Kapitel 06

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Jake

Seit genau drei Minuten befinde ich mich wieder auf dem Schulgelände, gerade rechtzeitig zum Ende der Freistunde. Aber irgendwie habe ich es nicht mehr in mir, die restliche Zeit auf irgendwelchen Stühlen zu sitzen, mir irgendein Gelaber über Boxplots anzuhören oder mich von zornigen Bullen nach Stoff abtasten zu lassen, also verschanze ich mich in die hinterste Ecke des Schulhofs, wo ich ungestört bin und mich niemand sieht und beiße mir verzweifelt auf die Unterlippe.

Das Marc vorhin einfach so mit der Tür ins Haus gefallen ist, dass er all die Jahre, in denen ich sorgfältig versucht habe, alles vor ihm zu verheimlichen, gewusst hat, wie es um mich steht und es mir kein einziges Mal zu verstehen gegeben hat, bringt mich innerlich um.

Ich fühle mich so komplett wehrlos, enttarnt und bin deswegen auch sofort abgehauen, ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln oder unsere nächsten Schritte und Vorgänge abzusprechen. Ich habe mich ja eigentlich nur mit ihm getroffen, um ihm zu sagen, dass wir ab heute getrennte Wege gehen werden, aber das ist mehr als nur gründlich in die Hose gegangen und um ehrlich zu sein ist das gerade mein geringstes Problem.

Ich weiß echt nicht, wie ich mit ihm umgehen soll, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll, wenn die letzten Jahre praktisch alle auf einer riesigen Lüge basiert haben, die er von Anfang an durchschaut hat.

,,Was ist los?" Jemand reißt mich völlig unerwartet und brutal aus meinen Gedanken, in denen ich gerne noch eine Weile weiterhin versunken geblieben wäre. Als ich hochsehe, starrt diese Cara mich mit einem besorgten Blick an. Ich bemerke amüsiert, wie sehr sie versucht, ihr Pokerface aufzusetzen, einfach beiläufig und uninteressiert zu klingen, dabei leuchtet diese Neugier und Angst in ihren Augen deutlicher als alles andere.

Und das beweist mal wieder, dass wir in vielen Sprachen lügen können, mit Ausnahme der Körpersprache. Wir können die Enttäuschung in unsere Augen nicht vertuschen, das entschwindende Lächeln unserer guten Laune, die durch Worte zerstört wird, die ganz und gar nicht für unsere Ohren bestimmt sind.

Wir können zwar versuchen so zu tun als ob uns so vieles nicht interessiert, aber für Leute, die genau hinsehen sind wir verletzlich und einfach zu durchschauen.
Ob wir es wollen oder nicht.

,,Gar nichts?" frage ich mehr als ich antworte und mir fällt überhaupt nicht auf, dass ich gerade das selbe tue, wie Cara.

Ich ignoriere Marcs belastende Worte und mache einen auf uninteressiert. Ich kenne dieses schöne Mädchen mit den goldenen Haaren und dem herzförmigen Mund nicht, aber wenn sie eine von der Sorte ist, die redet und dabei auch etwas sagt, die die Augen auf hat und die wichtigen Dinge im Leben sieht anstatt wegzugucken, dann weiß sie auch, dass momentan sehr viel bei mir los ist.

,,Sicher?"

Ich nicke verstohlen, lehne mich gegen die raue Wand hinter mir und zünde mir eine Zigarette an. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, sie danach zu fragen, ob sie auch eine will, da sie kein bisschen nach Rauch stinkt und auch sonst nicht wie der typische Qualmer aussieht. Ich würde sogar darauf wetten, dass sie ihre Nase rümpft, wenn ich eine kleine Wolke Nikotin in ihre Richtung puste.

,,Jup," erwidere ich noch einmal, zucke mit den Schultern und schließe beim inhalieren des Rauches meine Augen, damit ich mich besser darauf konzentrieren kann, wie sich meine Lungen mit ungesundem Teer füllen.

Denn ich rauche keines Weges, weil ich es genieße. Ich rauche um zu sterben.

Das mag sich vielleicht ein wenig komisch anhören, aber ich habe es ziemlich eilig. Es gibt in meinem Leben rein gar nichts, wofür es sich auch nur Ansatzweise lohnt, zu kämpfen. Und auf Dauer habe ich keine Lust, vollgepumpt mit Medikamenten und stechenden Kopfschmerzen durch die Gegend zu rennen, wenn es niemanden gibt, für den ich mich freiwillig quäle. Da wäre höchstens Danny, mein kleiner Bruder, dem ich noch etwas schulde. Und wenn ich diese Auflage erfüllt habe, dann wird es das sein. Dann ist Schluss.

Stirb Mit MirTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon