9. Kapitel

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Fahrten mit dem blauen VW-Bus vom Rand der Welt in die große Stadt waren jedes mal Aufregender als es jede Reise nach New York je hätte sein können.

Die unvermeidbaren Besuche bei den dicken Tanten und den schweigsamen Onkeln waren Teil dieser Expditionsreisen des Jungen in die ländliche Metropole, die dem staatenlosen Österreicher Hitler durch die Ernennung zum Regierungsrat und seine Abordnung in die Landesvertretung in Berlin am 25. Februar 1932 zur deutschen Staatsbürgerschaft verholfen hatte. 

Gern hatte die Stadt sich dann zwölf Jahre in der Gunst des braunschweigischen  Regierungsrates und Größten Führers Aller Zeiten gesonnt, war jetzt aber beleidigt, weil es Schäden durch Sonnenbrand gegeben hatte. 

Die dicken Tanten interessierten sich praktisch gar nicht für diese Themen. Natürlich waren die Hitlerjahre ihre schönsten Zeiten gewesen. Als BDM Führerinnen hatte sie wunderbare Ausflüge gemacht und zur Klampfe am Lagerfeuer gesungen. Selten wurde darüber gesprochen, doch dann schimmerte eine rübensaftige, sentimentale Traurigkeit auf. 

Ihre Themen heute waren die harte Arbeit des Hemdenbügelns, der Schrebergartenpflege und der Kindererziehung, bei der ein bisschen Prügel  ja noch keinem geschadet hatte. 

Der Vater des Jungen war am 15. Januar 1932 fünfundzwanzig Jahre alt geworden und seit vier Jahren Mitglied der damals so genannten Hitler-Partei. Er träumte  von einem  völkisch- germanischen Ständestaat . Diese wunderbar arische Idylle  sollte beherrscht werden von einer Blut- und Boden-Elite aus Bauern, Handwerkern und Tandlern.

Für  jüdisches Nomadentum war natürlich in diesem, endlich von krankhafter Modernität, volks- und art-fremder Asphaltkultur und sonstigem undeutschen Treiben  gesundeten Staat, dem wiedererstandenen völkisch-nordischen Paradies, keinerlei Raum. 

Die  in den evangelisch-ländlichen Regionen unseres Deutschen Reiches besonders heftig blubbernd-dampfende  Blut-und Boden-Schwärmerei,  auf den germanisch beackerten Feldern der norddeutschen Tiefebene begeistert zur pseudoreligiösen Schlammsosse verrührt, hatte den Vater des Jungen zu einem lebenslang Süchtigen gemacht, gierig nach immer mehr Blut und immer mehr Boden.

Befeuert wurde die Sucht von seinen Lieblingslektüren wie „Hans Dilien, der Türmer" von Ludwig Hänselmann, „Volk ohne Raum" von Hans Grimm oder „Die Chronik von Barlete" von Gustav Frenssen. 

Doch bald konnte er seine Sucht  ganz ohne Lektüren selbst befeuern. Den Brennstoff gab es nun, im dritten, tausenjährigen Reich überall gratis, ohne Einschränkung und wurde mit wilder, grausamer Lust verfeuert. 

EIN BISSCHEN PRÜGEL HAT NOCH KEINEM GESCHADETWhere stories live. Discover now