Ocean Eyes [MERMAID!AU]

By xxFlasher2Nightxx

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"Ich darf doch sehr bitten! Meine Wenigkeit entspringt nicht Eurer blΓΌhenden Fantasie, sondern einem traditio... More

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By xxFlasher2Nightxx

Getrennt durch den Spiegel der Welten,

diverse politische Absichten gelten.

Die Kinder der Welten mögen verbinden,

durch das was sie finden.

Gefunden im Zufall und bekräftigt durch Zeit,

schwindet Freundschaft für Zärtlichkeit.

Gesetze und Krieg werde besiegt,

durch das was Liebe gibt.

Die Mächte vermögen sich zu spalten,

doch im Einklang zueinander halten.

Verdientes Glück am Ende denen,

die den vermissten Frieden geben.

Ezra knabberte an dem hölzernen Bleistift und bemerkte nicht einmal, dass der bleierne Geschmack der Miene sich in seinem Mund ausbreitete und seine Lippen grau färbte. Zu versunken in seiner blühenden Fantasie und der Vorstellungskraft kauerte er auf der alten Matratze und runzelte seine Stirn, je länger er sich die uralten Texte durch den Kopf gehen ließ. Sie beflügelten seine ideologische Philosophie und das, obwohl diese Worte älter waren als die menschliche Zeitrechnung. Die Prophezeiung auf seinem Notizzettel beschrieb die Wiedervereinigung der verfeindeten Welten, Strophe für Strophe wandte er den Blickwinkel und versuchte des Rätsels Lösung zu finden.

Getrennt durch den Spiegel der Welten,

diverse politische Absichten gelten.

„Ganz klar. Damit sind ich und Cassian gemeint. Bei mir gilt eine andere Politik als bei ihm", grübelte er und es kümmerte ihn nicht, dass in wenigen Stunden die Sonne aufgehen würde. Die Nacht gewährte Zugang zu Empfindungen und Denkweisen, die tagsüber unzugänglich waren. „Aber was ist ein Spiegel der Welten? Eine Grenze? Hm...möglicherweise die Wasseroberfläche?"

Die Kinder der Welten mögen verbinden,

durch das was sie finden.

„Jup, Kinder der Welten. Das sind wir. Aber was sollen wir verbinden? Und womit? Eine Art mystische Zauberformel, die wir suchen sollen? Wie bei Indiana Jones? Oder nimmt das alles jetzt Harry Potter Umfänge an?"

Gefunden im Zufall und bekräftigt durch Zeit,

schwindet Freundschaft für Zärtlichkeit.

Ezra kratzte sich etwas ratlos den Kopf. „Dass wir mehr als nur Freunde sind, dürfte unglücklicherweise mehr als nur bekannt sein. Gefunden im Zufall...könnte der Sturm sein, wegen dem ich fast ertrunken wäre. Das war doch Zufall, oder?"

Gesetze und Krieg werde besiegt,

durch das was Liebe gibt.

„Gesetze und Krieg werde besiegt...oh na super, sollen wir eine Rebellion starten oder was? Hoffentlich nicht, ich bin kein Soldat. Es muss was geben was Bedeutsamer ist als Gesetze, Irgendwas, womit Liebe zu tun hat. Und das setzt die Politik außer Kraft. Schätze ich...", runzelte der Mensch die Stirn und machte sich weiter zum nächsten Absatz, der nicht recht viel aufschlussreicher war als die vorherigen.

Die Mächte vermögen sich zu spalten,

doch im Einklang zueinander halten.

Er schmunzelte. „Ein Glück, dass ich in Geschichte aufgepasst hab. Der Feind meines Feindes, ist mein Freund. Könnte passen. Die Fische bekriegen sich gegenseitig, halten aber gegen ihren gemeinsamen Feind zusammen. Dürfte der Mensch sein, der ist bekanntlich ja für alle der Feind und der Sündenbock schlechthin"

Verdientes Glück am Ende denen,

die den vermissten Frieden geben.

Er seufzte und rieb sich über die Augen. „Das ist selbsterklärend", meinte er und schluckte. In Momenten wie diesen wünschte er sich, diese Erkenntnisse mit jemandem besprechen zu können. Lag er richtig? Oder fantasierte er all diese Zusammenhänge nur?

*

*

*

Durfte man den diversen Abschriften der Geschichtenerzähler und überzeugten Träumern Glaube schenken, beruhte das Gleichgewicht der Welten nicht etwa in Händen von Königen oder ernannten Präsidenten.

Nein.

Zwar gab es eine Vielzahl an Gesetzen, aber um die kosmischen Richtlinien in einigermaßen verständliche Worte fassen zu können, nutzte Ezra sein Wissen aus dem Literaturstudium – zumindest das, was noch hängen geblieben war inmitten all dem chaotischen Lehrstoff. Die 7 Prinzipien des kosmischen Gesetzes in kurzen, verständlichen Erklärungen gefasst.

Das erste kosmische Gesetz: Das Prinzip der Geistigkeit

Leitspruch: „Alles ist Geist"

Inhalt: Der Geist steht über allem, er beherrscht auch die Materie. Die eigenen Gedanken haben Macht, sie steuern alles. Mittels der Kraft der Gedanken kann die persönliche Welt erschaffen und verändert werden. Negatives Denken kann viel Schaden anrichten, während positives Gedankengut viel Gutes bewirken kann.

