22 - Scheiße ist das kalt II

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7.4.1916

Nachdem wir mich umgezogen und uns noch über vieles unterhalten haben, müssen wir beide eingeschlafen sein. Denn ich bin ausgeschlafen und hellwach. Das könnte aber auch an dem höllischen Alptraum liegen, der mich diesmal erwischt hat. Mir laufen noch Tränen über mein Gesicht und ich zittere am ganzen Körper. Max blinzelt und nimmt mich kurz später besorgt in die Arme. Er streichelt meinen Rücken und fragt vorsichtig, ob ich darüber reden möchte. Doch zum Glück ist es keiner dieser Alpträume, die sich einem ins Gehirn brennen und niemals in Vergessenheit geraten. Mit jeder Sekunde, in der ich hier sitze, verfliegen die Erinnerungen und darüber bin ich sehr, sehr dankbar. Ich erkläre, dass es mir schon besser geht und Max sich keine Sorgen zu machen braucht.

„Wirklich. Alles ist wieder gut. Wir sollten einfach weiter schlafen.", versuche ich ihn zu überzeugen, denn er sieht wirklich müde aus. Max ist nicht überzeugt, das zeigt sich an seiner prüfenden Miene. Letztendlich gibt er aber nach.

Ich betrachte seine Gesichtszüge, die alles andere als entspannt wirken. Ich werde sicher nicht mehr einschlafen, dazu bin ich zu wach und aufgewühlt. Mit der Zeit entspannt sich sein Ausdruck und sein gleichmäßiger Atem verrät mir, dass Max eingeschlafen ist. Das beruhigt auch mich. Ich kuschle mich an seinen warmen Körper, doch mein Kopf will nicht aufhören zu denken. Ich werde mit lauter Erinnerungen und Was-wäre-wenn's attackiert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit scheint auch Max ausgeschlafen zu sein. Das Sonnenlicht, welches leicht durch die Vorhänge scheint, signalisiert mir, dass es früher Morgen sein muss. Wer kennt diese Tage nicht? Die, an denen man müde ist, aber nicht so müde, dass man schläft, nur so, dass man am liebsten den ganzen Tag im warmen Bett liegen bleiben würde. So fühlt sich das gerade an. Doch es nützt ja alles nichts. Morgen Abend schon kann ich die Taschenuhr abholen. Und übermorgen geht's dann hoffentlich nach Hause. Als hätte Max meine Gedanken gelesen, fragt er mich wie es denn jetzt weiter ginge, wo die Uhr ja bald fertig sei. Gute Frage, denn genau durchdacht habe ich das auch noch nicht.

„Ich weiß ja nicht einmal was genau ich mit der Uhr dann machen muss, um nach Hause zu kommen... Auf den Boden werfen ist wohl nicht die beste Idee. Leider kann Willi uns da auch nicht weiterhelfen, wir können ihn ja schlecht gemeinsam danach fragen.", erwidere ich und starre konzentriert gegen den Baldachin, als würde ich dort die Antwort finden.

„Vielleicht steht irgendetwas dazu im Tagebuch.", überlegt Max und sieht mich fragend an.

„Pssst, behalte immer im Hinterkopf, dass Willi nicht weiß, dass du weißt, was du weißt.", flüstere ich. Deutsch Leistungskurs ist da.

„Ziemlich viel Wissen.", kommentiert er meine Aussage und seine Mundwinkel wandern nach oben.

„Du weißt, was ich meine." Antworte ich darauf und muss auch über meine Worte schmunzeln.

Zurück zum Tagebuch. Wo liegt jetzt das Teil nochmal? Es kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. In der Tür zu Willis Arbeitszimmer bleibe ich stehen. Ich schaffe mir einen Überblick. An der gegenüberliegenden Wand der große Mahagonischreibtisch mit den unzähligen Akten darauf. Zu meiner linken die kleine Sitzgruppe und rechts an der Wand der Aktenschrank. Wahrscheinlich liegt es in der Schublade des Schreibtisches. Wir müssen uns beeilen, denn es wird immer heller und so langsam müssten auch die anderen wach sein. Die Sonne strahlt schon durch die riesigen Fenster ins Zimmer und trotz der Glasscheibe, kann ich die angenehme Wärme auf meiner Haut spüren.

„Was ist daran verdächtig, wenn wir beide im Arbeitszimmer sind? Ich bei der Arbeit und du als meine Gesellschaft?", unterbricht Max meine Gedanken. Schulterzuckend, die Hände vor der Brust verschränkt, lehnt er lässig am Türrahmen. Meiner Meinung etwas zu lässig. Er scheint das ziemlich locker zu nehmen, wobei ich von Minute zu Minute, die wir hier unerlaubt in Willis Arbeitszimmer verbringen, nervöser werde.

Hundred years back ||✔Where stories live. Discover now