Kapitel 10: Teile die Ewigkeit mit mir

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Teile die Ewigkeit mit mir

 

Teàrlach presste die Hand auf sein Herz. Ihm war, als fuhr ein Dolch hinein und drehte sich die Klinge in seiner Brust, langsam und voller Befriedigung. Sein Herz wehrte sich verzweifelt gegen die Schneide, doch die Kälte breitete sich unerbittlich in seiner Brust aus. So plötzlich wie der Schmerz gekommen war, schwand er. Zurück blieb nur die Leere der Einsamkeit.
»Das ist niemals mein Wunsch gewesen.« Er schob seinen Arm unter Rioghains leblosen Körper, zog sie an sich und wiegte sie in seinen Armen.
»Verzeih mir, Leathéan.«
Doch er verdiente ihre Vergebung nicht, wie er Rioghain niemals verdient hatte. Es war nicht sein Recht, ihr einen letzten Dienst zu erweisen, aber es war das einzige, das er noch für sie tun konnte: eine Bestattung, die einer Kriegerin würdig war.
Er suchte Reisig, Zweige und Äste, die nicht zu dick und nicht zu feucht waren, dass die Flammen sie verschmähten, und schichtete alles auf dem höchsten Punkt der Klippen auf. Die Fiannah sollten Mhór Rioghains Scheiterhaufen errichten, an einem Ort, den sie für ihre letzte Ruhe erkoren hatten. Asarlaír sollte die aus reinem Silber und mit seiner Magie gesegnete Rune Eihwaz auf ihre Stirn legen, Themair und Alun ihr ein prächtiges Schwert und einen kunstvollen Dolch für ihre letzte Reise anfertigen. Rioghains Name würde ihre Waffen zieren, aber auch den Namen, den das Metall den Schmieden zuflüsterte. Selbstverständlich würden sie auch ihre Waffen begleiten, die das Blut ihrer Feinde vergossen und die Scharten eines Lebens auf dem Schlachtfeld davongetragen hatten, der Dolch, der seinen Namen trug und seinen Kopf von seinen Schultern trenne sollte, statt seine letzte Ruhe an Rioghains Seite zu finden. Das Geschenk anlässlich ihres Bundes hatte ihr im Leben kein Glück gebracht und würde ihr im Tode keinen besseren Dienst erweisen …
Neryssah und Conallahan sollten alle Schätze, die sie begleiteten, mit mächtigen Bannen vor Dieben schützen. Nicht viele Güter würden gemeinsam mit Rioghains Asche in der Erde vergraben werden, persönliche Geschenke ihrer Familie, meist Amulette und Runen, die eine Bedeutung für sie hatten und ihrer Schwester den Abschied erleichtern sollten. Die Fiannah würden nicht glauben können, dass Rioghains Lebewohl für immer war und ihre Beigaben als geliehen betrachten. Aislingh und Gahareeth sollten dafür sorgen, dass nur schöne Träume sie begleiten und Étain das Feuer entzünden. Éadaoin, Líadain und Síridean würden es mit reiner schwarzer und weißer Magie speisen und Bláthnaid einen Baum an der Stelle pflanzen, an der Rioghains Asche die Erde befruchtete – eine Eibe würde es sein, das Symbol für Tod und Wiedergeburt. Bronaghs berückendes Klagelied sollte ihre Trauer in die Welt hinaustragen und über die Grenzen des Totenreichs. Kieran würde nicht willkommen sein, es sei denn, er brachte ihnen ihre Schwester Rioghain zurück.
Das würde er nicht, andernfalls hätte er sich längst in die Trauergesellschaft eingereiht, die Rioghain fern von ihrer Familie auf ihrer letzten Reise begleiteten. Doch außer der Nacht, den Klippen und dem Meer hatte sich niemand am Ort der letzten Ruhe der Chéad Duine eingefunden. Die Wolken glitten rücksichtsvoll zur Seite, erlaubten den Sternen und dem Mond Rioghain das letzte Geleit zu geben. Der Novemberregen bestand auf seine Teilnahme an der Zeremonie, schwächte sich jedoch ab und würde die Bestattung nicht stören, indem er die Flammen löschte.
Teàrlach bettete Rioghains leblosen Körper auf dem Scheiterhaufen, strich ihr das Haar aus dem Gesicht und richtete es so, das zu ihrer Linken und Rechten Eihwaz und der einen Bernstein umwindenden Keltische Knoten über sie wachten. Sie würde ihre Reise ohne ihr Schwert antreten, aber nicht unbewaffnet. Er hatte ihr keinen reich verzierten Dolch zu bieten, aber ihr Name war in die Klinge graviert, verkörperte seinen Wunsch, alle ihre Feinde mit dieser Klinge zu töten. Er hatte nur sie damit getötet, denn obwohl er ihr den Dolch niemals wahrhaftig in den Rücken stieß, klebte ihr Blut daran. Er schob das Heft des Messers unter die auf ihrem Körper ruhenden Hände.
»Mi muimh thá, Rioghain.«
Teàrlach küsste sie zum Abschied und schlug Feuersteine aneinander. Funken sprühten und entflammten den Zunder, den er tiefer in das Reisig schob. Das Knistern der sich ausbreitenden Flammen erfüllte die Stille, die ihn und Rioghain umfing. Die Nacht hielt den Atem an, Mond und Sterne wetteiferten durch silbernen Glanz mit dem Gold der Flammen und der Novemberregen beweinte Rioghains Ende.
»Mair go maith, Mhór Rioghain«, wünschte auch Teàrlach ihr ein letztes Lebewohl.
Rioghain sah friedvoll aus, so wunderschön wie zu der Zeit, da Kummer und Bitterkeit ihre Züge nicht verhärteten. Ihre menschlichen Schützlinge hatten es für ausgleichende Gerechtigkeit gehalten, dass der Kummer, den der Tod ihnen brachte, auf seine kleine Schwester zurückfiel …
Zorn mischte sich unter Teàrlachs Trauer. Die Menschen waren blind für die Wahrheit, wollten ein Monstrum in ihr sehen und nicht dass er allein für ihre verhärmten Züge verantwortlich zeichnete. Sie wollten nicht erkennen, wie berückend schön sie war und welche Erfüllung es bedeutet hatte, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden.
Ein Lächeln stahl sich bei der Erinnerung an die Stunde auf seine Lippen, da ihre Liebe den widrigen Umständen ihrer Zusammenführung getrotzt hatte. Rioghain war vor ihrem Vater erschienen, um die ihrer Verfehlung angemessene Strafe anzutreten. Sie hatte abgelehnt, sich von einem verängstigten Knappen zu nähren, der für die Tributpflicht seines Herrn geradestehen sollte. Ein Affront – einer von vielen und immer hatten die Fiannah zu ihren Ungunsten nachgegeben. Aus Königen, die ihnen ursprünglich Blut als Tribut geschuldet hatten, waren Fürsten geworden, dann Erstgeborene, Prinzen von Geblüt, und bald hatte man ihnen außereheliche Bastarde angeboten. Auf dem gemeinen Viehmarkt ging es ehrenhafter zu und es hatte den Edelmann einen Dreck geschert, ob Rioghain den eingeschüchterten Knaben an seiner Statt mit ihren Klauen zerfetzte und ihrem Bruder Kieran vor die Füße warf.
Rioghain hatte sich nicht am niedrigen Rang des Knappen gestört, sie stieß sich an der Ehrlosigkeit seines Herrn. Sie hatte den Jungen freigekauft und ihm geraten, so weit zu laufen, wie ihn seine Füße trugen und darüber hinaus. Der Knabe war vor Angst erstarrt und unfähig auch nur einen Schritt zu gehen, also hatte Rioghain sich persönlich seines Schicksals angenommen und in den Haushalt eines einflussreichen Crutaigh gebracht, in dessen Diensten aus dem dürren, ängstlichen Knappen ein stattlicher Ritter werden sollte. Sobald sie den Knaben in Sicherheit wusste, hatte sie es sich nicht nehmen lassen, den Edelmann Mores zu lehren und der Jammerlappen hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt als Rioghain bei ihrem Vater anzuschwärzen und eine angemessene Genugtuung zu verlangen. Der Kerl konnte froh sein, dass Asarlaír ihm keine Lektion erteilt hatte, die Rioghains Lehrstunde in den Schatten stellte. Für den Weißen Zauberer waren die Fiannah stets mehr als seine schlagkräftige Streitmacht gewesen, er liebte sie wie nur ein Vater es vermochte. Eine besonders weiche Stelle in seinem Herzen gehörte Rioghain und er hatte nicht geahnt, dass er sich schlussendlich doch zum Instrument des Edelmanns machte. Ihrem Gefährten hatte er seine Tochter zuführen wollen, doch in Wahrheit führte er sie ihrer Strafe zu.
Als hätte sie eine dunkle Ahnung des kommenden Unheils überkommen, war der erste Blick, dem sie Teàrlach zugeworfen hatte, wenig verheißungsvoll gewesen. Er hatte sich zurückgewiesen geglaubt, noch ehe er die Möglichkeit erhielt, zu ihr zu sprechen, geschweige denn, um sie zu werben.
Er soll es also sein, hatte sie sich ohne Teàrlach eines weiteren Blickes zu würdigen an ihren Vater gewandt. Er wird das Weib in ihre Schranken weisen, das ihren Platz nicht kennt.
Um ihre Herausforderung an den richtigen Mann zu bringen, hatte sie ihn schließlich doch angesehen.
