Kapitel zweiundzwanzig: Die Ruhe vor dem Sturm

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TEIL III

MEROWEN

Mit einem groben Stoß beförderte mich die Wache in das Zimmer, dann verriegelte sie die Tür hinter mir und positionierte sich davor. 

Die Botschaft war mehr als deutlich. Immer noch wie betäubt von den letzten Stunden glitt ich vor der Tür zu Boden. Meine Wut war verraucht und zurück blieb nur noch die Angst. Angst davor, was Beron nun tun würde. Der High Lord hatte keine Miene verzogen und auf meine Anschuldigung nichts erwidert, ich hatte jedoch die unmenschliche Hitze gespürt, die immer stärker von ihm ausgegangen war. Oh ja ich hatte ihn wütend gemacht. Und ich war nicht dumm genug zu glauben, er würde mich diese Wut nicht spüren lassen. Das hier war lediglich eine kurze Atempause.


Ich hatte seinen Thron gefordert und er würde mich dafür bluten lassen. Langsam stand ich auf, schleppte mich zu dem Bett in der Nähe des Fensters und ließ mich darauf fallen. Genauso wie meine gesamte Unterkunft war auch mein Bett ungemütlicher geworden; ich konnte jetzt schon die einzelnen Latten des Bettgestells in meinem Bauch spüren. Außer dem Bett standen in dem kargen Raum nur ein wackliger Tisch und ein grob gezimmerter Schrank. Es gab ein großes Fenster, dieses war jedoch mit Gitterstäben versehen.



Und doch war ein lächerlich mutiger Teil von mir entschlossen, zu kämpfen. Ich konnte diesen Hof nicht länger unter der Herrschaft von Beron leiden lassen. Ich war mir bis gestern durchaus bewusst gewesen, dass der High Lord des Herbsthofes kein guter Mann war. Doch was ich in der Chronik gelesen hatte, hatte alles verändert. Es war einer der letzten Einträge gewesen; geschrieben in hastig hingeworfenen Buchstaben; ganz so, als ob dem Autor nicht mehr viel Zeit geblieben war. Ich konnte ein hysterisches Lachen nicht unterdrücken. Wahrscheinlich hatte Beron sofort nach seiner Krönung zum High Lord jeden Geschichtsschreiber umbringen lassen.


"Der Friede unter dem Hause Teleri währte nur zwei weitere Jahrzehnte. Dann begann einer der wohl blutigsten Kriege in unserer Geschichte. Die Vanserras waren mit ihrem Titel als einfache Fürsten schon lange nicht mehr zufrieden. Der jüngste Sohn des alten Fürsten, Beron Vanserra, führte seine Männer gegen die High Lady und ihre Gefolgsleute. Nach vielen Verlusten auf beiden Seiten wurde verhandelt: Fürst Vanserra sollte der neue High Lord und sein Sohn Beron mit Ahillea Teleri verheiratet werden. Zum Wohle unseres Reiches stimmten die Teleri ein. Doch die Vanserras hatten nicht vor, ihr Wort zu halten. Niemand ahnte an diesem Tag, dass selbst der heilige Bund der Ehe den jüngsten Vanserra nicht aufhalten konnte.  Noch in der Kapelle zog der frischgebackene Ehemann sein Schwert und tötete alle Anwesenden. Nur Ahillea Vanserra wurde verschont; ihre Feuergabe hatte seine Gier geweckt. Mit dieser grausamen Tat läutet Beron Vanserra ein neues Zeitalter ein: damit beginnt die Geschichte der Vanserras."


Der Stammbaum hatte auf einmal einen schrecklichen Sinn ergeben. Beron hatte sowohl seine eigene, als auch die Familie meiner Mutter kaltblütig ermordet, kaum dass die Trauung vollendet gewesen war. All diese sinnlosen Opfer.. hätte Beron auch nur den winzigsten Teil eines Herzens besessen, hätte ich eine Familie gehabt. Einen Onkel, eine Tante und vielleicht sogar Großeltern. Ich kämpfte energisch gegen den Kloß in meinem Hals an, der mich zu ersticken drohte. Die Vergangenheit konnte ich nicht mehr ändern; was zählte war die Zukunft. Eine Zukunft, in der Beron nicht mehr vorkam.


Über meinen eigenen Vater hatte die Chronik nichts hergegeben. Ich war mir allerdngs ziemlich sicher, dass er und Ahillea sich in Windhaven kennengelernt haben mussten. Laut den Aufzeichnungen hatte sie mehrere Jahre dort verbracht, da sie sich vor Beron versteckt hatte. So gut, wie man sich vor seinem Ehemann eben verstecken konnte. Auch glaubte ich, dass mein Vater Ahilleas Seelenverwandter gewesen sein könnte. Nach ihrer Rückkehr an den Hof zwei Jahre später wurde sie erstmals so beschrieben, wie ich sie kennengelernt hatte: gebrochen und ohne jede Freude. Wenn der Tod ihrer Familie sie nicht zu dieser leeren Hülle gemacht hatte, dann der ihres Gefährten.


Was Cassian wohl gerade macht?

Ich seufzte. Wenn ich doch auch seine Gedanken lesen könnte.

Beron hatte noch im Thronsaal allen den Kontakt zu mir untersagt. Der Kampf um die Macht am Herbsthof hatte für ihn bereits begonnen und er nutze das naheliegendste Mittel, um mich von Anfang an unter Druck zu setzen. Er hoffte, mich ohne die Gesellschaft meiner Freunde und Vertrauten mürbe zu machen. Ich hatte ihn in dem Glauben gelassen; es konnte später nur vorteilhaft sein, mich jetzt schwächer zu geben, als ich war.  Die Einsamkeit war während meiner jahrelangen Ausbildung in den illyrianischen Bergen zu lange mein Begleiter gewesen, als dass ich sie je fürchten könnte.  Trotzdem musste ich mir eingestehen, dass ich mich besser fühlen würde, wenn die anderen an meiner Seite wären. Ich vermisste sogar Cassians dämliche Witze. 

Ich wickelte mich in die dünne Decke und erschauerte. Der kalte Wind ließ die undichten Fenster klappern und verursachte eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen. 

Vielleicht erfriere ich auch, bevor ich morgen die erste Prüfung überhaupt antreten kann. 


Morgen würde mir Beron seine erste Aufgabe stellen und ich wusste nicht, ob ich dafür bereit war. 



Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora