Kapitel einundzwanzig

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MEROWEN

Stöhnend setzte ich mich in meinem Bett auf. Der Kater war wohl eine angemessene Bestrafung für die Menge an Wein, die ich gestern heruntergekippt hatte.

Bruchstücke des letzten Abends blitzten in meiner Erinnerung auf. Cassian, wie er mich an die Wand drückte, küsste und..

Mit einem Aufschrei vergrub ich mein rot glühendes Gesicht unter den Decken.

Was wäre passiert, wenn Elia nicht aufgetaucht wäre? 

Bei allen High Lords, ich glaube nicht, dass ich mich sonderlich gewehrt hätte.

Ich berührte meine geschwollenen Lippen. Fühlte es sich so an, einen Seelenverwandten zu haben? Es war offensichtlich, dass ich mich zu Cassian hingezogen fühlte, doch.. war es dasselbe? Cassian hatte von einer Gewissheit erzählt, als ob es offensichtlich sei, wenn man füreinander bestimmt ist. Doch bis auf die körperliche Anziehung hatte ich keine derartige Offenbarung gehabt. 

Und was wenn er sich doch irrt?

Ich mochte ihn, aber hatte ich das Recht, ihn zu beanspruchen, wenn ich nicht seine Seelengefährtin war? Vielleicht hatte er sich getäuscht und irgendwo da draußen wartete noch eine andere Frau auf ihn. Seine richtige Seelengefährtin. Dieser Gedanke versetzte meinem Herzen einen Stich. 


Mein Blick fiel auf die Kante des Buchs, das unter einem Kissen auf meinem Sessel hervorlugte. 

Das Buch! Über die Ereignisse der letzten Nacht hatte ich es beinahe vergessen. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Tür und lauschte. Draußen war es still. Wahrscheinlich wollte Evaline mich meinen Rausch ausschlafen lassen. Da ich schon einmal wach war, würde ich diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Obwohl ich Cassian nicht ganz aus meinen Gedanken verdrängen konnte, begann ich zu lesen.

Fassungslos blätterte ich um, immer schneller, Seite um Seite.

Das kann unmöglich wahr sein.

Die Schrift verschwamm und ich merkte wie mir eine Träne leise die Wange herunterrollte. Wütend wischte ich sie weg und klappte das Buch zu. Mein Herz hatte den Entschluss gefasst, noch bevor mein Kopf in der Lage war, alles zu verarbeiten. 

Schnell schlüpfte ich in ein blaues Kleid und meine Schuhe, dann machte ich mich auf den Weg zum Thronsaal.







CASSIAN

Gelangweilt lehnte Cassian an einer der von Gold durchzogenen Wänden und lauschte den Worten Berons. Oder tat zumindest so, denn seine Gedanken schweiften immer wieder ab; zurück zum letzten Abend.

Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Es hatte sich so gut angefühlt, die kleine Fae endlich zu küssen. Und doch war er dankbar für die Unterbrechung gewesen, er wusste nicht, ob er sich sonst hätte zurückhalten können. 

Wenn sich ein Kuss bereits SO anfühlte, konnte er sich nur ausmalen, wie sich gewisse andere Dinge anfühlen würden. Kein Wunder, dass Rhys und Feyre die ersten Wochen kaum aus ihrem Schlafzimmer gekommen waren.

Er seufzte. Trotz der unbestreitbaren Energie zwischen ihnen hatte Cassian bemerkt, dass Merowen das Band zwischen ihnen nicht fühlte. Und je mehr er darüber nachdachte, desto weniger verstand er es. Ein Kuss war oft eine gute Chance, den Partner die Verbindung erkennen zu lassen und dennoch hatte es nicht funktioniert. 

Resigniert fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. Er wusste nicht einmal, ob es ihr gefallen hatte. Sie war ziemlich betrunken gewesen, aber er hatte sich nicht zurückhalten können. Sie hatte in diesem Kleid so wunderschön ausgesehen. Er hatte sich eigentlich von der Fae fernhalten wollen; sie schien verwirrt, nachdem er ihr erklärt hatte, dass sie seine Seelengefährtin war. Cassian wollte ihr Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen; auf keinen Fall wollte er sie zu irgendetwas drängen.

Doch dann hatte er sie mit diesem arroganten Fae tanzen sehen, dessen Hände immer tiefer gewandert waren. Und der so ein mieserabler Tänzer war, dass Cassian ihn für jedes Mal, das er auf die Füße seiner Gefährtin getreten war, am liebsten erwürgt hätte. 

Nachdem er für Merowen etwas zu trinken hatte holen wollen, war er von einer aufreizenden Fae aufgehalten worden, die ihn förmlich gedrängt hatte, mit ihm zu tanzen. Unter Berons warnenden Blicken hatte er zähneknirschend zugestimmt. Es war offensichtlich, dass sie ihn aufgrund seiner engen Verbindung zu Rhysand ausgewählt hatte. Zum Glück hatte sich Cassian nach zwei Tänzen wieder aus ihren Klauen befreien können; Eris hatte seine missliche Lage gesehen und ihn abgelöst. Einen Tanz mit dem Sohn des High Lords konnte wohl keine Dame ausschlagen. 


Ein lauter Knall riss Cassian aus seinen Gedanken. Automatisch fuhr seine Hand zum Schwert, dass er immer an seiner Hüfte trug. 

Durch die Tür trat keine Geringere als Merowen. Erstaunt riss Cassian die Augen auf. Was wollte sie hier?

Die Fae schien ihn gar nicht zu bemerken, ihre Augen waren starr auf Beron gerichtet. Langsam durchmaß sie die Halle und ging auf den High Lord zu. So wütend hatte Cassian sie noch nie gesehen. Die Augen der Illyrianerin sprühten Funken und ihre Haare wirbelten wie von einem unsichtbaren Wind getragen um sie herum. Sie sah aus wie eine Rachegöttin.


Direkt vor Beron blieb sie stehen und warf ihm mit einem lauten Knall ein Buch vor die Füße.

Es war mucksmäuschenstill im Saal geworden. Alle starrten sie gebannt an. Berons Gesicht glich einer Maske, lediglich die pochende Ader an seiner Schläfe verriet seine rasende Wut. Unauffällig trat Cassian einige Schritte näher an den High Lord heran; die Hand immer noch auf seinem Schwert. Er würde auf keinen Fall zulassen, dass seine Gefährtin verletzt wurde.


"Königsmörder!", Merowens Stimme hallte laut von den hohen Wänden wieder. 

"Hiermit fordere ich als Tochter von Ahillea Vanserra deinen Thron und Titel als High Lord!"






Tales of Wings and Fire (ACOTAR fanfiction)Where stories live. Discover now