Das zweite kosmische Gesetz: Das Prinzip der Entsprechung

Leitspruch: „Das Göttliche entspricht dem Menschlichen"

Inhalt: Analogien finden sich überall. Oben und unten, groß und klein, alt und jung: Für jedes Lebewesen, jeden Gegenstand in diesem Kosmos gibt es eine Entsprechung. Alles ergänzt sich. So, wie man im Inneren denkt und fühlt, so nimmt man auch die äußere Umgebung wahr.

Das dritte kosmische Gesetz: Das Prinzip der Schwingung

Leitspruch: „Alles bewegt sich"

Inhalt: So weit, wie das Pendel des Lebens nach rechts ausschlägt, soweit wird es wieder nach links ausschlagen. Alles was steigt, wird auch wieder fallen. Alle Schwingungen gleichen sich irgendwann aus. Alles Starre ist zerbrechlich.

Das vierte kosmische Gesetz: Das Prinzip der Gegensätzlichkeit

Leitspruch: „Gegensätze finden sich überall"

Inhalt: Jeder Pol hat einen Gegenpol. Gutes und Schlechtes, Altes und Neues. Land und Ozean. Jedes dieser Paare ergänzt sich aufgrund seiner Gegensätzlichkeit.

Das fünfte kosmische Gesetz: Das Prinzip des Rhythmus

Leitspruch: „Alles fließt – ein und aus"

Inhalt: Alles hebt und senkt sich, alles fließt ein und wieder aus. Gezeiten wie Ebbe und Flut machen das deutlich. Diese Wechselwirkung kann man nicht außer Kraft setzen, doch man kann sie für sich nutzen. Verinnerlicht man dieses Prinzip, lassen sich die Folgen des eigenen Handelns besser abschätzen.

Das sechste kosmische Gesetz: Das Prinzip von Ursache und Wirkung

Leitspruch: „Alles hat eine Ursache"

Inhalt: Nichts geschieht ohne Grund. Jede Aktion fordert eine Reaktion. Jede Wirkung hat eine Ursache, jede Ursache ihre Wirkung. Jeder Mensch hat sein Leben selbst in der Hand und bestimmt, was passiert – durch sein Denken und Handeln.

Das siebte kosmische Gesetz: Das Prinzip des Geschlechts

Leitspruch: „In allem steckt etwas Männliches und etwas Weibliches"

Inhalt: Alles, was sich in diesem Universum befindet, vereint einen weiblichen und einen männlichen Anteil in sich. Wer diese beiden Teile gleichermaßen (aus-)lebt, befindet sich im Gleichgewicht und in seiner inneren Mitte.

Jeon Ezra glaubte an Wunder, ja.

Aber so etwas Tiefsinniges wie Seelengefährten?

Das war eine völlig andere Thematik, von der nicht einmal Harvey weitreichende Informationen besaß.

Nun, da er sämtliche Bücher und ihm zur Verfügung stehende Informationsquellen schon auswendig kannte, traute er sich seinem Geist zu, die eine oder andere Vermutung in diesem philosophischen Bereich anzustellen. Schaden könnte es ja nicht, eine Option mehr zu prüfen.

Ezra tat sich schwer, das Prinzip dieser kosmischen Fusionen zweier Seelen zu verstehen oder gar als plausible Erklärung zu akzeptieren.

Aber welche der ihm bekannten Niederschriften definierte all die Empfindungen, die er in Anwesenheit des Blauhaarigen fühlte?

Keine einzige.

Vielleicht war es eine ungeschriebene Tatsache, dass man zu der besten Version seines Selbst wurde, wenn man geliebt wurde. Richtig geliebt, nicht nur wegen ansprechenden Äußerlichkeiten. Nicht wegen Geld oder sonstigen Luxusgütern. Vielleicht lag der innere Einklang mit sich selbst daran, dass man eine andere Person brauchte die einem zeigte, wie wertvoll man für das Universum war. Cassian kannte lediglich Ezra's Namen und es war mehr als genug, um die Anziehungskraft zwischen den beiden zu vertiefen, er machte dem Menschen unterbewusst deutlich, wie pur und rein eine echte Liebe sein konnte. Einfach so. Ezra hielt einen Jungen mit Flosse in seinen Armen und visualisierte dieses wertvolle Geschöpf insofern, als balancierte er das Universum mit all seinen leuchtenden Sternen mit seinen Händen. Dabei brauchte er kein Universum und keine Milliarden von Sternen – er wollte nur einen einzigen. Und in dessen Genuss durfte er kommen, gewährte der wunderschönen Gestalt ihn zu verzaubern. Ezra erlaubte sich selbst zum ersten Mal in seinem Leben, der schlummernden Liebe in seinem Herzen die Freiheit kosten zu lassen. Zu schmecken wie es sich anfühlte, jemanden gernzuhaben. Dann wird eine Energie freigesetzt, die weder Mensch noch Meerkind so nicht kennen, die in keinen Geschichtsbüchern thematisiert wurde und verborgen vor dem gierigen Machtwunsch trotzdem existiert. Eine Energie, die so groß und so stark ist, dass es gefühlt zu Explosionen kommen kann, als würde der dunkle Nachthimmel mit Millionen Feuerwerkskörpern zersprengt und in gleißendes Licht getaucht werden. Funkelnder Sternenregen, der zu Seiten der kosmischen Silhouetten hinab rieselt und ihnen den Weg in der Dunkelheit leuchtet. Es ist eine kraftvolle und gleichzeitig sehr sanfte Energie, die alles erschüttern kann. In sich. Und um sich herum. Das Gleichgewicht der Welten taumelt und schwankt, renkt sich schmetternd ein und verbindet das, was niemals getrennt hätte werden dürfen. Es ist zudem eine Energie, die heilt und alte Wunden verblassen lässt. Eine universelle Dynamik, die man erst einmal lernen muss auszuhalten, um nicht in ihr verbrannt zu werden. Diese freigesetzte Energie nennt sich Liebe - die echte Liebe. Und sie hat die Kraft alles in Balance zu bringen, gleich dem Grad der Zerstörung oder der Unwahrscheinlichkeit. Was durchaus auch als schmerzhaft empfunden werden kann, wenn man sich dessen nicht bewusst ist. Diese kraftvolle Macht kann aber nur dann entstehen und freigesetzt werden, wenn sich beide Seelengefährten dem bewusst sind. Und auch dieses bewusste Sein leben.

