19 - Autofahrten, Geständnisse und Erinnerungen

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Als ich am nächsten Morgen aufwache, sind meine Augen so verklebt, dass ich sie kaum aufkriege. Ich bin so völlig fertig, dass es sich mal wieder anfühlt wie gegen Treibsand anzukämpfen, bloß aufzuwachen und sich aus den seltsamen, wirren Träumen zu befreien, die mich die Nacht über verfolgt haben. Der einzige Lichtblick sind die starken Trost spendenden Arme, die weiche Brust, auf der mein Kopf nach wie vor gebettet ist und Pierces warmer Atem, der ruhig und regelmäßig meinen Nacken streift. Wir liegen noch faste genauso da wie gestern Nacht, bloß sind wir ein bisschen nach unten abgerutscht. Ich drehe meinen Kopf ein bisschen nach hinten um Pierce entspanntes Gesicht zu beobachten, da entfährt mir ein scharfes Zischen und ich richte mich schnell wieder nach vorne. Bei der Position in der wir geschlafen haben, ist es wohl kein Wunder, dass ich mit höllischen Nackenschmerzen aufwache. Trotzdem ärgert es mich, wenn das die Konsequenz dafür ist, kuschelnd einzuschlafen, dann werde ich wohl den Rest meiner Tage mit verspanntem Nacken verbringen müssen. Statt Pierce also anzusehen, befreie ich mich vorsichtig aus seiner Umarmung. Ihm entfährt ein kleines Grunzen, ehe er wieder in seinen ruhigen Atem zurückverfällt.

Ich kann nicht anders, als vor Schmerzen das Gesicht zu verziehen und leise zu seufzen, als ich ihn so ansehe. Ich wünschte wir könnten alles was gestern passiert ist einfach vergessen. Das war sowas von lächerlich, wie ich vor Panik total ausgerastet bin und total geheult habe. Was ist eigentlich bei mir falsch, dass ich immer alles kaputt mache? Immer wenn es gerade gut läuft grätsche ich mir selbst dazwischen - oder meine Vergangenheit. Die ganze Scheiße, die auf meiner alten Schule passiert ist war schon schlimm genug, ich war froh, dass das endlich vorbei war und auch schon zwei Jahre in der Vergangenheit lag - wie konnte es sein, dass mir das Geschehene nach wie vor alles kaputt machte? Schon wieder. Ich musste schleunigst aus diesem Raum raus, bevor ich schon wieder anfange zu weinen. Pierce hat gesagt ich sollte mit jemandem reden, egal mit wem, aber ich glaube nicht, dass das irgendwas bringen würde. Vielleicht war das jetzt einfach ein Teil von mir, so damaged zu sein. Vielleicht muss ich mich einfach damit abfinden, dass ich nicht in der Lage war, eine vernünftige Beziehung zu führen oder irgendwas, was auch nur ansatzweise in diese Richtung ging. 

Besser ich verletze Pierce jetzt, als dass es später andersherum abläuft. Diese Lektion habe ich ein für alle Mal gelernt. Kein Typ ist es wert, diese ganze Scheiße nochmal neu durchzumachen. Zumindest rede ich mir das gerade ziemlich erfolgreich ein. Also packe ich meine wenigen Sachen, die noch im Raum liegen leise zusammen und verschwinde dann vorsichtig durch die Türe. Ich würde mich einfach nicht mehr melden und das war's. So ist es für uns beide am schmerzlosesten. Trotzdem kommen mir schon wieder fast die Tränen, als ich durchs leise Haus schleiche. Die meisten schlafen noch und ich bin sehr froh, dass ich niemandem begegne. Ich will gerade unbemerkt die Garderobe betreten und mich durch die Haustüre davon machen, da höre ich ein Räuspern hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Ed, der mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen der Küchentür gelehnt ist und fragend eine Augenbraue in die Höhe gezogen hat. Entmutigt und ertappt bei meiner kleinen Flucht lasse ich die Schultern hängen. 

"Ich will einfach nur nach Hause", gebe ich dann erschöpft zu und Ed scheint eine Weile zu überlegen, ob er mir das durchgehen lassen soll, dann nickt er ergeben und seufzt. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck geht er an mir vorbei zur Tür und ehe er sie öffnen kann, sieht er mich erwartungsvollem Gesicht an und bedeutet mir ihm zu folgen. "ich fahr dich schnell", erklärt er und sein Ton lässt keine Widerworte zu. Ich seufze, war ja klar, dass ich so einfach nicht davonkomme. Ed und ich haben eine seltsame Beziehung, was sowas angeht. Er war mir mehr ein Bruder als Theo es je von ihm behaupten könnte. Vielleicht genau deswegen, weil es zwischen uns nicht diesen ganzen komplizierten Familienkram gab. Früher war das auch immer genau seine Masche gewesen. Mich irgendwo hinzubringen und mich auf der Fahrt zum Reden zu bringen. Er tat so, als würde er sich nur auf den Verkehr konzentrieren und ich tat so, als würde er mir tatsächlich  nicht wirklich zuhören. Natürlich hatte ich ihm trotzdem nie alles erzählt. Aber hätte ich nicht wenigstens über ein paar Sachen mit ihm geredet damals, dann wäre ich irgendwann geplatzt. Im Prinzip waren es also genau diese kleinen Gespräche, die mich davon abgehalten haben, irgendjemandem alles zu erzählen. Schließlich hatte Ed mich irgendwann soweit überredet, mich meinen Müttern zumindest ein wenig zu öffnen und die Schule zu wechseln. 

Wasting My Young YearsWhere stories live. Discover now