Unverzeihliche Flüche

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Langsam öffnete Severus seine tiefschwarzen Augen. Er fühlte sich völlig erschöpft und müde. Sein Blick wanderte durch den Raum. Gleisendes Sonnenlicht schien durch die hohen Fenster, sodass er ein paar Male blinzeln musste. Er war im Krankenflügel von Hogwarts gelandet. Wann und wieso Severus hier gelandet war, konnte er sich nur damit erklären, dass ein Angriffszauber von James ihn erwischt haben musste.
Er trug einen viel zu großen Pyjama aus weißem Leinenstoff. Seine Kleidung lag sorgfältig gefaltet auf einem hölzernen Schemel neben ihm.
Severus bemerkte, dass ein Verband um seine beiden Handgelenke gewickelt war. Etwas beunruhigt musterte er den Verband, bevor er die Handgelenke langsam bewegte. Er verspürte keine Schmerzen und atmete erleichtert aus.

„Ah, Sie sind endlich aufgewacht.", ertönte es. Eine Krankenschwester in einem langen roten Kleid und Schürze kam hinein. In der Hand hielt sie eine kleine dunkelbraune Flasche, die mit einem modrigen Korken verschlossen war.
„Sie können sich glücklich schätzen, dass Sie neben einem Angriffszauber nur einige Scherben abbekommen haben, Snape.", meinte die Krankenschwester mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
Jetzt fiel dem jungen Slytherin wieder das Duell mit James Potter auf dem Gang ein. Bei einem Zauber kam dabei die Vitrine mit den Quidditchauszeichnungen zu Bruch. An das, was danach geschah, konnte sich Severus nicht mehr erinnern.
Die Krankenschwester stellte die Flasche auf einen kleinen Tisch direkt neben seinem Bett und sagte: „Trinken Sie innerhalb der nächsten Stunde diesen Aufpäppeltrank. Danach können Sie wieder am Schulalltag teilnehmen."
Nach diesem Satz drehte sie sich um und verließ den Raum.

Severus setzte sich im Krankenbett auf und nahm die Flasche mit dem Trank in die Hand. Auf dem dunkelbraunen Glas hatte sich eine dünne Staubschicht gebildet. „Wieso sollte ich denn einen Aufpäppeltrank einnehmen? Ich bin doch gar nicht erkältet.. hat hier denn niemand eine Ahnung von Zaubertränken?", murmelte Severus und stellte die Flasche zurück auf den Tisch.
Er erhob sich aus dem warmen Bett, stellte sicher, dass er alleine war und zog sich um.
Was wohl mit James passiert war? Ob er den Vorfall für sich behalten würden? Oder würde er jedem im Gemeinschaftsraum der Gryffindors erzählen, dass er ein Duell gegen einen Slytherin gewonnen hatte? Und was würde Lily vom ihm denken, da Severus schließlich derjenige war, der zuerst einen Zauber gewirkt hatte.
Aus seiner Schultasche zog Severus seinen Stundenplan heraus. Zaubertränke hatte er komplett verpasst, genauso wie Kräuterkunde. Sein Finger wanderte in der Zeile immer weiter nach unten. Als nächstes hätte er Verteidigung gegen die dunklen Künste zusammen mit den Gryffindors. Severus fühlte sich nicht wohl dabei, James in ein paar Minuten wieder in die Augen zu blicken. Aber nicht zum Unterricht zu erscheinen war auch keine Dauerlösung. Mit einem Seufzen steckte er den Stundenplan zurück in die Tasche und verließ den Krankenflügel.

In den Gängen waren nur vereinzelt Schüler unterwegs.
„Habt ihr schon von dem Duell gehört? Angeblich soll Snape den armen Potter attackiert haben!", flüsterte ein Gryffindor zu einer Gruppe Hufflepuffs.
„Du meinst der da hat Potter attackiert?", fragte einer der Hufflepuffs und zeigte auf Severus, der nun immer schneller durch den Gang lief.
„Ja, das ist doch Snape, oder?", rief eine Ravenclaw empört auf der anderen Seite.
Innerhalb von Sekunden hatten sich alle Schüler im Gang zu Severus gedreht und starrten ihn an.
Einige lachten ihn aus, andere beschimpften ihn und einer warf sogar einen Schokofrosch nach dem Slytherin.

Nach ungefähr 15 Minuten kam Severus völlig außer Atmen unten im Kerker an und ging in den Gemeinschaftsraum der Slytherins.
Den Unterricht würde er heute ausnahmsweise ausfallen lassen. Er wollte nicht von James vor der ganzen Klasse ausgelacht werden.
Sein Buch würde er heute Abend aus dem Artefakteraum holen. Im Moment wollte Severus nur etwas Ruhe.
Mit einem Seufzer ließ sich er sich auf die Couch vor dem Kamin fallen. Er konnte die Hitze des Feuers auf seinem Gesicht spüren. Das Knacken des Holzes hallte durch den leeren Raum.
Müde legte der Slytherin seinen Kopf auf die Lehne der Couch und schloss die Augen. Am liebsten wäre er für immer alleine im Gemeinschaftsraum. Wahrscheinlich hatte schon ganz Hogwarts von dem Duell erfahren. Und jeder würde Severus die Schuld geben. Denn sein Haus hatte schon seit Jahren einen schlechten Ruf. Keiner würde glauben, dass es ein Gryffindor war, der einen Slytherin bedroht hatte. Hätte er gewusst, was heute passieren würde, so wäre er erst gar nicht aus dem Bett gestiegen.

