Kapitel 2: Die Klage immerwährender Liebe

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Die Klage immerwährender Liebe

 

»Wie fühlst du dich?«
Éadaoin ließ sich auf den Rand der Bettstatt nieder, ihr geliebtes Schwert auf den Oberschenkeln balancierend. Die anderen scherzten, sie würde mit ihrem Schwert sogar ihr Lager teilen, doch Rioghain lachte nicht über ihre Schwester. Sie fand Trost in dem Gedanken, dass sich manche Dinge niemals änderten, gleichgültig, was mit ihr geschehen würde.
»Müde.«
»Er verweigert dir weiterhin, was dir zusteht.«
Éadaoin strich mit dem Daumen über den Schwertgriff; die Klinge summte in ihrer Scheide – das zufriedene Lied einer vom Blut seiner Feinde gesättigten Klinge oder die zärtliche Erwiderung eines Gefährten? Vielleicht hallte lediglich Rioghains eigene Sehnsucht in ihr wieder.
»Es steht mir nicht zu«, rückte sie das Verhältnis zu ihrem Gefährten ins rechte Licht und ignorierte das verächtliche Schnauben ihrer Schwester, als sie fortfuhr. »Teàrlach benötigt Zeit. Es ist nicht leicht für ihn, meine Gabe nicht teilen zu dürfen.«
»So ist es deine gerechte Strafe zu darben?« Éadaoins Hand schloss sich um den Schwertgriff und die Klinge summte in freudiger Erwartung eines Blutvergießens. »Wäre Briartach noch am Leben ...«
Aus dem Summen wurde eine Melodie – die Klage immerwährender Liebe und Tod. Éadaoin betrachtete ihr Schwert und zog es aus der Scheide, nur ein Stück weit und nicht in der Absicht, es bis zum Griff in Rioghains Brust zu versenken, als Strafe für die Dummheit, sich an etwas zu klammern, das längst verloren war. Ihre Fingerkuppen strichen über die schwarz verfärbte Scheide, wie über die Haut eines Geliebten.
»Mi theigh amu thú, Briar«, brachte sie nur flüsternd über die Lippen, wie sehr sie ihren Gefährten vermisste. »Gabh mo leithscéal, Briar«, bat sie ihn um Verzeihung.
»Lehnte ich die Offerte ab«, wies Rioghain das Angebot zurück, würde sich niemals von einem anderen als ihrem Leathéan nähren. »Ich werde Teàrlach nicht demütigen.«
Sie starrte ihre Schwester wütend an, die nichts von dem wahrzunehmen schein, das um sie herum geschah. Für Éadaoin existierte allein die geschwärzte Klinge und deren trauriges Lied, das mit jedem gewisperten Wort leiser wurde und schließlich verklang.
Briar?
Rioghain wusste um Éadaoins Eigenwilligkeit. Als die ältere der Zwillinge – sei es um ein oder zwei Atemzüge – und die in vielen Dingen vernünftigere stand den Eigenarten ihrer Schwester Líadain in mancher Hinsicht nicht nach. Ihrem Schwert einen Namen zu geben, war eine dieser Anwandlungen, das Schwert wie einen Kameraden zu behandeln, eine andere; mit ihm zu sprechen; zu streiten; sogar zu lachen. Aber Briar? So hatte sie ihren geliebten Gefährten Briartach geheißen. Hatten Schuld und Kummer ihren Verstand wie ein Gift getrübt und Éadaoin zu einem Frevel getrieben? Hatte sie mittels schwarzer Magie einen Splitter seiner Seele in ihr Schwert eingeschlossen?
Rioghain hatte niemals erfahren, ob seine Seele unversehrt zu ihrem Bruder gelangt war. Briartach hatte im Sterben liegend das Angebot abgelehnt, ihn auf seiner Reise zu begleiten, um die Gnade seiner Rückkehr von ihrem Bruder zu erbitten. Es lag ohne Zweifel in Éadaoins Macht, einen Seelensplitter vor ihren und den Augen ihres Bruders zu verbergen. Argwöhnte Kieran die Untat und wahrte Stillschweigen? Bedachte sie die Kälte, die ihm aus den Reihen der Fiannah entgegenschlug, war es ihr unbegreiflich, aber die Lippen ihres Bruders würden versiegelt bleiben, sollte eine Macht, die größer war als die seine, ihn vor einen Richter zerren.
»Teàrlach demütigt dich.« Ihre Schwester schob die Klinge zurück in die Scheide – nicht ein einziger schwarzer Fleck deutete länger auf falsches Spiel hin. »Er stinkt nach menschlichen Huren.«
»Er ...«
Wie sollte sie auf Éadaoin’s Anschuldigung reagieren? Lügen? Teàrlach nahm sich von Huren, was er von ihr nicht wollte. Rioghain roch sie an ihm, jede einzelne Soith.
»Was?« Éadaoin erhob sich abrupt. Die in ihre Haare geflochtenen silbernen Talismane und Runen schlugen aneinander; aus dem leisen Klimpern wurde ein durchdringender Klang – zornig auf Rioghain.
»Muss er sich die Hörner abstoßen?« Ihre Schwester lief vor ihrer Bettstatt auf und ab, kämpfte gegen den Drang, das Schwert zu ziehen. »Soll er es auf dem Schlachtfeld.« Wie Éadaoin die Pein über den Verlust ihres Gefährten samt ihrer Schuldgefühle auf dem Schlachtfeld ausblutete.
»Ich will nicht ...«
»Verdammt, Rioghain!« Sie blieb stehen. »Er ist ein  Krieger ohne Gleichen – stark, gewandt und gerissen – du hast ihn, wie wir alle, kämpfen gesehen. Er hat sich unser aller Achtung hart erstritten, eben weil er deine Féirín nicht teilt. Ängstliches Zaudern ist ihm fremd, seine Klinge gefürchtet. Sollte es doch geschehen ...«
Rioghain bedachte Éadaoin mit einem verwirrten Blick. Was sollte geschehen? Dass ihre Schwester sie für das Versäumnis hasste, Briartach zurück ins Leben zu holen?
Verdammt, es fiel ihr zunehmend schwer, sich auf das Hier und Jetzt zu besinnen; ihre Gedanken mäanderten ohne Ziel. Sie wurde zu einer Last für das Legat; sie musste sich nähren, ihre Kraftreserven auffüllen – je eher desto besser.
»Dann holst du ihn zurück, verflucht noch mal
Wie sie Briartach am Leben wünschte? Rioghain würde ihren Fehler noch in dieser Stunde wiedergutmachen, aber sie erkannte diese Bitte nicht in Éadaoins Augen; nur ihren nie versiegenden Kummer und den eisernen Willen, ein gegebenes Versprechen einzuhalten. Briartach existierte nicht mehr und doch war sie ihm eine bessere Gefährtin als Rioghain es für Teàrlach war.
»Ihn zurückholen, um ihn wahrhaft zu demütigen? Teàrlach verachtet meinen Bruder aus einem in seinen Augen legitimen Grund, für das, wovon er denkt, dass Kieran mich zwingt zu tun. Er weigert sich zu akzeptieren, dass mein Bruder nicht der Inbegriff des Bösen ist; dass er mir niemals schaden würde.«
Ihre Worte waren an ihre Schwester verschwendet, Éadaoin zürnte Kieran nicht minder. Sein Vergehen entsprach Rioghains: Briartachs Wunsch zu entsprechen, in seinem Reich Frieden zu finden. Eines Tages würde sich Éadaoins Anklage unweigerlich gegen Rioghain richten – ob sie es wollte oder nicht.
»Dir steht zu, glücklich zu sein.« Éadaoin presste die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, um nicht mit der Wahrheit herauszuplatzen.
»Teàrlach verdient Achtung.«
»Wofür? Hurerei?« Éadaoin sank auf den Rand ihres Lagers; das Schwert auf ihren Oberschenkeln balancierend, nahm sie Rioghains Hände in ihre.
»Verzeih’ mir, aber ich kann es nicht länger mitansehen: er tritt deine Liebe mit Füßen.«
»Er wird sich besinnen. Teàrlach liebt mich.«
Éadaoin sah sie lange schweigend an.
»Du verdienst so viel mehr.« Sie zog ihren Dolch, hob eine mit einem Amulett beschwerte Strähne aus der weit über ihren Rücken fallenden dunklen Flut und schnitt sie ab. Sie löste den silbernen Talisman von der Strähne, die sich in schwarzen Rauch auflöste, und legte das Schmuckstück in Rioghains Handfläche, hielt es mit ihrer bedeckt.
»Ich gebe dir nicht Claddagh. Das Amulett muss dir nicht seine Liebe, Loyalität und sein Vertrauen versprechen.« Sie zog ihre Hand fort. »Ich gebe dir den Keltischen Knoten. Er ist aus dem Faden des Lebens geschlungen – mögen all deine Wünsche wahr werden.«
»Was ist das?«
Rioghain strich mit der Fingerspitze über den goldgelben Stein im Zentrum des Amuletts, er sprühte goldene Funken bei ihrer Berührung. Sie mühte sich die Illusion wegzublinzeln, stattdessen verfestigte sie sich zu einem Gesicht, zu verschwommen, um es zuzuordnen. Sie erkannte nur so viel: es waren die Züge eines Mannes mit dunklen Haaren und Augen; goldene Funken tanzten im tiefen Braun seiner Iriden.
»Bernstein, der Stein der Tapferkeit. Von der Kraft der Sonne geküsst, besitzt er natürliche Schutzeigenschaften. Bernstein bündelt und verstärkt die Kraft der Heilung. Er symbolisiert allumfassende Liebe und Wärme.«
So kalt, echote ihre eigene Stimme in ihrem Kopf, lass mich die Kälte für eine Weile vergessen.
Vielleicht fühlte sich der Stein deshalb so lebendig an und vielleicht war es diese Wärme im dunklen Blick des Unbekannten, die sie zu ihm hinzog … Nein, es war eine Täuschung, der Fremde war eine Täuschung und Teàrlach derjenige, den sie liebte. Was die Bündelung und Verstärkung ihrer Heilkräfte anbelangte? Sie benötigte nicht die Unterstützung eines Steins, ihre natürliche Selbstheilung war beispiellos … Vielleicht war das die Lösung all’ ihrer Probleme – für alle Zeiten. Auf diese Weise würde sie ihre Gabe mit ihm teilen: grenzenlose Selbstheilungskräfte – nahezu Unverwundbarkeit. Seine Tapferkeit auf dem Schlachtfeld würde ihr nicht länger das Blut in den Adern gefrieren lassen. Seine Wunden, selbst tiefe und klaffende, würden heilen, kaum dass seine Gegner sie ihm schlugen. Er wäre unbesiegbar und machtvoll, wie er es sich wünschte. Er stünde nicht länger in ihrem Schatten.
»Aislingh hat mich gebeten, den Stein in das Amulett einfügen«, riss Éadaoins Stimme sie aus ihren Träumen von besseren Tagen.
»Weshalb?« Die Erwähnung des Namens ihrer Schwester alarmierte Rioghain. Aislinghs Féirín war unheilvoll; gleichsam ein Fluch und eine Gabe, keiner aus dem Legats wollte je zum Mittelpunkt ihrer dunklen Träume werden.
»Ich habe nicht gefragt.« Verleugnung war ihrer aller Taktik, wenn es um Aislinghs Gabe ging.
»Aber sie wusste von deinen Absichten.« Rioghain beobachtete das wachsende Unbehagen ihrer Schwester.
»Ehe ich sie gehabt habe.«
»Dann glaubt sie, dass ich Schutz benötige?«
Aislingh nahm das nicht an, sie wusste es. Würde Teàrlach etwas zustoßen? Sollte der Stein ihr gebrochenes Herz heilen? Sollte er die Wärme seiner Haut ersetzen, nachdem Teàrlach fort war?
»Sie sagte, das Amulett würde dich …« Éadaoin wog ihre Worte ab. »Nein, in Wahrheit sagte sie, er würde dich beschützen. Er würde dich heilen. Seine Liebe wäre allumfassend.« Sie sah auf das Amulett in Rioghains Handfläche. »So lauteten ihre Worte, er nicht es.« Sie hob den Blick. »Du kennst sie so gut wie ich, sie spricht mit Vorliebe in Rätseln.«
Rätsel waren Aislinghs Art und Weise mit ihren dunklen Träumen umzugehen und Rioghain glaubte nicht, dass ihre Träume auch nur annähernd kryptisch waren.
»Sie hat von Teàrlach gesprochen.« Rioghain schloss ihre Finger um das Amulett. Er liebte sie und Aislingh bestätigte diese Wahrheit – ob Éadaoin diese Wahrheit nun teilte oder nicht.
»Möglich«, murmelte ihre Schwester. »Trage es.« Sie erhob sich. »Die Burg wird heute verlassen sein, also genieße ein paar Stunden der Ruhe und komm’ zu Kräften. Wo hält sich Teàrlach auf?« Bei einer Hure? Der stille Vorwurf kroch wie Gift durch ihre Adern und sickerte in ihr Herz.
»Er wird bald zurück sein«, log Rioghain.
Das Bedürfnis, die Wahrheit zu sagen schnürte ihr beinahe die Kehle zu, aber er lag auch im Krieg mit ihrem Wunsch, ihren Gefährten zu beschützen. Als sie aufgewacht war, war Teàrlach bereits verschwunden, keine Vertiefung, wo er gelegen hatte und das Leilachen nicht länger warm, aber sein Duft auf ihrer Haut war ein Versprechen – er würde bald zurückkehren.
»Gewiss.« Éadaoin ging ohne ein weiteres Wort.
Rioghain betrachtete das Amulett in ihrer Hand, wob es mit einem schwarzen Faden in ihr Haar. Sie würde es bei sich tragen, wie sei es versprochen hatte, aber sie würde sich nicht ausruhen. Sie hatte die Verantwortung lange genug auf ihre Waffenbrüder und -schwestern abgewälzt, sie würde ihre Pflichten nicht länger vernachlässigen. Ihr Platz war auf dem Schlachtfeld, gemeinsam mit ihren Kameraden, nicht zusammengerollt auf ihrem Lager inmitten warmer Leilachen, während sie sich in den Schlaf weinte.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt