8. Kapitel

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Klar strukturiert war die dörfliche Gesellschaft. War es auch wohl weniger formell als vielleicht in der Stadt, denn auch als Landarbeiter sagte man meist Du zum Bauern, so waren die sozialen Unterscheidungslinien doch unausgesprochen klar und wurden nicht in Frage gestellt. 

Die einfachen Landarbeiter, damals Knechte genannt, standen auf der untersten Stufe. Meist wohnten sie in schlichten Häusern mit Gemeinschaftsküchen für mehrere Familien. Die Häuser gehörten den Bauern, die Landarbeiter in gewisser Weise auch.

Die jungen Landarbeiterfrauen und Mädchen arbeiteten auf dem Feld und manchmal auch im Haushalt. Sie standen natürlich dem Bauern auch sexuell zur Verfügung. Die Kinder aus diesen Verbindungen wuchsen in den Landarbeiterfamilien auf. So war auch gleich für  nachwachsende Arbeitskräfte gesorgt.

Dieses tradierte System löste sich in den 1950er Jahren langsam auf. Die nahe Volkswagenfabrik in Wolfsburg bot vielen armen Landarbeitern plötzlich deutlich attraktivere und gut bezahlte Arbeitsplätze, mit sozialen Rechten und wesentlich weniger anstrengender Arbeit. So waren sie plötzlich keine Knechte mehr, sondern gutbezahlte Industriearbeiter. Die Bauern begannen sich einen umfangreichen Maschinenpark anzuschaffen und eine Geliebte in der Stadt.

Landarbeiter mit Spezialkenntnissen wie es Melker, damals Schweizer genannt, Traktorfahrer oder auch Besamer waren, hatten ein höheres Ansehen und oft schon ein eigenes Haus ,nur für sich und ihre Familie. Die weiblichen Familienmitglieder dieser Spezialisten standen für die Bauern meist nicht zur Verfügung. 

In der örtlichen Zuckerfabrik gab es sogar richtige Arbeiter. Sie waren keine Knechte, arbeiteten nicht auf dem Feld oder im Stall, sondern in einer wirklichen Fabrik. Die stellte Zucker und Rübensaft her, nichts Weltbewegendes also, doch brachte sie bereits seit 1864 einen Hauch Industriezeitalter in die abgelegene Ackerbauregion. Und natürlich Geld und Wohlstand für die Rübenbauern, die natürlich  Aktionäre der Fabrik waren. 

EIN BISSCHEN PRÜGEL HAT NOCH KEINEM GESCHADETWhere stories live. Discover now