Kapitel 3.0

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Zum Abschied winke ich vage in die Runde. Meine Ablösung nickt mir zu, vier Teller zu Tisch vier balancierend. Der Mann an der Theke, Lons Cousin, bekommt es gar nicht mit, so tief ist er in den Augen eines weiblichen Gastes versunken. Ihren Augen oder ihrem Dekolleté, von meinem Standpunkt aus kann ich es nicht sagen. Dafür heben die Männer an Tisch sechs die Hände zum Abschied.

„Hey, Zel, warte mal." Lon joggt an den runden Tischchen mit den bedruckten Plastikdecken vorbei, lässig seine Jacke über eine Schulter baumelnd, und hält mir seine geschlossene Faust hin. „Dein Anteil des Trinkgelds."

Fünf hellgraue Steinplättchen landen in meiner Handfläche, ich lasse sie auf und ab hüpfen, bevor sie in einer meiner Hosentaschen verschwinden. „Gar nicht mal so schlecht für einen Mittwochabend."

Er zwinkert mir zu und hält mir die rote Stahltür auf. Das zerkratzte Bild eines Tigers darauf kann man von Jahr zu Jahr schlechter erkennen. „Die Herren sind immer spendabler, wenn du da bist."

„Ja klar." Ich klimpere mit den Wimpern und sauge die frische Luft ein. Zumindest frisch im Vergleich zu dem schweren Dunst im 'Tigergarten'. „Ich bin ja auch so ..."

„Reizend?", vervollständigt er. „Aufregend? Provozierend?"

„Nur bei besonders anspruchsvollen Gästen."

Bevor ich links zu den Aufzügen abbiegen kann, fasst Lon nach meiner Hand. „Ich habe noch etwas in den Wartungstunneln zu erledigen. Willst du mit?"

Seufzend streiche ich mir die Haare aus der Stirn. „Ich rieche, als wäre ich in den Feuereintopf gefallen. Und ich bin müde. Wieso sollte ich mich in engen, muffigen Gängen aufhalten wollen?"

„Weil diese sich auf Ebene -10 befinden und einen direkten Zugang zu Gewächshaus 3 bieten", flötet er und wackelt mit den Augenbrauen.

Ich reiße mich zusammen und simuliere ein angemessen aufgeregtes Verhalten, um ihm nicht die Freude zu verderben. „Mann, sag das doch gleich! Los, los, los!" Ein bisschen nagt das schlechte Gewissen schon an mir. Im Vergleich zu Favan sind die Gewächshäuser nichts, aber das kann ich ihm kaum sagen.


Lon grinst auf mich herab und ich verstehe schon. Sobald sich die Aufzugtüren öffnen, rennen wir los. Unfair, er kennt den Weg besser als ich, also muss ich hinter ihm bleiben. Vorerst. Eine schnurgerade Straße hinunter, dann nach rechts ... Die Menschentraube haben wir nicht einkalkuliert. Erschreckte, helle Schreie werden ausgestoßen, und anschließend laute Flüche, als wir uns links und rechts an den Menschen in maßgefertigten Anzügen und rot, blau oder schwarzen Kleidchen vorbeidrücken.

Nach ein paar weiteren Abzweigungen halten wir japsend an. „Ihr Halunken", äffe ich einen der Kerle nach und stemme meine Hände in die Hüften. „Du kleiner Lump, du." Unser Gelächter lässt uns in die Knie gehen.

Als wir uns beruhigt haben, hält mir Lon seinen Arm hin. „Mich dünkt, wir sollten weiter unserem Ziel entgegenflanieren, meine Gnädigste."

„Wenn du es unterlässt, solche Sottisen von dir zu verlautbaren, mein Gnädigster." Grinsend hake ich mich bei ihm unter.

Meine Worte starten seinen Lachkrampf fast erneut. „Was zum Henker sind denn Sottisen? Wo schnapst du immer solches Zeug auf?"

Von Tir. „Unsinnigkeiten oder so was. Hab ich in einem Buch gelesen." Das ist nah genug an der Wahrheit.

Schon längst wurde die Deckenbeleuchtung gedämpft, aber für die Menschen auf Ebene -10 leuchten in der Nacht auf geschwungenen Eisenpfählen angebrachte Lampen. Dabei ist Strom eines der teuersten Güter – besonders, seitdem ein weiterer von sieben noch laufenden Generatoren den Geist aufgegeben hat.
Aber wer es sich leisten kann, hier zu leben, hat es wohl verdient, dass sein Haus in der Nacht von Blumenlampen in Szene gesetzt wird.

Des Weltenwandlers SchicksalWhere stories live. Discover now