Kapitel 1: Ruhe wohl, Mhór Rioghain

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Ruhe wohl, Mhór Rioghain

»Teàrlach?«
Er verweigerte ihr eine Antwort, schnallte den Schwertgurt ab, hielt das Schwert in Händen, das nicht länger durch Fleisch und Knochen seiner Gegner fuhr. Langsam zog er die Klinge aus der Scheide und betrachtete die in den glänzenden Stahl gravierten Lettern – Éigris. Ewigkeit, das war es was er sich für sie beide erhofft hatte und jetzt nutzte er diese Ewigkeit einzig, sich von seinen Waffen und Rüstzeug zu befreien. Sein Dolch folgte dem Schwert, dessen Scheide er nicht betrachten musste, zu wissen, was in dessen Klinge eingraviert war – Rioghain. Der Name der Gefährtin, deren Leben und Liebe er geschworen hatte bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
»Ich war in Sorge.«
Selbstverständlich war sie das. Es beschämte ihn, dass seine Leathéan sich um sein Wohlergehen sorgte – zu jeder Zeit, da sie getrennt waren. Er sollte sich zermürben, er war der Mann, der Krieger, ihr Gefährte.
Das Rascheln des Leilachens verriet ihm, dass sie sich in der Bettstatt aufrichtete, um es zu verlassen; das Tapsen nackter Füße auf den Dielen verstummte nach wenigen Schritten, sie zögerte, wartete, dass er sich zu ihr umdrehte und seine Arme einladend ausbreitete. Und das sollte er, sie war seine einzige Liebe, seine Gefährtin und er war …
Mhór Rioghains peatha.
Teàrlach schüttelte den Gedanken ab, er war nicht Rioghains Schoßtier.
»Es gibt keinen Grund zur Sorge.«
Und keinen Grund, dass sie nähertrat oder er sie in seine Arme einlud. Mit dem Rücken zu ihr schnürte er sein Lederwams auf, das er aus Gewohnheit und weniger Notwendigkeit trug; das schwarze Leder war makellos, nicht ein Spritzer Blut verdunkelte es. Er warf das Leinenhemd dem Wams hinterher, das nach der menschlichen Hure roch, der er beigewohnt hatte … Nein, er hatte das Lager nicht mit einer Hure geteilt, obwohl es das war, was er ihr an Erinnerung eingeflüstert hatte, nachdem er den wahren Grund für ihr Zusammensein aus ihrem Gedächtnis eliminiert hatte.
Er war ein Hochstapler in jeder Hinsicht: als Mann, Krieger und Gefährte.
»Du solltest unserer Blutsverbindung trauen, die Bhannah verrät dir jederzeit, wie es mir ergeht.« Was er dachte. Wo er sich aufhielt. Wem er begegnete.
Ob du den Schoß einer anderen wärmst.
»Ich traue lieber meinen eigenen Augen.«
Zu Recht. Er schloss sie aus seinem Leben aus, sooft er konnte und auch in diesem Moment unterdrückte er ihre Verbindung über die Bhannah. Rioghain beschwerte sich nicht. Sie gewährte ihm eine großzügig bemessene Leine, da ihre größte Angst war, ihn durch ihre Liebe zu ersticken. Es war nicht ihre Liebe, die ihm die Kehle zuschnürte, seine Machtlosigkeit nahm ihm die Luft zum Atmen – nicht mehr als ihr Knappe auf dem Schlachtfeld zu sein. Rioghain sollte in ihrem Lager auf seine Rückkehr warten, sollte ihn müde von der Schlacht empfangen, hungrig nach seinem Körper, seinem Blut und seiner Liebe. Sie sollte seine Kinder gebären.
»Die Bhannah erzählt mir von deinen Sorgen«, verleugnete Rioghain das Schweigen ihrer Blutsverbindung.
»Nein.«
Teàrlach wich der Wärme ihrer Fingerspitzen aus, erlaubte ihr nicht eine der Narben auf seinem Rücken zu berühren, die er noch ehrenvoll auf dem Schlachtfeld erworben hatte.
»Sie heilen«, milderte er die Zurückweisung ab.
»Zu langsam.« Sie wagte nicht, ihn erneut zu berühren, blieb aber in seiner unmittelbaren Nähe.
»Langsam«, wiederholte er, was genau das war, was er wollte und verdiente: eine stete Erinnerung an das, was er in Bewegung gesetzt hatte.
»Mein Blut …«
»Nein«, versetzte er ihr den nächsten Todesstoß, ohne sie auch nur zu berühren.
Er trocknete den mittlerweile dünnen Strang ihrer Blutsverbindung aus einem Grund aus, den sie jetzt noch nicht verstand, aber bald verstehen würde, für den Moment hieß das für ihn, die im Vergleich zu früher schleichende Heilung hinzunehmen.
Akzeptiere ihr Angebot, je schwächer sie wird, umso früher …
»Nein«, widersprach er flüsternd dem Gedanken.
»Ich verstehe …«
»Nein, du verstehst nicht.« Er drehte sich zu ihr um, hielt sie am Arm fest, um sie aufzuhalten. »Ich …«
Was sollte er ihr sagen, dass er nicht hungrig war, obwohl er wusste, dass das Nähren ihr so viel mehr bedeutete? Er würde alles nur schlimmer machen.
»Da ist nichts …« Teàrlach hatte es bereits schlimmer gemacht.
»Du hast recht, da ist nichts.«
Sie schüttelte ihn ab. Sollte ihre schier unendlich scheinende Geduld an ihre Grenzen gestoßen sein? War sie seiner fortdauernden Abweisung tatsächlich müde geworden?
»Ich liebe dich.« Es war keine Lüge, die sie zu ihm zurück und sein Arme zog.
»Ich weiß.«
Es hatte Zeiten gegeben, da sie sein Geständnis aus tiefster Überzeugung wiederholte, aber jetzt konnte er ihr die Zurückhaltung nicht verübeln. Er hatte ihr allen Grund gegeben, seine Liebe anzuzweifeln und im Gegenzug ihren eigenen Gefühlen nicht zu trauen. Er legte die Finger unter ihr Kinn, hob es an, damit sie ihn ansah, statt auf seine nackte Brust zu starren, in der sie ein verräterisches Herz vermutete – sein Herz war nicht der Verräter.
»Die Zeiten werden besser.« Teàrlach hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, der nicht länger als ein Lidschlag währte.
»Versprich es mir.« Ihre Hand legte sich um seinen Nacken, hielt ihn in ihrer Nähe, aber nicht, um ihn zu küssen, sondern ihre Forderung auf sein Lippen zu flüstern.
»Du hast mein Wort.«
Und es lag in seiner Absicht es einzuhalten. Behutsam zog er ihre Hand aus seinem Nacken und ein harter Zug um ihre Lippen löste das verhaltene Lächeln ab. Ihre Züge verhärteten sich zu einem Ausdruck, der ihn an ihre Abstammung erinnerte, ihren Blutsverwandten: der Tod.
Teàrlach liebte sie, gleichgültig, was ihre Familie, seine Waffenbrüder und -schwestern zu wissen glaubten, aber es war ihm nahezu unerträglich mitanzusehen, wie das Gesicht ihres Bruders Rioghains Schönheit und ihre Verbindung in ähnlicher Weise überschattete. Der Tod war ihr mächtigster Verbündeter – das war sein Anrecht, nicht das ihres Bruders. Er wandte sich ab, ehe sie es tat, um ihre Tränen zu verbergen. Er wollte nicht den Kummer in ihren Augen sehen, nicht, wie er das dunkle Silber verfinsterte. Er wusste um ihre verzweifelte Liebe und wie tief er sie durch sein Verhalten verletzte – allein: ihre Liebe genügte ihm nicht.
»Ich habe mit Kieran gesprochen.«
Verflucht, Rioghain bettelte förmlich um seine Zuneigung. Teàrlach wollte sie in seine Arme schließen, ihr geben, wonach sie sich verzehrte und um Verzeihung für seine Kränkungen bitten – doch es war zu spät für Reue.
»Ich kenne seine Antwort.« Mit dem Rücken zu ihr entledigte er sich seiner Unterkleidung. »Er hat seine Meinung nicht geändert.« Rioghain durfte ihre Gabe nicht mit ihm teilen.
»Kieran ...«
Jetzt würde sie ihren Bruder verteidigen. Kieran – allein dieser Name bereitete ihm Übelkeit, der Name eines Kriegers. Der Tod zog nicht in die Schlacht, er erntete lediglich die Früchte wahrer Krieger.
»Nicht, Rioghain.« Er legte sich neben sie auf das Lager. »Nicht heute Nacht.«
Er bedeckte seine Augen mit dem Unterarm. Er war nicht müde, er hatte nichts zu tun, das ihn erschöpfte.
»Vielleicht, wenn ich Vater bitte, …«
»Mich mit einer Féirín zu segnen?« Im Vergleich zu ihrer Macht mit einem Scherflein abspeiste?
»Nein, Muimin.« Er nahm den Arm von seinen Augen. »Er wird dir diese Bitte niemals gewähren.« Und Teàrlach gab sich nicht mit einer lächerlichen Gabe zufrieden, wenn er so viel mehr erringen konnte.
»Er wird es … mir zuliebe.«
Empfand sie es tatsächlich als Liebesbeweis Asarlaírs, dem Tod als Faustpfand ausgeliefert worden zu sein? Der Weiße Zauberer sollte nicht die Macht über das Leben in Händen halten, nicht über das seiner Tochter, nicht über Teàrlachs.
»Mi muimh thá chomh mórán.«
Er strich mit den Fingerrücken über ihre feuchte Wange. Hatte sich die große Mhór Rioghain seinetwegen in den Schlaf geweint? Die Königin der Toten, die nicht wagte, sich an die Seite ihres Leathéan zu schmiegen, bis der es ihr gewährte? Sie auf den seiner Gefährtin angestammten Platz zu verweisen, bedeutete nicht, dass er eine solche Macht über Mhór Rioghain auszuüben beabsichtigte, oder doch?
»Komm’ zu mir … bitte.«
Rioghain zögerte, ehe sie sich dann doch an ihm schmiegte.
»Mir ist so kalt … tief in meinem Innern …so kalt.«
Sie küsste die Seite seines Halses, flehte weder mit Worten um sein Blut noch riss sie es ihm mit ihren Fängen aus der Kehle. Das einzige, das sie tat, war, ihn an seine möglicherweise letzte Chance zu erinnern und das rückgängig zu machen, was er in Bewegung gesetzt hatte … Wenn sie nur wüsste. Vielleicht würde sie seine Beweggründe verstehen, vielleicht würde sie ihm vergeben …
»Wärme mich, bitte«, wagte sie zum ersten Mal nach einer langen Zeit der Entbehrung zu flehen. »Lass mich die Kälte für eine Weile vergessen.«
Teàrlachs Blut schrie nach ihr, war nicht länger bereit, ihrem Dahinschwinden zuzusehen; es verlangte von ihm, sie zu nähren, ihre Kraftreserven aufzufüllen. Und Teàrlach? Er wollte seinen Verrat gestehen, ihre Vergebung erbitten, auf seinen Knien, um ihre Liebe betteln …
Einmal Mhór Rioghain’s peatha, immer ihr Schoßtier.
Es gab kein Zurück, er hatte seinen Pfad gewählt und sich zu wünschen, einen anderen Weg beschreiten zu können, brachte ihm seinen Ziel nicht näher. Teàrlach würde den gewählten Weg beschreiten bis zu seinem – womöglich bitteren – Ende. Tag für Tag würde er ihr stummes Bitten um sein Blut zurückweisen, wie er es Nacht für Nacht getan hatte in den vergangenen Wochen, vielleicht Monaten. Er würde sich weiterhin von menschlichen Huren nähren, deren Blut er hasste, einzig und allein, weil es nicht Rioghains war. Dies war seine Strafe als Fealltóir und er war willens, sie für ein höheres Ziel anzunehmen. Ging die rechte Abgeltung für seinen Verrat noch weiter? Stank seine Haut nach Soith? Roch seine Leathéan jede einzelne menschliche Hure, während ihr Kopf auf seiner Brust ruhte? Schmeckte sie seinen Verrat in seinem Kuss?
War dem so, hatte Rioghain beschlossen, es ihn nicht wissen zu lassen. Wie sie entschieden hatte, einen Schutzwall gegen die zunehmenden Anfeindungen seiner einst loyalen Waffenbrüder und -schwestern zu errichten. Ihr eigener Aufenthalt innerhalb des schützenden Bollwerks war unfreiwilliger Natur und ihrer zunehmenden Schwäche geschuldet; nie zuvor hatte sie sich von ihren Pflichten befreien lassen, nie zuvor war es notwendig gewesen. Die Chéad Duine – die Erste der Fiannah – war zu einer Bürde für ihre Sache geworden. Rioghain hatte niemals in der Vergangenheit um ihre Position im Kreise der Krieger gebeten und sie würde sie in der Zukunft nicht den anderen abverlangen. Sie war nun frei, zum ersten Mal in ihrem Leben …
Es war nur ein Vorgeschmack und vielleicht sagte es ihr zu, womöglich liebte sie es sogar mit der Zeit; vielleicht würde sie ihm eines Tages die Art und Weise vergeben können, wie er diese Freiheit für sie errungen hatte.
»Ja, vielleicht«, flüsterte er.
»Was hast du gesagt?«, hauchte sie, »was hast du getan?«, sprach sie ihre Befürchtung flüsternd aus.
»Nichts«, antwortete er. »Schlaf jetzt, mein Liebling, es gibt nichts zu fürchten.« Und nichts zu bedauern.
Von dieser Stunde an würde Teàrlach ihr Hüter sein – ein weit besserer als ihr Bruder ihr je gewesen war. Ihr Blut würde schon bald von der der Erde zu ihm aufschreien, würde er ihr Leben weiterhin in den Händen ihres Bruders lassen. Es war an ihm, für sie zu sorgen, sie zu leiben, ihre Kämpfe auszufechten und, möglicherweise, für sie zu sterben. Ihn interessierten weder Rang noch Reichtümer, allein ihr wahrer Gefährte wollte er sein, ein Mann und Krieger, der ihrer Liebe und Bewunderung wert war.
Wert, mit ihrer Gabe gesegnet zu sein.
Ja, allem voran, wollte er die Bürde ihrer Féirín auf seine Schultern laden. Teàrlach würde sogar ihren mit diesem Fluch eng verknüpften Bruder in ihrem künftigen Leben akzeptieren – nach seinen Bedingungen. Er hatte niemals Angst vor dem Tod gehabt, er verabscheute Kieran aus tiefster Seele, aber er hatte niemals seinen Zorn gefürchtet.
»In der Zukunft werden wir beide uns handelseinig werden müssen, Kieran.«
»Kieran?«, murmelte sie im Halbschlaf.
»Codladh go maith, Muimin«, beruhigte er sie. »Schaf jetzt, meine Liebste.« Sie würde niemals wieder eine bittere Träne vergießen.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWhere stories live. Discover now