Severus fiel vor Schreck fast von der Couch, als die Tür zum Gemeinschaftsraum mit einem lauten Knall aufflog.
„Wir haben schon überall gesucht, er kann nur hier sein, Luc- Sevy!"
Nun war er wieder hellwach und schaute in das glückliche und erleichterte Gesicht von Bellatrix. Hinter ihr stand Lucius, der ebenfalls sehr erleichtert aussah.
Das Mädchen sprang zum schwarzhaarigen Slytherin auf die Couch und umarmte ihn so fest, dass Severus kaum noch Luft bekam.
„Wo zum Teufel warst du? Wir haben die ganze Schule nach dir abgesucht!", sagte Lucius, der sich auf der Couch gegenüber niederließ.
„Ja, die ganze Schule! Lucius und ich hatten schon Angst, du seist nach Hogsmeade geflohen!", fügte Bellatrix hinzu.
Severus seufzte und setzt sich aufrecht hin, um seinen Freunden die ganze Geschichte zu erzählen.

„Als ich auf dem Weg war, um mein Buch zu holen, kam mir Potter entgegen.", erzählte er und legte eine Pause ein, als Bellatrix bei dem Namen Potter ihr Gesicht verzog.
„Ich wusste doch, dass man diesem Potter nicht trauen kann. Seine Freunde sind mir auch suspekt.", kommentierte Bellatrix, die inzwischen ihren Umhang abgelegt hatte und es sich neben Severus auf der Couch gemütlich gemacht hatte.
„Jedenfalls..", setzte er fort, „haben wir uns duelliert. Und dann bin ich später im Krankenflügel aufgewacht. An mehr kann ich mich nicht erinnern."

Lucius sah seinen Freund fragend an, lehnte sich etwas nach vorne und flüsterte: „Wieso hast du nicht einen der unverzeihlichen Flüche angewendet? Ich dachte, du beherrschst diese Art von schwarzer Magie?"
Bellatrix stimmt dem blonden Slytherin mit einem raschen Nicken zu.
„Bist du irre, Lucius?", zischte Severus, „Ich will Professor werden. Denkst du, das Ministerium interessiert es nicht, wenn ich einen unverzeihlichen Fluch an einem Mitschüler anwende?"

Er stand von der Couch auf und stellte sich vor den Kamin. Das Feuer reflektierte sich in seinen tiefschwarzen Augen.
Einen unverzeihlichen Fluch hätte er ohne Probleme auf James anwenden können. Aber die Konsequenzen würden sich durch sein ganzes Leben ziehen. Und die Wahrscheinlichkeit, deswegen in Askaban zu landen, war enorm hoch. So verlockend es auch gewesen wäre, das Licht aus James' Augen verblassen zu sehen, konnte sich Severus dennoch jedes Mal zusammenreißen.
Hinter ihm räusperte sich Lucius und sprach: „Gleich gibt es Abendessen. Wir sollten uns auf den Weg in die große Halle machen."

Die Freunde verließen den Gemeinschaftsraum und machten sich auf den Weg in die große Halle. In den Gängen kamen ihnen immer wieder Schüler entgegen, die zu tuscheln anfingen, als sie die drei Slytherins sahen.
Mit gesenktem Kopf versuchte Severus den verurteilenden und demütigenden Blicken zu entweichen.
Sein Duell mit James schien sich wirklich wie ein Lauffeuer ausgebreitet zu haben.
Sicherlich gab es schon die verrücktesten Gerüchte und Theorien, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

Nach einigen Minuten erreichten sie die große Halle. Sie war fast vollkommen gefüllt, was Severus als Chance sah, jetzt sein Buch aus dem Artefakteraum zu holen. Wenn er sich beeilen würde, so würde er mit etwas Glück noch etwas essen können.
„Geht ihr schon rein, ich komme gleich nach.", flüsterte der schwarzhaarige Slytherin und schaute sich unsicher um.
„Bist du sicher, dass du alleine gehen willst? Ich kann mit dir mitkommen.", bot Lucius seinem Freund an.
Doch Severus verneinte und lehnte das wohlwollende Angebot ab.
Bellatrix wünschte ihm viel Erfolg und versprach ihm, dass sie ihm einen Platz freihalten würde.

Tatsächlich begegnete Severus niemanden in den Gängen. Dennoch drehte er sich ein paar Mal um, um sicherzustellen, dass ihm niemand folgen würde.
Am Ende eines langen Ganges, nur wenige Meter entfernt, sah er die hölzerne Tür des Artefakteraums. Erleichtert zog er seinen Zauberstab aus seinem Umhang hervor und öffnete mit einem „Alohomora!", die Tür.
Endlich könne er sein Buch nehmen und verschwinden.
„Was zum-?", rief Severus und schreckte zurück.
Auf dem Boden saß ein Junge mit braunem Haar, das Gesicht übersät mit Narben. Er trug einen Umhang, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war. Das Wappen auf seinem Umhang verriet, dass es sich um einen Gryffindor handeln musste.
Im Raum stand ein dampfender Kessel, in dem eine gelbe Flüssigkeit blubberte. Ein fürchterlicher Geruch breitete sich aus.
„Verschwinde, Snape!", schrie der Junge und versuchte den Kessel mit seinen Händen zu verdecken.
Doch Severus verließ den Raum nicht.
„Du sollst abhauen!", schrie der Junge erneut und klang mehr verzweifelt als wütend.
Der Slytherin ließ die Tür ins Schloss fallen, verschränkte nachdenklich die Arme. Der Gryffindor kam ihm bekannt vor.
„Bist du es, Lupin?", fragte Severus vorsichtig.

Five Sickles - eine Snily Fanfiction (Deutsche | German Version)Where stories live. Discover now