Kapitel 14: Ende gut ... Nichts gut

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14

 

Ende gut ...

 

»Weshalb schläfst du nicht, Nate?« Owain sank auf ein Knie und wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. »Deine Mutter wird sich Sorgen machen ...«
»Mamhí weint.«
Mehr musste der Junge nicht zu dem Krieger sagen, um ihn dazu zu bringen, das Training abzubrechen. Sein Partner hatte sich bereits einen anderen Gegner gesucht, wie der Scáthán sich mit einem kurzen Blick über die Schulter versicherte.
»Ich habe versucht sie zu trösten, aber sie hat mich fortgeschickt.«
Der Knabe schlang die dünnen Arme um den kräftigen Hals seines Ziehvaters, der ihn hochhob. Die Geste des Jungen war nicht charakteristisch für das Verhältnis der beiden, aber Teàrlach wusste, dass Owain sie dankbar annahm.
Der Scáthán hatte sich von Anfang an als Protektor der jungen Mutter und ihres Sohnes gesehen. Mit den Jahren hatte sich Zuneigung zu seinem Beschützerinstinkt gesellt und schließlich Liebe. Owain war Amelias Trauer um den Vater ihres Kindes stets mit Achtung begegnet und hatte sich nicht bedenkenlos über das Recht des Sohnes hinweggesetzt, für seine Mutter die Verantwortung zu übernehmen – obwohl der ihm kaum bis zur Hüfte reichte und ein Schwert nur halten konnte, wenn es aus Holz war.
Owain beobachtete die Entwicklung des Knaben mit ähnlicher Sorge wie Teàrlach, hütete sich aber, stärker in dessen Erziehung einzugreifen als Amelia ihm gestattete. So waren ihm die Hände ähnlich gebunden, wie demjenigen, der sich nun schon einige Jahre den Körper mit Nate teilte. Der Scáthán bemühte sich um Gleichmut den Ausfällen des Knaben ihm gegenüber, überhaupt dessen unter der Oberfläche lauernden Zorns. Das Trauma der frühesten Kindheitserlebnisse entschuldigte vieles in den Augen des Kriegers – mehr als in Teàrlachs, der unmittelbar erfuhr, dass nicht nur ein Schatten die Seele des Jungen befleckte.
Owain war sich gewahr, dass seine Bewährungszeit als Ziehvater und möglicher Gefährte Amelias lange wehren würde und er versuchte erst gar nicht, in Konkurrenz zu Nates leiblichem Vater zu treten. Amelia hatte sich und ihrem Sohn keinen Gefallen getan, den verstorbenen Nathair auf ein Podest zu heben, aber Owain hütete sich, daran zu rütteln oder ihn gar herunterzustoßen. Er gab sich mit gelegentlichen Spaziergängen an Amelias Seite zufrieden, ein gemeinsames Mahl von Zeit zu Zeit und dass sie zur Stelle war, wenn er verletzt in die Festung zurückkehrte. Er war ein besserer Kämpfer als die Anzahl seiner Verwundungen vermuten ließ, und ein mutigerer, schließlich hatte Amelias Ausbildung zur Heilerin eben erst begonnen. Teàrlach hoffte für den Scáthán, seine Strategie ginge eines Tages auf.
Das Herz der Mutter zu erobern, schloss jedoch nicht automatisch den Sohn ein, dessen war sich Owain bewusst und er wertete es als große Gunst, den Knaben beim Kosenamen nennen zu dürfen. In einer Sache bestand zu jeder Zeit Einigkeit zwischen Owain und Nate: Amelias Wohlergehen stand an erster Stelle, aber allein Nate bestimmte die Bedingungen ihrer stillschweigenden Übereinkunft.
»Glaubst du mir wäre möglich, deine Mutter zu trösten?«
Er sprach es nicht aus, aber der Scáthán bat um Erlaubnis, die ihm der Knabe mit einem ernsten Nicken erteilte, ehe er sein Gesicht am Hals des Kriegers vergrub. Owain strich über den Kopf des Jungen, nahm hin, dass Nate sich von ihm nährte, ohne sein Einverständnis einzuholen.
Als Péist Nimhe musste Nate den Scáthán nicht beißen. Es war nicht dessen Blut, das er begehrte, es war die Hyfydra, die kraftvoll in Owains Lythyra pulsierte. Den starken Krieger würde das, was der Knabe sich durch reinen Hautkontakt von seiner dämonischen Lebensenergie nahm, nicht in die Knie zwingen, allerdings betrachteten seine Kampfgefährten sein Tun nicht ausschließlich mit Wohlwollen.
Teàrlach sah durch Nates Augen, wie sie Owain mit dem Knaben auf dem Arm nachstarrten, einigen stand Sorge ins Gesicht geschrieben, anderen Abscheu. Letztere waren überwiegend Rugadh und unter ihnen diejenigen, die Cahir Dál Gorans Reformbemühungen geringschätzten – ihre Missachtung galt Owain nicht minder als dem kleinen Schlangendämon. Sie lehnten sich nicht offen gegen den Großmeister des Ordens auf, der zu dem Entschluss gelangt war, die Bráthair an Dorchadas würden untergehen, wenn sie ihre Tore nicht für alle Andersblütigen öffneten. Owain war für viele die Verkörperung der unerwünschten neuen Linie in der Ordenspolitik, mehr noch, er galt als der eigentliche Initiator. Eine Rolle, die ihm nicht zustand, da er kein Rugadh war und noch dazu einer der unteren Dämonenkasten entstammte. Eine Rolle, die er sich ihrer Meinung nach durch Cahirs Freundschaft erschlichen hatte. Durch die Verbindung zum Ordensmeister war Owain sakrosankt, nicht jedoch Nate und so piesackten sie den Knaben hinter dem Rücken seines Ziehvaters, wohl wissend, dass der Junge zu stolz war, sich bei dem Scáthán auszuweinen und seine Mutter zu sehr liebte, um sie mit seinen Nöten zu belasten.
Nate schwor Rache, jedes Mal, wenn er sich in einem für seine Peiniger unzugänglichen Winkel der Festung versteckte und sich zornig die Tränen fortwischte, angeekelt von der eigenen Schwäche. Sein Schwur war umfangreicher als schnöde Vergeltung, er verlangte einen Ausgleich vom Schicksal, das ihm für den Verlust des Vaters etwas schuldete. Ihm war gleich, auf wessen Kosten er seinen Ausgleich erhielt und ihm war gleich, dass nicht alle Krieger der Bruderschaft einen Parasiten in ihm sahen.
Teàrlach waren die Hände gebunden, weder konnte er sich an dem Jungen vorbei an Owain oder Amelia wenden, noch Nate zwingen, zu sehen, dass die Mehrheit der Krieger nichts gegen das Asyl einzuwenden hatten, welches der Orden Amelia und ihrem Sohn gewährte. Er hatte es versucht, mehr als nur ein Beobachter zu sein, hatte geglaubt, darin würde der Sinn von Asarlaírs Richterspruch liegen – viel erreicht hatte er nicht. Wenn überhaupt etwas von ihm in das seit Nates Geburt nicht mehr so helle Schillern sickerte, das Teàrlach für dessen Seele hielt, dann war es wertlos für die Entwicklung des Knaben. Es war dem Jungen nicht bewusst, weshalb er sich bei seiner menschlichen Gestalt für eine jüngere Version Teàrlachs entschieden hatte.
Péist Nimhe waren bei ihrer äußeren Erscheinung vor die freie Wahl gestellt. Ein natürlicher Ausgleich für einen in die Wiege gelegten Makel und Überlebensstrategie ihrer gesamten Art. In Ermangelung weiblicher Schlangendämonen, fiel die Wahl auf menschliche Frauen, die ihre Nachkommen austragen sollten – sie anzulocken, erleichterte ein angenehmes Äußeres, das nicht von glänzender Schlangenhaut überzogen war.
Amelias Reaktion auf die Wahrheit durfte nicht als repräsentativ gesehen werden und erklärte sich allein durch ihr liebendes Herz, mit dem sie Nathairs Vater gesehen hatte. Eine Liebe, die gegenseitig gewesen war, denn hätte der Schlangendämon nur einen Schoß für seine Saat gesucht, hätte er sich ihr nicht offenbart. Er hätte die Geburt abgewartet und seinen Sohn aus dem Kindbett geraubt. So funktionierte die Strategie und selten entstand eine wahrhaftige Verbindung zwischen den Elternteilen, weshalb das Schicksal Nathairs und Amelias um so tragischer anmutete. Liebende Eltern hätten vielleicht verhindert, dass aus den anfänglichen Schatten auf einem hoffnungsvollen Schillern, ein finsterer Flächenbrand wurde, der Nates Seele verschlang.
Wie der Zufall es wollte und Teàrlach aus den Erzählungen der Mutter erfahren hatte, verband ihn eine gewisse Ähnlichkeit mit Nates Vater – grüne Augen, kastanienbraunes Haar – und so vermutete niemand Außergewöhnliches hinter der Entwicklung des Jungen. Teàrlach jedoch befürchtete eine tiefer gehende Botschaft in der Tatsache, dass er die eigene Spiegelung in den Augen der anderen sah.
»Ich werde mich um deine Mutter kümmern.«
Owain setzte sich neben Nate auf dessen Lager. Das Holz knarrte, aber er hatte ganze Arbeit beim Bau des Bettes geleistet. Jedes Möbelstück in dem ehemals ungenutzten Schuppen innerhalb der Mauern der Festung entstammte Owains fähigen Händen und er kümmerte sich ebenfalls um alle darüber hinaus anfallenden Arbeiten.
Der Krieger hatte lange mit Cahir über die Hütte und ein kleines Stück Land für Amelias Kräutergarten verhandelt, da der Ordensmeister Dorcha Daingean nicht als den geeigneten Ort für eine Mutter und deren Sohn betrachtet hatte. Die ihm von Owain präsentierten Alternativen hatten ihn schließlich umgestimmt: weder wollte er, dass sein Freund den Orden verließ, noch dass Amelia in ihr Dorf zurückkehrte, wo der Mann auf sie wartete, der sie misshandelt und schließlich der Inquisition ausgeliefert hatte. Vermutlich spielte auch keine geringe Rolle, dass Cahir durch sein Amt gezwungen war, seine Gefährtin Abigayle und den jüngst geborenen Sohn Quinnlivan dem Schutz einer Leibgarde zu überantworten.
»Versprich mir, zu schlafen. Du weißt, welche Sorgen deiner Mutter nächtliche Ausflüge bereiten.«
»Ich bin nicht weggelaufen.« Nate richtete sich auf seinem Lager auf. »Mamhí wollte nicht aufhören zu weinen. Es ist meine Pflicht ...«
»Ich werfe es dir nicht vor und ich weiß, wie ernst du deine Verpflichtung nimmst, aber sie ist deine Mutter, für sie bist du ihr kleiner Junge.«
»Ich bin ein Mann«, protestierte Nate. »Ich weiß ein Schwert zu führen.«
Durch Nates Augen sah Teàrlach das Kurzschwert, das Owain seinem Ziehsohn zum Geburtstag geschenkt hatte und aus scharfem Metall statt Holz gefertigt war, wie das ebenfalls am Fußende seiner Bettstatt liegende Übungsschwert.
»Wir beide wissen das.« Owain schob die Decke höher und bedeutete seinem Ziehsohn, sich wieder hinzulegen. »Aber selbst als erwachsener Ordenskrieger wirst du immer ihr kleiner Sohn bleiben.«
»Als Krieger werde ich diejenigen bestrafen, die meiner Mamhí wehgetan haben.« Nates Augen fielen immer wieder zu, dennoch sah Teàrlach die Sorge Owains über Nates kindlichen Schwur.
