Kapitel 11: Das Wispern der Felsen

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Das Wispern der Felsen

 

›»Teàrlach. Cathaòir. Ich weiß, dass ihr hier seid. Wie könnt ihr das zulassen? Wie könnt ihr zusehen, dass die verfluchte Hexe ihnen das antut? Hat euch Mhór Rioghains Ende nicht zur Besinnung gebracht? Cathaòir? Wie kannst du dabeistehen und zusehen, wie sie Thadgans Herz, das Herz deiner Leathéan, frisst?«
Die Felsen wiederholten flüsternd den flehenden Appell und er verklang ebenso ungehört, wie in der Stunde, da Cailleachs Favorit um das Leben einer Fiannah gebettelt hatte. Ihr Blut war lange vergossen und ihre Seele wandelte bereits ruhelos in der Ewigen Finsternis. Cathaòir hatte das engmaschige Intrigennetz der Schwarzen Hexe zu spät zerrissen und ihn ereilte ein Schicksal, das Cailleach von Anfang an für ihn geplant hatte.
Doch die Felsen um ihn herum wollten nicht vergessen und gemahnten Teàrlach wieder und wieder, dass ausgerechnet der Lykaner bis zu seinem letzten Atemzug um das Leben seiner Leathéan gekämpft hatte. Die Hure der Hexe mochte ausgesandt worden sein, das Herz einer Kriegerin Cailleach zu Füßen zu legen, aber der Lykaner hatte sich dem Befehl widersetzt und stattdessen ein Wunder bewirkt, indem er die Liebe einer Fiannah gewann.
Der erste Teil seiner Strafe hatte darin bestanden, ihrem Sterben beizuwohnen und wie die Hexe weiter mit dem Lykaner verfahren war, außer ihn in ein Verließ zu werfen, entzog sich Teàrlachs Kenntnis. Er hatte seine Zeit nicht in Cailleachs Gemächern verbracht, sondern am Ort des Sterbens seiner Familie und in den Kerkern. Freiwillig. Nun, da die Schwarze Hexe ihr Interesse an seiner Pein verloren hatte und den Zauber nicht mehr wirkte, der es ihr ermöglicht hatte, Teàrlach zu sehen und seine verfluchte Seele an die Wand ihres Verlieses zu schmieden. Manchmal sehnte er sich danach zurück, denn während der Folter hatten ihn die Bilder der Vergangenheit nicht heimgesucht. Wie sein Leib mit seiner Gefährtin verbrannt, seine Seele aber unversehrt ihrer letzten gemeinsamen Bettstatt entstiegen war. Wie Teàrlach, der betrogene Verräter, nach Rache gegiert hatte, Vergebung und Strafe – Rache hatte er an der Schwarzen Hexe üben wollen, Vergebung und Strafe erhoffte er von Asarlaír.
Schmerz und Schuld hatten seiner Seele Substanz verliehen, einen Körper, der die Lakaien der Hexe niederrang, um deren Nêrah den Dolch ins verfaulte Herz zu stoßen. Er hatte den Miodóg gewählt, den Cailleach wie ein Ehrenzeichen in ihren Gemächern aufgebahrt hatte – nicht allein Rioghains Blut klebte daran. Er hatte der Hexe den Dolch bis zum Heft in die Brust gerammt. Kein Schrei war über ihre entstellten Lippen gekommen und selbst als er den Miodóg in ihrem Herzen gedreht hatte, hatte sie ihn nur mit ihren schwarzen Augen angestarrt. Gelächelt hatte sie und in diesem Moment hatte er begriffen, dass Cailleach ihn narrte. Dass sie ihr Schatten-Selbst der magischen Klinge zum Fraß vorgeworfen hatte, statt persönlich den Lohn ihrer Bosheit einzustreichen. Teàrlach hatte die Gelegenheit zur Flucht verstreichen lassen und mit ihr die Chance nach seiner gescheiterten Rache, Vergebung und Strafe bei Asarlaír zu finden. Die Erkenntnis, dass Cailleach jeden seiner Schritte im Voraus kannte, hatte ihn gelähmt, die Einsicht, dass sein Entschluss, Rioghain auf ihrer letzten Reise zu begleiten, keine Überraschung für sie gewesen war. Wie die Tatsache, dass die Flammen sie nicht zusammengeführt hatten.
