Teil 35

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Wisst ihr, ich bin vernachlässigt, entführt, fast vergewaltigt, von meinem Bruder körperlich verletzt worden, fast verbrannt und schließlich auch fast gestorben. All die guten Dinge hingegen die mir im Leben passiert sind kann ich an nur einer Hand abzählen.

1. Ich habe Lee kennengelernt
2. Ich habe meine Freunde und mit ihnen meine Familie gefunden
3. Ich habe gute Job- und somit auch Zukunftsaussichten
4. Ich habe mehr Erfahrungen in 17 Jahren gesammelt, als andere Menschen in ihrem gesamten Leben
Und 5. Ich habe ein Dach über dem Kopf, zumindest so lange man mich nicht wieder rauswirft

Doch ich habe Lee verloren. Damit verlor ich auch das größte der guten Dinge die mir passiert sind. Kurzzeitig verlor ich auch meine Freunde und zusammen mit ihnen auch meine Familie. Nach Lees's Tod verabschiedete ich mich von jeglichen Jobs und somit verschwand auch dieser Punkt von der Liste der guten Dinge. Ich weiß nicht genau ob es gut oder schlecht ist, dass ich in meinem Alter so viele Erfahrungen gesammelt habe, aber ich weiß, dass ich öfters aus meinem Zimmer, meinem Haus geschmissen werde und dann auf mich alleine gestellt bin. 

Jetzt erst, nach einem Jahr, Stück für Stück setzen sich wieder gute Dinge auf meiner Liste zusammen und auch wenn sie niemals hell genug leuchten werden, um mich Lee's Leere vergessen zu lassen, geben sie mir dennoch einen Funken Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben. Hoffnung, dass es besser wird, vielleicht nicht super oder gut, aber besser.

Mein Großvater brachte mich am nächsten Tag zur Schule, auch wenn ich mich versuchte vehement zu wehren. Ich war schlicht weg nicht in der Stimmung für Schule, James oder Holden oder überhaupt irgendwelche Menschen. Dennoch landete ich schließlich in der Schule...

"Was machst du denn hier?" fragten meine Freunde verwundert.

Matt sah ich sie an: "Freu dich nur nicht so sehr!" meinte ich, meine Stimme triefend vor Sarkasmus.

"So meinten wir das nicht." sagte Adi sanft und umarmte mich als erste.

Ich seufzte und war wieder ruhig: "Ja, ich weiß, ich bin nur-" meine Stimme brach ab als ich Oliver wütend neben James und Holden stehen sah. Oliver schien sie gerade zusammen zu schreien. Er stoppte in seinem Redeschwall, nachdem er sich kurz umdrehte und mich sah. Er schien überaus erleichtert, genau wie ich.

Plötzlich war ich wieder kurz vor einem Tränenschwall und ihm schien es nicht besonders anders zu gehen. Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung sofort.
Oliver war wie ein Bruder für mich. Seine Umarmungen waren das nächste an familiärer Bindung die ich bekommen konnte, also griff ich danach, wie eine Ertrinkende. Behutsam strich er mir über mein Haar und versuchte mich zu beruhigen. Ich fühlte mich trotzdem ein wenig egoistisch, da ich ja nicht die Einzige war die um Lee trauerte, aber ich konnte mir anders nichts helfen.

"Schhh, ist ja gut." redete er führsorglich auf mich ein "Ich bin ja da. Du bist nicht alleine." sagte er schließlich, wobei der letzte Satz mich innerlich in tausend Einzelteile zerbrach.

"Ich..." schluchzte ich und er brachte wieder ein wenig Abstand zwischen uns und nahm mein Gesicht mit meinen Haaren zwischen die Hände "Ich dachte du würdest mich jetzt alleine lassen." weinte ich "Ich... ich dachte, ich müsste da alleine durch."

Die Tränen wollten gar nicht mehr aufhören, da beugte er sich wieder vor und gab mir einen Kuss auf die Stirn: "Niemals! Hörst du, niemals! Ich konnte schon am Anfang nicht für dich da sein, aber ich werde es jetzt sein. Wir stehen das gemeinsam durch." sagte er räuevoll und nahm mich wieder in den Arm "Ich bin dein Bruder, doch ich bin nicht James. Ich bin da."

Weinend krallte ich mich in seinen Rücken und ich merkte in diesem Moment, dass Oliver diese Umarmung ebenfalls so nötig hatte wie ich. Denn so wie ich mich an ihn krallte, krallte er sich auch an mich. Gleichwohl bedeuteten mir seine Worte mir die Welt.

Gebrochenes HerzWhere stories live. Discover now