Kapitel 3

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„Als ich 6 war, s-sind wir das erste Mal nach Finnland geflogen...", begann sie dann brüchig und überrascht sah der Finne auf, hatte er doch nicht damit gerechnet, dass sie ihm jetzt einfach was erzählen würde. Jedoch wagte er es nicht sie zu unterbrechen und hielt sie einfach etwas schützend bei sich. „Es war wunderschön und meine Eltern hatten ein kleines Haus dort, wir waren jedes Jahr da..." Ein trauriges Lächeln legte sich auf ihre Lippen, während ihre Augen ins Leere starrten und gerade etwas ganz anderes vor sich sahen, als den blauen Himmel über Berlin. Ein glasiger Schleier legte sich für einen Moment über das von schmerzgetränktem Blau ihrer Augen und schnell blinzelte sie, bevor sie weitersprach. „Bis ich 15 war, habe ich jeden Sommer in unserer Hütte in Turku verbracht." Überrascht sah er auf und legte den Kopf schief. „Turku?" Sie nickte zaghaft und er begann sanft zu lächeln. „Turku is beautiful...", murmelte er ebenfalls etwas verträumt und für einen Moment erkannte er das Funkeln in ihren Augen, bevor das Blau sich wieder verdunkelte.

„Eines Tages, es war gerade Winter und wir sind von meiner Oma zurück nach Erfurt gefahren, wir hatten-", sie stockte und ihre Stimme begann zu zittern. „Wir hatten einen U-Unfall...", kam es dann unhörbar über ihre Lippen, doch Samu hatte sie verstanden und bekam große Augen. „Ich-Ich bin im Krankenhaus w-wieder aufgewacht und- und meine Eltern waren nicht da... Ich-", ihre Stimme versagte und eine einsame Träne fand den Weg über ihre Wange. Sofort hob der Finne erneut seine Hand und strich diese liebevoll beiseite. Er spürte, dass ihr das alles hier unfassbar viel Kraft abverlangte und doch war er beeindruckt und geschockt im selben Moment zugleich. Nie hätte er gedacht, dass sie in jungen Jahren schon so viel durchgemacht hatte und direkt zog er sie noch etwas schützender an sich ran. Sie zitterte am ganzen Körper und doch war sie ruhig, fast schon zu ruhig und seine andere Hand begann weiter über ihren Rücken zu streichen.

„Später haben sie mir gesagt, dass ein Auto fr-frontal auf uns geprallt ist und m-meine Eltern... Sie-sie waren d-direkt-" Erneut brach ihre Stimme und erschüttert sah er sie an. Es war wie als würde er selber einen Stich in die Brust fühlen und der sonst so gestandene Mann spürte, wie auch er glasige Augen bekam. Sie hatte mit 15 Jahren ihre Eltern verloren! Zwar war er auch getrennt aufgewachsen, doch das war nichts dagegen und so hielt er sie fest in seinen Armen. Sie weinte nicht richtig, aber ihre Augen waren glasig und sprachen von Schmerz, ihre Hände zitterten und immer noch lehnte sie an seinem Oberkörper und suchte nach etwas Nähe und Halt. Sie brauchte einfach einige Minuten und wieder versuchte die Sängerin tief durch zu atmen, bevor sie ein weiteres Mal Luft holte.

„Ich musste danach zu meiner Oma ziehen, weil sie das Sorgerecht übernommen hat, und bin dann auf eine neue Schule gegangen..." Ihre Augen strahlten nach wie vor eine Leere und gleichzeitig tiefen Schmerz aus, während sie die Worte über die Lippen brachte, an die sie sich meistens nicht einmal traute zu denken. „Jede Nacht bin ich schreiend wach geworden, jede Nacht hab ich diesen Knall gehört, quietschende Reifen, meine Mutter nach mir schreien..." Sie sah zu ihm hoch und bei ihren leisen Worten lief Samu unwillkürlich ein kalter Schauer über die Lippen. „Sie hat Yvi geschrien. Sie war die Einzige, die mich früher so genannt hat." Erneut lief ihr eine Träne über die Wange und wieder entfernte er diese vorsichtig, bevor sie den Kopf wieder wegdrehte und sich an seine Brust lehnte. „Ich musste eine Therapie machen, mit knapp 16 Jahren, doch Freunde hatte ich trotzdem nie. Auf der Schule war ich immer nur das komische stille Mädchen, das eine psychische Macke hatte und deshalb beim Arzt war..." In ihrer Stimme schwang der pure Schmerz mit, die Angst und schnell wischte Samu sich über sein eigenes Gesicht, als er eine Träne auf diesem fühlte.

Sein Herz schmerzte und doch wagte er es nicht, die Frau in seinen Armen auch nur einen Moment loszulassen. Sie brauchte diesen Halt, die Nähe und er wollte ihr das alles geben, für sie da sein und sie aufmuntern, bis er wieder ihr umwerfendes Lächeln sehen konnte. „Weißt du, sie haben immer über mich gelacht. Von der 10. Klasse bis ins Abi, nicht mal an der Uni lief es besser." Schnell zog die brünette Sängerin die Nase hoch. „GZSZ war ein Sprungbrett und ich weiß, dass ich ohne nicht hier wäre, aber es war so schrecklich..." Wieder überlief eine Gänsehaut ihre Arme und sanft strich er darüber um sie ein Stück zu wärmen. „Immer nur Fragen und alle wollten was wissen, haben hinter dir gelästert, dich weggestoßen, nur weil du dich nicht gleich ausziehen oder mit Fragen überhäufen lassen wolltest. Ich war so froh da weg zu sein..." Wieder richtete sich ihr Blick zu ihm und diesmal war Samu selber derjenige, der sich beherrschen und tief durchatmen musste. Was hatten sie ihr nur angetan...

I've been trying to be strongWhere stories live. Discover now