Teàrlach riss den Blick von der ersterbenden Fackel an der Höhlenwand los und ging mit unhörbaren Schritten zum Opferstein im Zentrum der Felsenkathedrale. Seine geisterhafte Hand fuhr hindurch. Er vermochte das dunkle Rot darauf nicht zu berühren, das Blut so vieler Fiannah, darunter das seiner Leathéan. Er sah Rioghain immer noch dort liegen, scheinbar schlafend.
»Verzeih’ mir.«
Er streckte die Hand nach dem Trugbild aus, doch ihm blieb versagt, es zu berühren. Schmerz oder Schuld verliehen ihm in diesem Augenblick ebenso wenig physische Gestalt wie in dem Moment, da er die Pforte zu Cailleachs Gemächern aufgebrochen hatte. Die Hexe war es, sie hatte diesen Zauber gewirkt und sich über die Hoffnung amüsiert, die mit jedem ihrer getöteten Lakaien in ihm gewachsen war, mit jedem Schritt, dem er sich seinem eigentlichen Ziel genähert hatte. Nicht das Schatten-Selbst hatte ihm ins Gesicht gelacht, Cailleach war es gewesen. Sie war es auch gewesen, die ihn in ihren Kerker geworfen und sich das Vergnügen nicht hatte nehmen lassen, ihn zu foltern. Er war eine körperlose Seele, doch die Peitsche der Schwarzen Hexe hatten ihn niemals verfehlt und die glühenden Eisen waren nicht wirkungslos durch ihn hindurch gestoßen. Nichts hatte ihm jedoch solche Pein bereitet, wie ihre Worte und die Gewissheit, dass ewige Verdammnis Rioghains und seine Zukunft war. Dass sie beide verflucht waren, ohne Frieden zu wandeln – er unter den Lebenden und Rioghain in den Schatten.
Er sollte sich nicht grämen, hatte Cailleach ihm mit der Peitsche auf den Rücken geschrieben, Mhór Rioghain hätte bereits Trost bei einem anderen gefunden, einem Phantom, wie sie selbst eines geworden war. Hatte sie geglaubt, ihm mit dieser Eröffnung weiteren Schmerz zuzufügen, irrte die Hexe. Er wusste von dem anderen und hatte seine Präsenz gespürt, als er bei Rioghain im Kerker gewesen war und schon zu diesem Zeitpunkt hatte Teàrlach Trost in dieser Gewissheit gefunden.
»Ich hoffe, er ist jetzt bei dir und wird dir ein besserer Gefährte sein, als ich es je gewesen bin.«
In seiner Einbildung öffnete Rioghain die Augen, schwang die Beine über den Rand des Opfersteins und streckte die Hand nach ihm aus. Er schmiegte seine Wange in die Berührung, die seine Seele nicht zu spüren vermochte.
»Ich hoffe, du bist nicht einsam in den Schatten.«
»Mi muimh thá«, sagte Rioghain in seiner Vorstellung.
»Ich liebe dich auch, Leathéan. Ich werde niemals aufhören, dich zu lieben.« Er trat einen Schritt zurück und ihre Hand sank nach unten. Tränen füllten ihre Augen, wie jedes Mal, da er sie zurückgewiesen hatte.
»Deshalb will ich, dass du glücklich bist.« In den Schatten. Mit einem anderen. »Du verdienst einen besseren Mann als mich an deiner Seite.«
»Es gibt keinen anderen ...« Sie presste ihre Lippen zusammen, war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen.
»Sei nicht blind, sieh’, was ich dir angetan habe!«
Die Rioghain seiner Einbildung ließ ihren Blick durch die Höhle wandern, strich mit ihren Fingern über das Blut auf dem Opferstein und lauschte den Felsen, die ihr vom Schicksal ihrer Familie berichteten. Der Kummer färbte das Silber ihrer Augen dunkel und ihre Tränen rot. Dann verschwand sie, ließ ihn allein mit dem Leid und dem Gram ihrer Schwestern und Brüder.
Teàrlach sah ihre Gesichter vor sich. Das Entsetzen mancher, sobald sie erfuhren, mit wem sie das Lager geteilt hatten. Der verzweifelte Mut, mit dem andere das Leben ihres treuen Gefährten verteidig hatten. Die Gleichgültigkeit, in die sie verfallen waren. Der Wahnsinn, in den sie die Trauer geworfen hatte. Die Angst, die einst starke Kriegerinnen in die Flucht getrieben hatte. Er hatte all’ ihre Namen gekannt und ihren Untergang miterlebt.
Thadgan, die noch auf dem Opferstein liegend, Cailleach die Stirn geboten hatte. Um sich dann von ihrem verräterischen Gefährten, den sie so verzweifelt geliebt hatte, zum Sterben überreden zu lassen.
Líadain, die um Sírideans Leben gebettelt hatte, ihre Gabe und ihr Körper zerfressen vom Gift der Druiden. Wie sie sich schützend über ihren Leathéan geworfen hatte, um schließlich zu erfahren, dass alles Flehen und Kämpfen vergebens gewesen war, sein Körper und Geist unter dem Ansturm verdorbener Magie kapituliert hatte.
Éadaoin, die dem Wahnsinn verfallen war, als Cailleach sie gezwungen hatte, zuzusehen, wie ihre Zwillingsschwester wenig später unter Höllenqualen starb.
Nymueh, die Éadaoins Körper in Armen gehalten hatte, während deren Geist von Trauer zerrieben worden war und sie in ihrem Irrsinn nach ihrem Geliebten rief. Nicht Briartach. Sie hatte Kheelahan gerufen, der als vermeintlicher Scylaih, als Drachendämon – als gesuchter Mörder obendrein – wohl für alles stand, das sie hätte bekämpfen sollen. Doch er war ihr ein guter Gefährte gewesen, Kheelahan hatte sich zu ihrem Verließ vorgekämpft – zu spät. Ohne Zaudern hatte er schließlich seiner unrechtmäßigen Leathéan die höchste Ehre erwiesen und war ihr in den Tod gefolgt – wie es Brauch der vermeintlich Seinen war. Kheelahan hatte seine den Tod überdauernde Liebe zu einer Frau unter Beweis gestellt, die nicht von seiner Art gewesen war und für die er von seinesgleichen wohl nur Spott geerntet hätte. Wie er von den Fiannah vielleicht nur Ablehnung erfahren hätte, wäre ihnen diese nicht statthafte Liebe zu Augen und Ohren gekommen. Und doch hatte er einen Ehrenplatz unter den Gefallenen in diesem Krieg verdient, der keiner gewesen war. Die Fiannah hätten obsiegt, wären sie vorbereitet gewesen und nicht aus dem Hinterhalt angegriffen worden. In ihrer eigenen Bettstatt.
Niemand würde sich ihrer entsinnen und niemand die schier endlose Liste der zu Unrecht Gefallenen niederschreiben. Tapfere Krieger und Kriegerinnen zerfielen einfach zu Staub, sie würden womöglich nicht einmal in der Erinnerung der wenigen Überlebenden fortdauern; Unglückliche wie Agronah, die in ihrer Verwirrung niemals in die Burg zurückgelangt war. Teàrlach hatte sie im Wald herumirrend gefunden. Sie hatte ihn in ihrem Wahnsinn nicht als Geist wahrgenommen, vielleicht, weil er das letzte vertraute Gesicht gewesen war, das sie sah. Er hatte sie mit Mühe davon abgehalten, zurück in Cailleachs Verlies zu laufen, weil sie es für ihr Zuhause hielt. Sie hatte ihr Versprechen einlösen wollen, die Fiannah zu warnen, ihr Wort halten wollen, das sie dem verräterischen Leathéan ihrer geliebten Schwester gegeben hatte. Selbst dieses Kind trug mehr Ehre in sich als Teàrlach und alle, die wie er ihr Gelübde für den falschen Schein gebrochen hatten.
Die Schreie des verzweifelten Lykaners, sein Bitten und Flehen hallten von den Felsen wider – der Kreislauf der Verdammnis begann erneut. Teàrlach presste die Hände auf seine Ohren, doch die Schreie waren in seinem Kopf. Das verrottende Blut der Fiannah auf dem Opferstein klagte ihn an und seine vermeintlich darauf schlafende Gefährtin.
Teàrlach floh. Vor den Schreien, dem Flehen, dem Blut und Rioghain. Wie Nymueh aus Cailleachs Kerkern geflohen war, während Kheelahan den Tod seiner Gefährtin betrauert hatte. Mit einem gravierenden Unterschied: er war kein verängstigtes Kind, wie die Fiannah, die niemals ein Leben besaß, wie er es weggeworfen hatte.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWhere stories live. Discover now