Und Ezra, dem können wir uns alle sicher sein, wäre bereit sich ohne mit der Wimper zu zucken in die lechzenden Flammen zu stellen, würden die ozeanblauen Augen dort auf ihn warten.

Wenn sich Seelengefährten trotz ihrer Abstammung und den Hindernissen erkennen und berühren, geht es nicht um dieses typisch irdische Liebesbeziehungsspiel, das vom Verstand gesteuert wird. Sondern es geht um Herzenergie und Seelen-Zuhause. Und es geht darum diese kosmische Liebe ganz bewusst irdisch und auf körperlicher Ebene auszudrücken und zu leben. Das ist das besondere an kosmischen Seelenbindungen. Es geht tief. Es dringt in dich ein und erfüllt dich, es lässt die Zweifel verschwinden und es passiert auf allen Ebenen. Geistig. Irdisch. Kosmisch. Körperlich. Auf allen Ebenen. Kraftvoll und sanft.

Vielleicht erst einmal nur energetisch, telepathisch, geistig. Weil da noch Angst ist und Unwissenheit, die von den vergänglichen Epochen überliefert wurde. Oder weil einer der beiden gar nicht auf diese Fusion vorbereitet ist – wobei, kann man je auf etwas vorbereitet sein? Es erkennen sich bewusste Seelengefährten auch auf irdisch-körperlicher Ebene. Weil es diese Kräfte braucht. Diese explosive, sinnliche Heilenergie, die nur in der Verbindung von Zusammenhalt und bedingungsloser Hingabe entstehen kann. Und, die die Kraft hat, alles ins Gleichgewicht zu bringen. Also sollte man den Mut haben, sich seinem Seelengefährten zu öffnen. Sich ihm ganz hinzugeben. Energetisch, spirituell, geistig und auch irdisch-körperlich. Vielleicht schmerzt es anfänglich, weil die kosmische Gewalt die Gegenstücke zu euphorisch vereint und das entfachte Feuer sie verletzt. Das geschürte Bedürfnis nach Zweisamkeit, intimer Verbundenheit sie überfordert und sie nicht wissen, wohin mit all der Intensität. Sie rücksichtslos verbrennt und der Zusammengehörigkeit die Grenzen aufweist – nur, um sie noch weiter zu passieren. Vielleicht macht es den Gefährten Angst, weil sie so etwas herrliches und harmonisches noch nie gefühlt haben. Noch nie in dieser Tiefe wahrgenommen haben. Und noch nie mit dieser Leichtigkeit Liebe geschenkt haben. Doch wenn sie sich wirklich mit ganzem Herzen, funktionierendem Verstand und unermesslichem Vertrauen auf diese universelle Energie einlassen, werden sie es nicht bereuen.

*

*

*

Nachdem Ezra nun tag ein tag aus in der Brandung auf seinen Gefährten wartete erwachte er aus seiner Sehnsucht und erkannte die Realität an. Cassian würde nicht mehr wiederkommen. Irgendwie konnte er den Zorn der Wassermenschen verstehen – die Menschen verschmutzten die Ozeane, überfischten die Ressourcen und jetzt sollten sie ihm auch noch ein hochgeborenes Kind schenken? Ohne ein entsprechendes Entgegenkommen seinerseits? Ezra war töricht gewesen, sich auf die Nachsicht und die Schätzung von Liebe zu verlassen. Was zählte eine Romanze schon, wenn die Herzen derer aus verfeindeten Welten stammten? Vielleicht hatte Cassian damals von Anfang an Recht, als er meinte diese Gefühle stünden unter keinem wohl gesonnen Stern. Verbotene Romanze hin, Abstammungen her. Für Ezra stand fest, dass er den Jungen mit den ozeanblauen Augen nicht einfach so aufgeben könnte. Wollte. Dafür hinterließ dieses Geschöpf einen viel zu prägenden Affekt in seinem Leben. Seinem Geist. Seinem Herzen. Und weil der Schwarzhaarige nach einem weiteren einsamen Sonnenaufgang einsah, dass er seine Zeit nicht mit wilden Träumereien und schlaflosen Nächten vergeuden sollte, wachte er auf.

Ein Mensch und ein Meerbewohner.

Natürlich zwangen diese Unterschiede diese Bindung in die Knie, stellten sie auf eine schier unlösbare Feuerprobe und rissen entzwei, was perfekt verschmolz und im absoluten Einklang miteinander harmonierte.

Womöglich täuschte sich derjenige, als er in Ezra den Schlüssel zu etwas Höherem glaubte zu erkennen. Er war ja nicht mehr als ein Schiffbrüchiger, für dessen Rettung ein Unschuldiger geradezustehen hatte. Und trotz aller Faktoren, die so glasklar gegen die beiden Gefährten plädierten, erlosch der letzte Funken Hoffnung in keinem der beiden. Wenn sie nicht in diesem Leben zusammen sein durften, musste woanders eine Paralleldimension existieren, in denen ihre Liebe keine Grenzen kannte. Anders durfte diese Geschichte nicht enden, kein Ende finden bevor der Anfang geschrieben wurde.

Der Anfang, der fein säuberlich und bis in's letzte Detail auf Harvey's Laptop gespeichert war.

Wartend darauf, dass Ezra das letzte Kapitel dieser mitreißenden Herzensgeschichte nieder tippte und der bewegenden Trennung ein schönes Ende beschenkte. Zu lange hatte er seinen Gefährten nicht mehr gesehen oder im Arm gehalten. Der Mensch trug die berechtigte Sorge in seinen allgegenwärtigen Gedanken, dass die ozeanblauen Augen aus seinen Erinnerungen verblassen könnten, je länger er mit der Abwesenheit des anderen zurechtkommen musste. Dass er sich irgendwann nicht mehr an all die wundervollen Dinge entsann, die seine Ideologie neu orientierten und ihn an Wunder glauben ließen. Sich nicht mehr an die warmen Empfindungen erinnerte, die das Geschöpf in ihm auslöste und hinterließ, als es ihm gestohlen wurde. Aus diesem Grund, der Prävention dieses Gedächtnisverlustes, verfasste der geübte Mordautor seinen ersten Roman. Einen Roman, ein Werk, welches die verbotene Liebe zweier Wesen thematisierte und darüber hinaus ernst zu nehmend scharfe Kritik an den Führungsstilen äußerte, unter denen Richtlinien die Verliebten zu leiden hatten. Ein gesellschaftlicher sowie sozialer Aufruf, die angewandten Methoden zu überdenken und den derzeitigen globalen Verhältnissen anzupassen.

Jeon Ezra erschuf aus den Schmerzen seines vor Liebeskummer und Sehnsucht zerfließenden Herzens eine mitreißende Biografie seiner Erlebnisse, eine liebevolle Dokumentation über sein Zusammentreffen mit der Welt unter dem Wasserspiegel. Eine Abschrift der besten Tage seines Lebens. Ein Beweis für die Götter, dass ihr herrlicher Wille und die angestrebten Perspektivenwechsel der voreingenommenen Menschen kein Ding der Unmöglichkeit waren. Jeon Ezra selbst war der wandelnde Beweis, dass manche Zweibeiner einfach einen Weckruf brauchten, um den zwischen den technologisierten Apparaturen vergessenen Zauber wieder wahrzunehmen. Zu erkennen. Realisieren, dass tragische Unglücke nicht etwa durch Glück oder einen Zufall vereitelt werden.

Die Magie war allgegenwärtig und lebte in allem. Der Natur, der durchkoordinierten Arbeitstage, den Herzen der Zweibeinern. Die Magie, von den Landwesen vergessen aber ein treuer Freund des Meervolkes, schuf Bindungen, die über die Grenzen der Welten hinausragten.

Ezra, der sich nie für Übernatürliches oder diesen philosophischen Schwachsinn von wegen Einklang des Kosmos interessiert hatte, witterte in diesen Aspekten eine letzte Chance. Er sträubte sich zu einem geringen Teil noch gegen die fanatischen Flausen in seinem Hirn, doch was blieb ihm anderes übrig? Wendy glaubte an die Visionen der Märchenerzähler und wenn sie es tat, würden andere Menschen den gleichen Glauben finden.

Der brilliante Verstand des Schriftstellers erarbeitete sich einzig und allein durch uralte Märchenbücher, Harvey's überliefertes Wissen in Bezug auf Zauberei und die von Cassian enthüllte Historie der Meere eine Theorie, die unwissentlich sogar näher an der Wahrheit andockte als er vermutete. Wem es gelingt, sich von alten Mustern zu befreien und die Wahrheit hinter der Wahrheit zu erkennen, sich dieser zu öffnen, der darf vieles erkennen und begreifen, was für das menschliche Auge nicht sichtbar und für den menschlichen Verstand nicht greifbar ist. Harvey verlor kein Wort des Spottes über Ezra's diverse Abschriften, hörte sich die Theorien einzeln an und versuchte seinem Freund zu verstehen helfen, dass man nicht für alles eine logische Erklärung oder einen nachvollziehbaren Bezug zur Realität herstellen konnte.

