Kapitel 35

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Cara

Nachdem auch mein abgeschaltetes Gehirn endlich realisiert hat, dass Jake auf dem besten Wege ist aufzuwachen, dass er sich einiger Maßen erholt hat, habe ich den Rat des Arztes befolgt und bin total übermüdet und fertig mit den Nerven nach Hause gefahren.

Natürlich nicht ohne mir vorher noch versprechen zu lassen, angerufen zu werden, sobald Jake vollständig wach ist und wieder Besucher empfangen darf.

Und nach einer schlaflosen Nacht hat mein Telefon wirklich geklingelt, ich bin in Windeseile zurück ins Krankenhaus gedüst und stehe nun vor seiner Tür. Eigentlich darf ich reingehen, genau genommen seit zwanzig Minuten aber ich konnte mich bis jetzt komischerweise nicht dazu durchringen. Gestern und die ganzen Tage davor habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als das er endlich wieder aufwacht aber nun wo es soweit ist, habe ich Angst. Angst davor ihn schwach zu sehen. Ich weiß, dass mich sein Anblick erschrecken wird. Natürlich wird er krank aussehen. Seine weichen, roten, vollen Lippen werden aufgeplatzt und farblos erscheinen, seine Augen haben bestimmt den Glanz verloren und er wird nicht lächeln. Nein, er wird das Gesicht verziehen, weil auch er jetzt endlich begriffen haben muss, wie schlecht es um ihn steht.

Ich hadere noch eine Weile mit mir, ehe die Neugier und das Verlangen danach, ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können, größer sind als meine Angst.

Ich halte kurz den Atem an, als sich meine kleinen, zierlichen Finger um die eiskalte Messingtürklinke legen und meine Hand sie vorsichtig runter drückt. Die Tür geht quälend langsam auf und knarrt dabei etwas, weshalb ich auch schreckhaft und komplett am Boden zusammenzucke. Ich habe seit zwei Tagen nicht mehr in den Spiegel geguckt, weil ich gar nicht wissen will, wie ich aussehe. Wahrscheinlich noch schlechter als Jake. Augenringe habe ich mit Sicherheit, da ich seit seinem Anfall kein Auge mehr zugekriegt habe, obwohl ich bereits hundemüde bin. Blass scheine ich auch zu sein, wie mir die Krankenschwester gestern versucht hat, beizubringen. Und auch sonst fühle ich mich grauenhaft, was sich bestimmt blendend auf mein Äußeres überträgt. Aber hier geht es nicht um mich, sondern um Jake.

Als sich die Tür zu seinem Krankenzimmer schließlich vollständig öffnet, weht mir eine kühle Brise entgegen und jagt mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Ich hole tief Luft, versuche an irgendetwas schönes zu denken und betrete fröstelnd den Raum.

Entgegen all meiner Erwartungen liegt Jake nicht in seinem Bett und ist an zahlreiche Geräte angeschlossen, schwach und schläfrig, sondern sitzt regungslos auf dem Fensterbrett, sein Kopf lehnt am Rahmen, seine Augen sind wie so oft, wenn er in der Natur über etwas nachdenkt, starr in den Himmel gerichtet und er trägt nur zwei kleine Schläuche in seiner Hand, die sich bei einem genaueren Blick auf die Umgebung als Verbindung zu einem Tropf und als Anschluss an einen Elektrokardiographen herausstellt.

Jake ist so sehr versunken in seine Gedanken, dass ich befürchte, dass er sich, wenn er mich sieht, sehr erschreckt und glatt aus dem dritten Stock fällt. Also klopfe ich zögerlich gegen die offene Tür um meine Anwesenheit anzukündigen.

Sein Kopf schnellt zur Seite, sein Gesicht entspannt sich augenblicklich, als er mich sieht, seine Augen leuchten voll Ideen, sein Mund ist weit geöffnet.

So voller Energie und Leben habe ich ihn garantiert nicht erwartet. Das ist um ehrlich zu sein das letzte, was ich mir vorgestellt habe, als ich geschlagene zwanzig Minuten diese weiße Tür angestarrt- und mit mir selbst gekämpft habe, aus Angst vor dem Anblick, der sich mir eventuell bieten könnte. Aber zu meiner Überraschung scheint es ihm gut zu gehen. Jedenfalls besser als erwartet.

,,Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt," lache ich leise und laufe erleichtert auf ihn zu. Doch er fängt an zu reden bevor ich überhaupt die Zeit habe, ihn zu begrüßen: ,,Ich will hier nicht sterben," keucht er atemlos.

Stirb Mit MirWhere stories live. Discover now