Soll ich mir eine Hand auf den Rücken binden oder lieber gleich beide, um ihm einen fairen Kampf zu liefern?
Ihre Worte waren so lebendig in seinem Gedächtnis, dass er glaubte, Rioghain wäre zurückgekehrt, sie ihm ein zweites Mal an den Kopf zu werfen und erneut sein Herz im Sturm zu erobern. Doch sie ruhte still auf ihrem Bett aus Reisig, Zweigen und Ästen, über die die Flammen gierig leckten. Bald würden sie Rioghain erreichen und von der stolzen Kriegerin blieb nur Asche, die der Wind aufs Meer hinaustrug, sollte der Novemberregen sie nicht für sich beanspruchen und mit sich ins Erdreich nehmen.
Seinen Anspruch hatte auch Teàrlach einst auf sie erhoben, mit so leiser Stimme, dass Rioghain hatte nachfragen müssen, was sein Begehr war. Asarlaír hatte sich zurückgezogen und dem Anschein nach Teàrlachs Mut mitgenommen. Einen Mann auf Augenhöhe hatte der Weiße Zauberer für seine Tochter im Sinn gehabt; der sie nicht dem Dünkel menschlichen Standesdenkens unterwarf, einen wahren Gefährten, keinen Herrn. Aber Teàrlachs Blick hatte in diesem entscheidenden Moment am Boden gehaftet und war nervös zu Rioghains Fuß gehuscht, der ungeduldig gewippt hatte. Als es ihr schließlich zu viel geworden war, hob sie sein Kinn an und zum ersten Mal hatten sie einander angesehen – unvoreingenommen – weder spukte in seinem Kopf die Hochfahrenheit herum, der erste männliche Krieger im Legat der Fiannah werden, noch vermutete sie in ihm länger den Vollstrecker ihrer Strafe.
Wie falsch sie doch beide gelegen hatten ...
Er wollte sich in der Stunde des Abschieds nicht daran entsinnen, wann er aufgehört hatte, sie so anzusehen, wie in dieser Stunde, da sie beide dem Irrtum unterlegen waren, füreinander bestimmt zu sein. Er wollte sich der Zeiten erinnern, da sie Seite an Seite gefochten hatten, an die zärtlichen Stunden und wie berückend schön sie war, während sie in seinen Armen schlief. Wann hatte er angefangen, sie als seine Feindin in seiner Bettstatt zu betrachten? Wann hatte er sich von ihr entfernt?
»Niemals«, flüsterte er gegen das Prasseln des Feuers an.
Es hatte keinen konkreten Anlass gegeben, keine Verletzung, keinen Moment, da sie ihn ihre Überlegenheit hatte spüren lassen. Er war derjenige gewesen, der nicht frei von Schuld geblieben war. Er hatte Cailleach den fruchtbaren Boden für ihre Intrige geliefert. Ihre Bosheit war auf seiner Hochfahrenheit erblüht und hatte seine Liebe zu Rioghain wie Unkraut überwuchert. Und er hatte es zugelassen, statt das boshafte Gewächs mit der Wurzel auszureißen. Er hatte versäumt, sich seiner Leathéan anzuvertrauen und sich nicht einmal den Anschein gegeben, um ihre Liebe kämpfen zu wollen. Rioghain hatte  gekämpft, war für ihn vor dem Legat eingetreten, vor ihrem Bruder und vor Asarlaír. Sie hatte nicht gemerkt, wie sie sich mehr und mehr in den giftigen Schlingen Cailleachs verfing.
»Ich wollte doch nur Teil deines Lebens sein.« Teàrlach schritt auf den Scheiterhaufen zu. »Jetzt bitte ich dich, Teil deines Todes sein zu dürfen.«
Die Flammen schlugen mannshoch, doch in ihrer Mitte war Rioghains Körper unversehrt, als warte sie auf ihn, ehe sie die letzte Reise antrat. Die Flammen züngelten an seinen Beinen hoch, aber er spürte keinen Schmerz, nichts, das stärker war als der Wunsch, bei Rioghain zu sein. Der Scheiterhaufen würde ihr gemeinsames Lager sein, die Bettstatt, die er verlassen hatte, um seine hochfahrenden Pläne zu verfolgen. Er zog sie an sich, wie er es in den Stunden getan hatte, in denen sie sich liebten, nahm ihre Hand und legte sie auf sein Herz. Sie sollte seinen Herzschlag spüren und vielleicht wies er ihr den Weg von dort, wohin Cailleach sie gebannt hatte, den Ort, an den sein Verrat sie geführt hatte.
»Filleadh gho má, Leathéan«, bat er sie. »Kehre zurück zu mir und teile die Ewigkeit mit mir.«

Teàrlach - Das Legat der FiannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt