, als sie sich in Bewegung setzte und ihm durch den Wald folgte.

Einige Dorfbewohner drehten sich zu ihr um und tuschelten leise miteinander. Ihre Blicke waren dabei auf Elly gerichtet. Die Worte "Hexe", hörte sie immer wieder deutlich aus den Gesprächen heraus. Ihr drehte sich der Magen um. Was heute geschehen war, würde sich schnell im ganzen Dorf herumsprechen.

Eines stand auf jeden Fall fest, ab dem heutigen Tage würde ihr Leben zu einem Albtraum werden.

Gefährtin des Schwarzdrachen Where stories live. Discover now