»Deine Mutter würde das nicht wollen.«
»Ich werde die Macht und Stärke besitzen, den Tod meines Vaters zu rächen«, überhörte Nate den Versuch seines Ziehvaters, ihm die Rachepläne auszureden. »Mamhí wird nie wieder weinen müssen«, murmelte Nate im Halbschlaf.
Teàrlach allerdings war hellwach. Das war kein kindliches Versprechen, der Knabe war fest davon überzeugt, dass ihm das Leben diese Macht schuldete und dass er keine Skrupel kannte, sie zu erlangen. Sich ohne Erlaubnis von der mächtigen Hyfydra Owains zu nähren und die Hoffnung seines Ziehvaters auszunutzen, er würde ihn an der Seite seiner Mutter akzeptieren, waren nur der Anfang. Eines Tages würde niemand ihm mehr zugute halten, dass die Tränen seiner Mutter zu trocknen, seine wichtigste Triebfeder war. Eines Tages würde für ihn nur noch die Machtgier selbst antreiben.
»Versprich mir, dich um Mamhí zu kümmern.«
Zu Owains und nicht minder Teàrlachs Überraschung, setzte sich Nate erneut auf seinem Lager auf und schlang die Arme um den Krieger. Die kurzen Ärmchen waren nicht in der Lage sich hinter Owains Rücken zu schließen, aber er hinderte ihn mit aller Kraft aufzustehen, wie der Krieger es vorgehabt hatte.
»Das werde ich.«
Owain erwiderte zögerlich die Umarmung, nicht daran gewöhnt, dass der Knabe seine Nähe ohne Hintergedanken suchte. Nate hatte Hintergedanken, aber durchweg selbstlose. Er wollte einen starken Protektor für seine Mutter, da ihm nicht vorschwebte, sich als erwachsener Mann dem Orden anzuschließen.
»Bis ans Ende meiner Tage.«
In Owains Schwur schwang das Wissen um Nates Absichten mit, die der Krieger nicht guthieß, doch er wusste, dass er sie ihm niemals ausreden konnte.
»Nimm sie zur Gefährtin«, regelte Nate seine Angelegenheiten gründlicher als selbst Teàrlach dem Jungen zugetraut hatte. Owain stieß hörbar die Luft aus und drückte Nate an den Schultern auf Abstand.
»Weißt du, was das bedeutet?«
»Sie wird nicht altern und sterben.« Nate schloss seine Hand um den silbernen Anhänger, den Owain an einem Lederband um seinen Hals trug – Yhr, die Rune der Schatten.
»Hangholau wird ihre Zuflucht sein«, erinnerte der Knabe Teàrlach, dass die Scáthán das Königreich der Schatten nun Halblicht nannten – Ríochth an Scáth war mit seinem König und seiner Königin untergegangen.
»Sie wird Hangholau nicht wieder verlassen, wenn meine Existenz in dieser Welt endet. Sie wird mit mir ...«
»Sie wird nicht allein sein«, beendete Nate den halbherzigen Widerspruch seines Ziehvaters. Für den Spiegelschatten ging ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.
»Mit dir an ihrer Seite ist sie nicht allein.«
Owain war immer noch fassungslos, dass ausgerechnet Nate ihn seinem Traum näherbrachte – der Knabe, von dem er bestenfalls angenommen hatte, dass er ihn als Mann fürs Grobe an der Seite seiner Mutter duldete.
»Sie wird kein Mensch mehr sein.« Nates Abscheu fauchte wie ein eisiger Wind durch sein Inneres, trieb Bilder der Zukunft der Mensch wie Herbstlaub vor sich her – Bilder der Menschheit unter seinem Stiefel.
»Ich verstehe dienen Zorn ...«
»Dann wirst du dein Wort halten.«
Das war keine Frage und eine unausgesprochene Drohung schwang darin mit, die auch Teàrlach klar und deutlich verstand. Stellte Owain sich ihm in den Weg, würde Nate dafür sorgen, dass Amelia sich von ihm abwandte. Er hatte diesen Einfluss auf seine Mutter und Owain würde nichts dagegen unternehmen können.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWhere stories live. Discover now