Kapitel vierundzwanzig

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CASSIAN

Unruhig lief Cassian vor dem Zimmer auf und ab. Es waren bereits Stunden vergangen, seit er Merowen zu Evaline gebracht hatte und bisher hatte er noch nichts gehört. Sie hatte so schrecklich ausgesehen. Überall war Blut gewesen; auch er war über und über damit bedeckt. Dennoch hatte Cassian es nicht übers Herz gebracht, sich zu waschen und ein frisches Hemd anzuziehen. Zu groß war die Angst um seine Gefährtin und darüber, eine wichtige Nachricht, ihren Gesundheitszustand betreffend, zu verpassen.

Mit einem leisen Knarzen öffnete sich die Türe und Evaline bedeutete ihm, einzutreten. Nervös ballte Cassian seine Hände und betrat den Raum.

Sein Blick fiel sofort auf die kleine Gestalt, die in dem großen Bett beinahe versank. Ihr Haar lag ausgebreitet über den Kissen und ihr Gesicht wirkte friedlich; nur ab und zu verzog sie das Gesicht, als würde sie auch im Traum noch weiterkämpfen.

Leise zog Cassian sich einen Stuhl heran und setzte sich an ihr Bett.

Evaline war bereits verschwunden; er war dankbar über die Feinfühligkeit der älteren Fae. Sie musste gespürt haben, dass Cassian mit der Illyrianerin alleine sein wollte.

Er war so froh, dass sie noch lebte. In der Arena hatte Nesta all ihre Kräfte aufwenden müssen, um ihn davon abzuhalten, durch die Flammenwand hinunter auf den Platz zu springen. Berons widerliches Grinsen hatte ihn beinahe alle restliche Selbstbeherrschung gekostet. Und dann dieses Geräusch, als ihre Rippen gebrochen waren und das Monster ihren Oberschenkel zerfetzt hatte.. Cassian war sich sicher, dass diese Szene ihn noch lange in seinen Alpträumen heimsuchen würde. 

Behutsam nahm er die zierliche Hand der Fae in die seine und ließ seinen Daumen in sanften Bewegungen über ihren Handrücken kreisen.

Das hier war die erste Prüfung gewesen und Merowen musste noch zwei weitere bestehen, um den Thron des Herbsthofes fordern zu können. Doch selbst dann würde Beron seine Machtposition nicht freiwillig aufgeben; der High Lord war niemand, der klein beigab. Cassian seufzte. 

Er wusste nicht, was seine Gefährtin auf einmal dazu gebracht hatte, so offen gegen Beron zu agieren, doch sie musste etwas Schreckliches herausgefunden haben. Vor dem Tag der Wintersonnenwende hatte er kein einziges Mal Pläne über ein derartiges Vorhaben in ihren Gedanken gelesen. Und sie war eindeutig zu schlecht darin, ihre Gedanken zu verschleiern. 

Demnach musste am darauffolgenden Tag etwas passiert sein. Vielleicht konnte ihm die Lady des Herbsthofes weiterhelfen? Sie schien bereits mit Merowen bekannt gewesen zu sein, die zwei mussten sich also schon einmal getroffen haben. Wenn er sich genau erinnerte, gab es vor einigen Wochen einen Tag, an dem Merowen unausgeglichener und trauriger als sonst gewirkt hatte; war sie damals Ahillea begegnet? Entschlossen stand Cassian auf. Er würde Eris um eine Audienz bei dessen Mutter bitten.

Ein Wimmern ließ Cassian an der Türe herumfahren. Das Geräusch kam von Merowen. Unsicher verharrte der Illyrianer auf der Stelle. Alles in ihm sträubte sich dagegen, seine Gefährtin so zurückzulassen. Kurz darauf verstummte das Geräusch und der Raum wurde erneut mit den tiefen Atemzügen der Fae gefüllt.

Erleichterung durchflutete Cassian und seine Schultern sackten nach unten. Gerade als er seine Hand erneut nach der Türklinke ausstreckte, zerriss ein gellender Schrei die Stille. Cassian fuhr  herum und rannte zurück zum Bett.

Das Bild, das sich ihm nun bot, brach ihm das Herz. Seine Seelengefährtin saß aufrecht im Bett; Tränen flossen ihr über die Wangen. Mit aufgerissenen Augen sah sie ihn an; in ihnen spiegelte sich nackte Panik. Ehe er etwas sagen konnte, griff sie nach seinem Hemd und klammerte sich daran fest.

Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Where stories live. Discover now