Kapitel 11

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„Hmmm, diese Pasta war eine Glanzleistung. Wo hast du so gut kochen gelernt?",murmelt Hannah mit noch vollem Mund, stellt den nun leeren Teller neben meinem auf dem Wohnzimmertisch ab und lehnt sich wieder zurück an die Couchlehne, die Füße vor ihr elegant ineinander verschlungen.

Ich gebe zu, dass ich in den letzten zehn Minuten unentwegt damit beschäftigt war, auf Hannahs kauenden, rot schimmernden Lippen zu starren und die sinnlichen Geräuschen in mir aufzusaugen, die immer wieder aus ihrer Kehle drangen. Jetzt muss ich bei ihrem Lob schmunzeln, spüre aber zugleich auch, wie meine Wangen an Hitze gewinnen.

Dass das Essen Hannah geschmeckt hat, war kaum zu übersäen. Abgesehen von den genießerischen Tönen und der Tatsache, dass sie beim Essen immer wieder die Augen schloss und den Kopf leicht in den Nacken legte, hat sie auch drei Portionen verdrückt, während ich schon bei der ersten zu kämpfen hatte. Dass diese Frau Unmengen an Essen verputzen kann, ist mir nicht neues, aber ich habe vergessen, wie gerne sie auch jeden in ihrer Umgebung an ihrem appetitlichen Wohlgefallen teilhaben lässt. Ich spüre noch jetzt die Gänsehaut auf meinem Körper prickeln, die sich bei ihren lustvollen Lauten gebildet hat.
Hannahs verwirrtes Runzeln auf ihrer Stirn und das freche Lächeln auf ihren Lippen erinnern mich daran, dass ich ihr noch eine Antwort schuldig bin.

Ich reibe mir mit einer Hand über den Arm, während mir die Frage durch den Kopf schießt, ob das jetzt der richtige Augenblick für die Wahrheit ist. Hannah sieht so glücklich und gedankenlos aus und ich will ihr diesen Moment der Seligkeit nicht nehmen. Andererseits will ich Hannah auch nicht ständig anlügen müssen. Es reicht, wenn diese eine gigantische, verhängnisvolle Unwahrheit zwischen uns steht. Sobald ich an diese Lüge denke, habe ich das Gefühl, dass sich ein Strick um meine Kehle legt und mich atemlos macht.

Ich seufze, spiele übertrieben hingebungsvoll mit meinen Händen und versuche, Hannah nicht in die Augen zu sehen.

„Du hast es mir beigebracht",presse ich aus zusammengekniffenen Lippen hervor und spüre sofort die Angst meine Kehle hinaufsteigen, bei dem Gedanken daran, dass Hannah die unweigerliche Konfrontation mit ihrer Krankheit das schöne Lächeln aus dem Gesicht streichen könnte.
Aber mit dem heiteren Lachen, das urplötzlich über ihre Lippen kommt, habe ich nicht gerechnet.

„Ich habe dir diese derartig guten Kochkünste beigebracht?",fragt sie und sieht mich aus ihren großen blauen Augen so amüsiert wie überrascht an, dass sich auf meine Lippen ebenfalls ein zaghaftes Lächeln legt.

„Äh...ja. Warum verblüfft dich das so sehr?"

Hannah lehnt sich nach hinten gegen die Couchlehne und sieht mich aus einem verschmitzten Blick an.

„Ich dachte immer, ich wäre eine miserable Köchin."

„Nein, du bist sogar eine sehr gute Köchin. Die Pasta habe ich nach deinem Rezept gekocht. Wie kommst du darauf, dass du nicht kochen könntest?"

Für einen kurzen Augenblick macht sich ein bedächtiges Schweigen zwischen uns breit, dann seufzt Hannah hörbar auf, so, als könnte sie die nächsten Worte nur mit viel Mühe über die Lippen bringen. Die plötzlich angespannten Gesichtszüge verraten mir, dass die Antwort mit ihrer Krankheit zusammenhängen muss und augenblicklich bereue ich, überhaupt nachgefragt zu haben.

„Ein paar Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus habe ich mich mal am Herd versucht. Mein Mann und ich haben eine Haushälterin, die scheinbar immer für uns gekocht und das Haus sauber gehalten haben muss. Eigentlich hätte allein schon diese Tatsache mich abschrecken müssen. Aber an diesem Abend wollte ich mir vermutlich einfach nur selbst etwas beweisen. Die Amnesie sorgt dafür, dass ich meinen Mann nicht wiedererkenne und den Weg zur Arbeit nicht mehr finde, aber wenn mich jemand etwas über die berühmtesten Maler der Weltgeschichte fragt, kann ich wie aus der Pistole geschossen antworten",berichtet Hannah.
„An diesem Abend sehnte ich mich so sehr nach einem Gefühl der Normalität, dass ich die Haushälterin bat, sich an diesem Abend aus der Küche fern zu halten. Ich dachte, ich könnte kochen, schließlich war mein künstlerisches Wissen ja auch nicht erloschen. Aber als ich schließlich vor dem Herd stand und das Gemüse und die leeren Töpfe vor mir anstarrte, war in mir nur ein schwarzes Nichts. Ich bin in Tränen ausgebrochenen und auf dem Boden zusammengesackt."

Forgotten LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt