Kapitel 32

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Cara

Es ist nun genau zehn Wochen her, das Jake mir seine Liste überreicht hat, mit all den Dingen, die er zusammen mit mir tun will. In den zehn Wochen hat sich viel getan. Wir haben viel erlebt. Kate und Reece haben sich drei Mal getrennt und wieder versöhnt, Cry seine wahre Bestimmung gefunden (nämlich Grundschüler unterrichten, auch wenn ich ihm dies niemals zugetraut hätte), Marc ist nach Amerika gegangen und lebt dort nun seinen Traum und ich? Tja, ich habe meinen Ausbildungsplatz aufgegeben.

Für Jake.

Damit wir zusammen seine letzten Wünsche erfüllen können.

Die Entscheidung ist mir nicht sonderlich schwer gefallen.

Es ist für mich selbstverständlich gewesen meine beruflichen Träume erst einmal hinten anzustellen. Immerhin habe ich alle Zeit der Welt, während ihm nur noch ein halbes Jahr bleibt. Wenn überhaupt.

Außerdem hat sich auch bei Jake viel getan. Er trägt keine schwarzen Klamotten mehr, sein Hautton hat sich ein wenig verändert, er ist nicht mehr so blass wie vorher. Seine Augen leuchten jeden Tag wie Sterne am Himmel, die dunklen Ringe darunter haben sich scheinbar in Luft aufgelöst und er hat fast durchgehend gute Laune. Es ist als wäre er ein ganz anderer Mensch. Er wirkt plötzlich so lebendig und egal wo er ist, scheint die Sonne.

Grinsend greife ich in meinen Nachtschrank und fische die Liste heraus, die Jake mir vor Wochen überreicht hat.

Inzwischen kenne ich sie auswendig, doch trotzdem liege ich wach in meinem Bett, starre an die Decke und drücke sie fest gegen meinen Oberkörper.

Glücklich grinsend erinnere ich mich an gestern, den Tag, an dem ich ihm Punkt sechs, ein Schmetterlingshaus besuchen, erfüllt habe:

- Flashback -

,,Wo sind wir hier?" Man merkt Jake an, dass er nicht der Typ für Überraschungen ist, denn er fummelt ständig an seiner Augenbinde herum, in der Hoffnung, einen kurzen Augenblick Tageslicht zu Gesicht zu bekommen. Aber da hat er nicht mit mir gerechnet, dem Luchs höchstpersönlich, der ihm jedes Mal die Hand aus der Luft schlägt, sobald er sie in Richtung seines Kopfes bewegt.

,,Wirst du sehen wenn ich dir die Augenbinde abnehme," erkläre ich ihm zum hundertsten Mal. Vielleicht ist diese Art von Überraschung nicht gerade die beste Idee, wenn man bedenkt, dass er bereits jetzt schon weitaus hibbeliger ist, als ein hyperaktives Kind, was versehentlich eine ganze Tasse Kaffe leergeschlürft hat. Aber was solls.

,,Und wann ist das?" quengelt er weiter.

Ich will gerade noch etwas patziges erwidern, oder ein Fahnenblatt abreißen, um ihm damit den Mund zuzubinden, als ich endlich das riesige Schild mit den Schmetterlingen erkennen kann. Ich seufze erleichtert, zerre ihn etwas schneller als vorher durch die Pampa, bis wir vor einem riesigen Tor stehen, hinter dem sich eine Artenvielfalt verbirgt, die man sich nicht einmal in seinen kühnsten träumen ausmalen kann.

Insgeheim bin ich wahrscheinlich aufgeregter als Jake und freue mich wie ein kleines Kind. Mit zittrigen Fingern reiße ich ihm förmlich den Stofffetzen von den Augen und erwarte eine Reaktion. Irgendeine. Aber es tut sich nichts.

Nervös beuge ich mich ein wenig vor um Jakes Gesicht sehen zu können und muss mir daraufhin ein Lachen verkneifen.

Seine Augen sind geweitet sodass sie drohen, jede Sekunde vor uns auf den Boden zu fallen. Sein Mund ist weit geöffnet und ich fürchte ernsthaft, dass sein Unterkiefer sich in ferner Zukunft ausklinkt, wenn er sich nicht alsbald zusammen reißt.

Ich will schon etwas sagen, aber genau dann quietscht er auf einmal so laut, dass ich vor Schreck zusammen zucke. Und ehe ich mich versehe, packen mich zwei starke Arme, drücken mich ganz fest und zerquetschen mich fast. Ich kann spüren wie ich blaugrün anlaufe und mir langsam aber sicher der Sauerstoff ausgeht, aber ich will auf keinen Fall diesen Moment zerstören und Jake aus seiner Euphorie rausreißen.

Stirb Mit MirWhere stories live. Discover now