Die Welt war mehr als Zahlen, Fakten und beglaubigte physikalische Gesetze.

Nur weil Ihr nicht an Magie glaubt, bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass es sie nicht gibt.

Es ist die klare Aufforderung das die Menschen sich von der Kopfebene in die Herzensebene begeben müssen um zu fühlen, zu erkennen, um gänzlich neu anzufangen – und dies auf vielfältige Art und Weise. Man muss den nötigen Mut zeigen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen, denn nur im Bewusstsein, das die einzige Beständigkeit im Universum der Wandel ist, bringt man sich näher an die eigene Seele, die eigene göttliche Schöpferkraft und so zur wahren Glückseligkeit. Zum Verständnis.

Ezra vermisste Cassian so unfassbar, dass er sich nachts in einem Chaos an durchlebten Erinnerungen wiederfand. Ihr erstes Treffen. Das Gefühl zu fallen, in den ozeanblauen Augen zu versinken und das Sonnenlicht nie mehr wiedersehen zu wollen. Eine Verbundenheit, die weit über alles ging, womit man dieses Empfinden in der menschlichen Sprache charakterisieren könnte. Wenn sich Seelengefährten berühren, geht es um die allumfassende Liebe. Um hohe Schwingungen. Pure Heilung. Es geht einzig und allein darum zu heilen. Ganz tief. In der tiefsten Tiefe der Tiefe. Nicht nur in sich und in dem Seelengefährten. Sondern im Alles. Es geht darum die Balance zu finden. Die Neutralität. Das Gelassensein. Die Gleichgültigkeit. Es geht darum die Pole auszubalancieren. Das Männliche und das Weibliche ins Gleichgewicht zu bringen. Zu vereinen. Genauso wie das Licht und das Dunkle. Und auch das Seelensein und das Menschsein. Das Meersein. Es geht darum, alles was in einem ist, in Harmonie zu bringen und nach Außen fließen zu lassen. Das ist dann der sogenannte innere Frieden. Der, wenn er wirklich aus dem Herzen gelebt wird, sich auch als Frieden im Außen zeigt.

Der Schwarzhaarige schwelgte gern in dem Gefühl, welches Cassian's feinfühlige Berührungen hinterließen. Vergleichbar mit einem warmen Sommertag, an dem der Wind den Duft von frischem Gras herumwirbelte und die Herzen der Verliebten mit Zuversicht füllte, ihnen Beständigkeit einhauchte und die Kraft, aneinander fest zuhalten. Schmetterlinge aus Feuer. Blumen aus Kristallen.

Und Ezra würde sein restliches Leben dem Vorhaben widmen, ein Wiedersehen mit den bezaubernden, ozeanblauen Augen möglich zu machen. Irgendwie. Irgendwann.

Hoffentlich.

*

*

*

Ezra wollte endlich atmen. Er verabscheute die Nacht.

Er wollte aufwachen, hasste den Traum in dem er gefangen war.

Verabscheute sein persönliches Gefängnis, in dem er sich leblos fühlte.

Ezra wollte nicht einsam und verlassen sein.

Er wollte an Cassian's Seite stehen, seine Hand halten und dem Jungen mit den ozeanblauen Augen gehören.

Melancholisch blickte er auf den noch trüben Morgenhimmel und sog die frische Meerluft in seine gierigen Lungen, schloss verzückt von dem Geruch nach Freiheit die Augen und seufzte ermattet. Könnte Cassian diese Freiheit ebenfalls riechen, an der Seite des Menschen...es war zu schön um wahr zu sein. Die Anzahl an schlaflosen Nächte häufte sich allmählich zu einer sehr beunruhigenden Summe, und dennoch schaffte er es nicht, seinen Verstand für wenige Stunden abzuschalten und sich von dem Nichts fangen zu lassen, dass immerzu auf ihn lauerte. Auf Schwächen. Auf Resignation. Auf Kapitulation.

Die Wellen des Ozeans plätscherten in verspielter Harmonie und rollten flüsternd an den seichten Strand, zerflossen mit der Erwartung des Sonnenlichts zu einem bunten Schillern und unterhielten den Menschen mit ihrer Pracht. Immerhin versuchte es die Natur, doch das trübselige Glitzern in den korallbraunen Augen ließ sich nicht aufheitern. Sie vermissten ihre Gegenstücke. Korallbraun. Ozeanblau. Ohne ihre Komplementärpartner waren sie nur einzelne Farbstücke eines zerbrochenen Mosaiks.

Gleich würde ein neuer Tag beginnen.

Die Sonne würde den Ozean küssen und der Dunkelheit trotzen, sie verdrängen und neue Lebenslust verbreiten an jeden, der empfänglich dafür war.

Ezra schluckte und klammerte sich an die beschriebenen Zettel, die in seinen Händen ruhten und neckisch vom Wind versucht wurden an sich zu bringen. Der Mensch ließ es nicht zu. In diesen Zeilen lag alle seine aufgewandte Mühe, all die schlaflosen Nächte trugen zu den Ergebnissen seiner Recherchen und Spekulationen bei, an die er sich so versteift klammerte. Diese Schriften symbolisierten seine letzte Möglichkeit, zurück zu seinem Gefährten zu finden.

Mehr konnte er denjenigen nicht bieten, die Cassian in ihrer Gewalt hielten. Gegen seinen Willen.

Ezra betete zu allen ihm bekannten Göttern und spirituellen Geistern, seine Mühen und Opfer würden anerkannt werden. Er trachtete nicht nach der Krone. Nicht nach Macht. Nicht nach einem Eintrag in die Geschichtsbücher, kein Name der bis in die Ewigkeit präsent bliebe. Ezra wünschte sich als einziges den Jungen mit den ozeanblauen Augen. Nicht mehr, nicht weniger.

Der Himmel färbte sich eine Nuance dunkler, sattes Orange zeichnete sich mit jedem verstreichenden Herzschlag prägnanter von der Dunkelheit ab. Der Mensch schluckte und versuchte sich die aufwallenden Hoffnungen nicht zu Kopf steigen zu lassen. Täglich kam er seit beinahe 2 Monaten an genau diese Stelle des Strandes, beobachtete die Sonnenaufgänge und hielt Ausschau nach demjenigen, der an diesem Tagespunkt aus den Wellen versprach zu erscheinen. Zugleich, seit täglich beinahe 2 Monaten, wurde sein Antlitz von den Sonnenstrahlen allein begrüßt. Kein kristallblauer Haarschopf, kein erfreutes Winken. Keine ozeanblauen Augen, die den Weg zurück zu Ezra fanden.

Er wusste es.

Cassian würde nicht kommen.

Ezra würde längst mit ihm in den Armen aufwachen, in seinem Zimmer, in seinem Bett, aneinander gekuschelt und friedlich die anmutigen Gesichtszüge des geheimnisvollen Wesens vergöttern, gäbe es eine Hoffnung für diese Liebe.

Aber Cassian kam nie wieder.

Aus diesem Grund versuchte Ezra mit aller ihm gebliebenen Macht, sich keine Hoffnungen mehr zu machen. Denn die nachfolgende Enttäuschung zerschmetterte seine Zuversicht wie eine zu Boden gefallene Vase. Wie ein zerbrochener Bilderrahmen. Es tat weh, eine so verzerrende Sehnsucht in seiner Brust pulsieren zu fühlen, deren aufgeschobene Befriedigung ihm Kraft zu Atmen kostete. Dass es wahre Liebe gab, zugegeben, zog er in Betracht nachdem Harvey ihn unzählige Dramen und Filme zwang mit ihm zu gucken. Aber das eine unglückliche wahre Liebe so entsetzliche Qualen nach sich zog...

„Ich sehe die Sonne", hauchte er und stand mit zittrigen Knien auf, näherte sich der rauschenden Brandung wie er es immer tat und kümmerte sich nicht um den Seewind, der seine Haare zerwuschelte. Bevor er den nächsten Satz sprechen konnte, formte sich ein Druck auf seine Kehle und er senkte rasch den Kopf, um sich verstohlen über die Lider zu wischen.

„Aber warum ist es so dunkel, wenn du nicht hier bist? Es ist gefährlich, in so hohem Maß abhängig von etwas zu sein, das einem die Realität verdreht..."

Ezra atmete tief durch und betrachtete mit angespannten Nerven die wundervoll leuchtende Sonne, die sich aus ihrem Schlaf erhob und die Natur in goldenes Licht tauchte.

„Rette mich, denn ich allein schaffe es nicht"

Der Schwarzhaarige hätte es wissen sollen. Er tat es auch, besser als ihm lieb war, dennoch spürte er den altbekannten Schmerz durch sein ertaubtes Herz jagen. Ein weiterer einsamer Sonnenaufgang zeugte von der Aussichtslosigkeit, die ihn im Schlaf und allen Tagträumereien heimsuchte.

„Bei Sonnenaufgang werde ich auf dich warten", wisperte er und hielt die Zettel fester in seinen Fingern, biss sich auf die Lippe und weigerte sich, dem Meer den Rücken zu kehren um in seinem Selbstmitleid zu ertrinken. „Unsere wenigen, aber schönen Erinnerungen hätten mir Trost spenden sollen, aber stattdessen werden sie mich jeden Tag ein bisschen mehr dahinraffen", flüsterte er enttäuscht und betrachtete die Notizen. Wüsste er den Weg zum Palast, würde er sich sofort auf den Weg machen und um Gehör bitten, sein Anliegen vorzutragen. Nicht alle Menschen waren schlecht, und das konnte er beweisen. Nicht nur durch die detailliert analysierten Märchengeschichten, sondern auch durch reale Begebenheiten, die er dank der Hilfe von Harvey, Clayton und Guiseppe zusammentrug und fein säuberlich sammelte. Zeitungsartikel, Medien, Radio. Die Meerbevölkerung kannte ja nur die schlechten Seiten der Zweibeiner. Und Ezra war fest entschlossen diese Ansicht zu ändern – seine Rasse bestand nicht aus einem Kaleidoskop des Schreckens.

Umweltschutzorganisationen.

