Kapitel 6.0 (Teil 2)

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Ich bin nass geschwitzt, als wir endlich die Tür zur -7. Ebene erreichen. Witzigerweise setzen sich jetzt langsam die Seile des Aufzugs wieder in Bewegung. Ich muss Tir gar nicht sagen, was das zu bedeuten hat, gemeinsam beginnen wir, an den beiden Türteilen zu ziehen und dagegen zu klopfen.

Plötzlich geht es ganz leicht. Aufseher Shonru mit dem blinden Auge sieht uns entgegen und mit einem Helfer zieht er uns auf die Ebene. Wenige Sekunden später zischt hinter uns der Aufzug nach oben, Bremsen quietschen, dann sackt er ab und rastet auf dieser Ebene ein. Ein sanftes Pling ertönt. Stumm mustern wir die Kabine, aus der uns ängstliche Menschen der Oberschicht entgegenstarren und von der langsam Blut nach unten tropft.

„D...danke." Ich nicke unseren Rettern zu, ignoriere die ungläubigen Blicke der anderen Leute, die von Tir und mir zum Aufzug zu Shonru wandern. Dann rennen wir weiter. Definitiv benutzen wir keinen Aufzug mehr, sondern die Treppenwege. Das letzte, was ich will, ist eine Wiederholung des Ganzen oder noch mehr Leute mit hineinzuziehen.

Jemand packt meinen Unterarm und ich reiße mich reflexartig los, bringe damit die Person zu Fall. Lebensmittel verteilen sich auf dem Weg.

„Mom?" Natürlich. Als wäre alles nicht auch so schon zu viel.

Sie ergreift meine angebotene Hand und lässt sich hochhelfen. So leicht und elfenzart wie immer. Ihr Blick wandert zwischen Tir und mir hin und her. „Zelene ... Was ist los? Wenn du in Schwierigkeiten steckst – ich habe Geld gespart, für Notfälle –"

„Mom", falle ich ihr sanft ins Wort und lege meine Hände auf ihre Schultern, „es ist alles in Ordnung."

Tir hat derweil ihre Einkäufe eingesammelt und den Korb neben ihr abgestellt. „Machen Sie sich keine Sorgen", stimmt er mir zu. „Sie haben ihre Tochter zu einer wundervollen, starken jungen Frau erzogen. Es freut mich übrigens, Sie endlich kennenlernen zu dürfen. Mein Name ist –"

Ich ziehe ihn am Kragen zurück. „Wir müssen weiter, du Schleimer." Dann umarme ich meine Mutter. „Hab dich lieb." Wann habe ich sie zuletzt umarmt? Wann diese Worte ausgesprochen? An ihrem Blick kann ich ablesen, dass es sehr lange her sein muss.

Bevor sie etwas sagen kann, klatschen schon wieder unsere Schuhsohlen auf den Steinboden. „Geh nach Hause", rufe ich ihr über die Schulter zu. „Zu dir, nicht zu mir!"


Keuchend kommen wir vor dem Spiegel im Laden auf -6 an. Tir nimmt sich ein paar Sekunden, darüber eine Nachricht zu verfassen. Nachdem er sie abgesendet hat, steht er still vor der spiegelnden Fläche. Erzittert, ballt die Fäuste und wendet sich mit ernster Miene mir zu. „Vertrau mir. Es wird alles wieder gut."
Sein Gesicht ist eine perfekte Maske, glatt und unlesbar.

Langsam schüttele ich den Kopf, streiche mir eine Strähne hinters Ohr. „Was hast du vor?"

„Wir stellen uns und bringen alles wieder in Ordnung. Keine Sorge, ich bin zuversichtlich." Er lächelt auf mich herab. Dann bekommt die Maske einen Riss und seine Lippen verziehen sich, als hätte er Schmerzen. Tir zieht mich zu sich heran, näher als jemals, und küsst mich. Mein Gehirn schaltet auf Pause, meine Lippen kribbeln, mein ganzer Körper ... Tir lässt von mir ab. Es hätte kein guter Kuss sein sollen, wir sind beide außer Atem und verschwitzt, aber ... Aber. Ich fasse ihm in die Haare und strecke mich, um seinen Mund noch einmal zu erreichen, nehme seine rauen Lippen bewusster war, seine Zunge ...

Kann ein Kuss nach Abschied schmecken? Anscheinend habe ich mich geirrt, ein paar Tränen befinden sich doch noch in mir.

Ein Räuspern unterbricht uns. Der Besitzer des Ladens steht in der Tür. Über die Jahre sind wir zu einer stummen Einigung gekommen – ich darf in sein Lager und er bekommt ein paar Geldsteine von mir. „Die vermummten Affen sind gleich da. Kamen mir vorhin schon suspekt vor. Soll ich euch etwas mehr Zeit verschaffen?"

Des Weltenwandlers SchicksalWhere stories live. Discover now