Kapitel 1

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Dear Baby,
I may be thousands of miles away
but you are still the first thing on my mind.

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15. Juni 2020

„Sie nehmen das Medikament bitte zwei Mal täglich ein. Und machen Sie bitte einen weiteren Kontrolltermin für Ende der nächsten Woche aus. Sollten bei Ihnen bis dahin Beschwerden auftreten, kommen Sie bitte umgehend her."

Der ältere Mann folgt meinen Erzählungen aufmerksam und signalisiert mir sein Einverständnis anschließend mit einem knappen Nicken. Ich lächel, unterzeichne das Rezept, das vor mir auf meinem Schreibtisch liegt, und reiche es ihm schließlich.

„Vielen Dank Frau Doktor"

„Kein Problem." Bei dem Wort Frau Doktor spüre ich auch heute noch ein warmes Kribbeln in meinem Bauch. Wie lange habe ich davon geträumt Ärztin zu werden und nun kann ich kaum glauben, dass ich es tatsächlich bis hier her geschafft habe.

„Auf Wiedersehen."

„Auf Wiedersehen. Und gute Besserung!"

Als er durch die Praxistür verschwunden ist, lehne ich mich erschöpft in meinem Schreibtischstuhl zurück und gönne mir einen kurzen Moment zum Verschnaufen. Durch das offene Fenster dringen warme, kostbare Sonnenstrahlen ins Behandlungszimmer und lassen den Raum förmlich von Licht magisch erstrahlen. Auch heute ist es wieder spät geworden. Ich freue mich schon bei einem guten Glas Rotwein die letzten Stunden des Tages genießen zu können. Für einen gewöhnlichen Freitag war es wie üblich voll im Behandlungszimmer, aber das ist okay so. Die Arbeit macht mir großen Spaß und ich weiß, dass ich in ihr meine Berufung gefunden haben. Auch, wenn mein Privatleben dafür hin und wieder zurückstecken muss. Aber damit kann ich leben, zumal ich ohne Kinder uneingeschränkter bin und Svenja, mein Lebensgefährtin, und ich mit einer Fernbeziehung gut leben können. Svenja arbeitet in einer Boutique im Herzen Stockholms und bis hier her raus aufs Land braucht sie mit dem Auto eine gute Stunde. Sie liebt ihren Job und für einen gemeinsame Wohnung halten wir es einfach noch für zu früh, weshalb wir uns oft nur an den Wochenenden sehen. Momentan reicht mir das aber vollkommen aus.

Ich erhebe mich von meinem Schreibtisch und gehe ins angrenzende Wartezimmer, in dem mich nichts als Leere begrüßt. Leonie, meine beste Freundin und Sprechstundenhilfe, bestätigt meine Vermutung. „Das war der letzte Patient für heute. Ich denke, du hast dir deinen Feierabend verdient."

Sie sieht vom Computerbildschirm auf und strahlt mich breit grinsend an. Dabei sehen ihre großen grauen Augen, die hinter den schmalen Brillengläsern nur noch besser zur Geltung kommen, kein bisschen müde aus und wüsste ich nicht genau, dass sie schon seit heute Morgen im Dienst ist, hätte ich glatt darauf gewettet, dass sie eben erst aufgestanden ist.

„Den hast du dir mindestens genauso sehr verdient",sage ich, lehne mich gegen den Empfangstresen und schnappe mir einen Bonbon aus der kleinen Schatulle, an der sich sonst immer nur unsere kleinen Patienten bedienen. Leonie und ich kennen uns schon, seit ich im Sandkasten gerade sitzen kann. Sie ist auch hier in Schweden geboren, aber anders als ich nie nach Deutschland ausgewandert. Wir kannten uns damals durch unsere Eltern, die eine enge Freundschaft pflegten, und auch wir hielten noch engen Kontakt, als ich damals mit meiner Familie nach Hamburg zog. Und dieser Kontakt wurde nur noch um einiges stärker, als ich schließlich wieder zurück in die alte Heimat kam. Ich vertraue ihr, wie ich nur wenigen Menschen in meinem Leben je vertraut habe. Und sie ist so ziemlich die einzige, die dieses Vertrauen noch nie mit Füßen getreten hat.

Forgotten LoveWhere stories live. Discover now