Tierschutzorganisationen

Das Prinzip von Adoption, bei dem verwaisten Kindern eine Chance auf Familiengemeinschaft geboten wird.

Meinungsfreiheit.

Versicherungen.

Spenden.

Nächstenliebe.

Seelsorge.

Rettungsschwimmer.

Feuerwehrmänner – ein bekanntes Klischee der Filmindustrie, doch es erfüllt einen Zweck.

Das Bedürfnis nach Zuneigung und Familie.

Es gab so viele Dinge, die die Menschheit auszeichnete und in ein gutes Licht rückte. Natürlich wogen die negativen Aspekte die guten in etwa auf, doch wer war schon perfekt? Die Westen der Meervölker bargen genauso viele Flecken wie die der Menschen.

Traurigkeit durchzog seine Glieder, als sich Ezra an seine wohl ehrlichsten Worte erinnerte, die ihm je über die eigenen Lippen flossen. Und weil diese Bekundung an eine furchtbar liebreizende und alles verändernde Person gerichtet war, verspürte er kein Schamgefühl sie ein weiteres Mal zu zitieren. Womöglich ein letztes Mal. Selbst wenn sie kein Gehör fand und als melancholisches Wiegenlied über die Wellen klang, wie eine verfluchte Poesie.

„Selbst wenn du mich die letzten Tage vergessen lässt, werde ich niemals das Gefühl vergessen was ich spürte, wenn ich bei dir war. Ich werde nicht mehr wissen, dass du dafür der Grund bist, doch ich werde wissen, dass dieses Gefühl aus etwas Besonderem heraus entstanden ist. Wegen jemand Besonderem, den ich wirklich wirklich mag...", schniefte er und krampfte sich an die Zettel, zerknitterte sie achtlos und raufte sich mit der freien Hand an den Haaren, bemüht nicht vor Kummer zu ersticken. Aber sein Herz blutete und rotierte wie eine gesplitterte Schallplatte in die Vergangenheit zurück, an jeden durchlebten Moment an der Seite des Meerjungen und an die kribbelnde Wärme, die er von Ezra stahl. Die elektrisierenden Zärtlichkeiten. Die nächtlichen Gespräche. Der unaussprechliche Drang, einander nah zu sein. Geistig und körperlich. Sinnlich. Auf allen Ebenen.

„Vergiss mich nicht Ocean Eyes...denn ich werde erst aufhören auf dich zu warten, wenn die Sonne nicht mehr aufgeht"

„Beliebt Ihr zu scherzen? Eine derartig gesegnete Lebenszeit der Euren ist mir bislang nicht bekannt gewesen. Womit habt Ihr Euch diese Gunst erschwindelt?", grummelte eine fremde Stimme und zu behaupten, Ezra wäre nicht zu Tode erschrocken aufgesprungen und zu einer hysterischen Furie mutiert, wäre eine Untertreibung. Mehrere Oktaven überspringend kreischte er hell und entsetzt auf, als sich aus der Bucht zu seiner linken eine in schwarz gerüstete Kreatur erhob und unheilvoll die Zähne bleckte. Die stählernen Muskeln protzten nur so, Wasser perlte reibungslos an der dunkel glimmenden Rüstung hinab und Ezra's zittrige Knie gaben unter ihm nach, er sackte wie ein nasser Sack Reis in die Brandung und starrte aus geweiteten Augen das schlangenartige Erscheinungsbild an. Unerwartet keuchte er als sich der vor Kraft und Macht strotzende Körper in gleichmäßigen, schlangenartigen Bewegungen durch das Wasser kräuselte, sich näherte und je weniger Distanz zwischen den beiden Männern lag, desto ruhiger wurde Ezra. Seltsamerweise verstrich der anfängliche Schock und er erlangte das Gefühl seiner Gliedmaßen zurück, gerade rechtzeitig, um den Kopf zu heben. Diese Begegnung war nicht die erschreckendste, die er in seinem Lebenslauf zu verzeichnen wusste.

„W-wer bist du?"

Der einschüchternde Soldat, der sich über die zusammengekauerte Silhouette des verrufenen Menschleins spöttisch ausließ, fletschte die Zähne und genoss die Wirkung, die er auf sein Gegenüber verübte. Es sagte ihm zu, seinen Ruf noch intensiver zu verbreiten und seine Muskeln spannten sich an, während er seine Klauen ausfuhr und die hellen Sonnenstrahlen einen noch schärferen Kontrast zu seiner schwarzen Rüstung bildeten. Dafür lebte er. Für den Schreck und die Angst, die seine Anwesenheit hervorrief. Was er sich von dem Angriff auf den Palast erhoffte war glasklar ein blutiges Gemetzel, Graus und unaussprechlichen Horror. Sollten diese Gelüste in der Menschenwelt gestillt werden, würde der Fremde es sehr begrüßen. Ihn auf Blut warten zu lassen stellte sich mehr als nur ein Dutzend Mal als eine falsche Entscheidung heraus.

„Wenn Euer stumpfsinniger Verstand Euch nicht alsbald zu einer demütigen Anredeformel bekennt und Ihr mir meinen zustehenden Respekt auch nur eine weitere Sekunde verweigert, werde ich Euer wahrlich schlimmster Albtraum. Nur zu, fordert mich heraus und weckt die blutigen Rachegelüste, die ich nach Euch an einem noch viel abstoßenderem Häufchen Elend zu verüben wünsche", grinste der durchtriebene Herrscher und leckte sich die Reißzähne, an denen nun auch Ezra's aufgeschreckte Augen hafteten. Bedrohlich und furchteinflößend wurden sie ihm präsentiert, viel Spielraum für die Gräueltaten zu denen sie imstande waren, blieb dabei nicht. Schluckend und mit vor Trockenheit geplagtem Hals räusperte er sich einige Male, bevor er sich schwach erhob und trotzdem nur zur Brust des Fremden reichte. Die Zettel in seinen Händen knisterten und lockten ihn dazu, sich zu fokussieren und spätestens als sich Ezra das geistige Bild vor Augen führte, wie Cassian in Ketten gelegt und gegen seinen Willen entführt wurde, verhärtete sich seine Miene schlagartig. Der Kerl mit Haiflosse wollte ihn bedrohen und zu einer winselnden Puppe degradieren? Nun, unglücklicherweise lag es nicht in der Natur des Menschen, sein Haupt vor irgendjemanden zu neigen. Und Ezra war passenderweise mit einem unsagbar sturen Dickkopf beschenkt, der sich gegen den Willen des fremden Wesens zu behaupten versuchte. Er würde sich nicht unterkriegen lassen. Nicht mehr. Seine Missgunst zur Risikobereitschaft kostete ihn seinen Gefährten. Ezra zog seine Lektion daraus und schwor sich, nicht mehr den Kopf zu senken. Nein. Man würde ihm zuhören und er würde den Respekt erhalten, den er anderen entgegenbrachte.

„Ich hab keine Angst vor dir"

„Solltet Ihr aber wenn Euch etwas an Eurem Leben lieb ist, Ihr erbärmliche Verschwendung der Evolution", schimpfte der Fremde und wetzte seine Klauen an seiner Klinge, die unheilvoll gezückt auf ihren Einsatz wartete. Zu lange schon, Ezra schmunzelte nur wie von Sinnen, neigte den Kopf und besaß den Mut amüsiert zu verneinen. Die Provokation versuchte er gar nicht erst zu verstecken. „Die Angst solltest du empfinden, Fischmann", meinte Ezra und senkte die Stimme zu einem gleichermaßen, wenn nicht sogar intensiveren, drohenden Unterton: „Ich hab verloren, was mir am Wichtigsten und Liebsten war. Ich weiß ja nicht wie das bei euch gehandhabt wird, aber bei uns in der Menschenwelt läuft das in etwa so ab: man fordert niemanden heraus, der nichts mehr zu verlieren hat. Denn dieser jemand ist gefährlicher als dein inszeniertes Knurren, Fischmann. Ich rate dir also: provozier mich nicht. Du hast keine Ahnung, zu was ich in der Lage bin. Ich hab nichts mehr zu verlieren...und genau das fürchtet deine Rasse so an meiner. Die Unberechenbarkeit"

Dragstor kniff seine Augen zusammen und hob seine scharfen Klauen, spuckte rasend vor Zorn über die mangelnde Ehrerweisung und den verweigerten Respekt: „Sollen dies tatsächlich Eure letzten Worte sein? Abfälliger Spott, Menschenbastard?"

Ezra setzte an etwas zu erwidern, was nach seinem benebelten Verstand sicherlich zu seinem sofortigen Tod geführt hätte, wäre da nicht eine neue Stimme gewesen, die sowohl die Aufmerksamkeit als auch die Feindseligkeiten des schwarzen Fisches auf sich zog. Der bleckte zum wiederholten Mal sein gut bestücktes Mundwerk und wetzte seine stählerne Klinge über den Sand, zerschnitt die unschuldigen Wellen und ließ weißen Schaum auf den Meerkronen tanzen.

„Königliche Hoheit, haltet ein! Der Zweibeiner genießt durch meinen Rang als engster Vertrauter der Königsfamilie das ausgesprochen höchste Schutzrecht!", erboste sich der Unbekannte aus den Wellen und blitzte die haltlose Bestie düster an, obgleich er einen deutlich niedrigeren Rang bestritt als der König vor ihm. Unausgesprochen erinnerten diese Augen an die langwierige Konversation während ihrer Reise, die unzähligen besprochenen Aspekte sämtlicher Geschehnisse, eine mögliche Friedenswahrung und noch viel wichtiger: Herr Èlcalad würde nicht zulassen, dass Dragstor demjenigen auch nur ein Haar krümmte, der für seinen geliebten Sohn eine herausragende Bedeutsamkeit trug. Zu viele Tage verbrachte der gebrochene Vater in Reue und Anteilnahme am Leid seines Kindes, schrieb sich selbst die Schuld für diese erzwungenen Verhältnisse zu und schaffte es nicht, für sich selbst Gnade walten zu lassen. Sein Kind wurde geschändet, psychisch geknechtet und zu einer Anlaufstelle für Spott und Hohn degradiert.

Keine Sekunde länger würde die Vaterliebe hinten anstehen.

Cassian hatte endlich ein Leben verdient, was er sich aus freiem Willen und Herzenswunsch aussuchte. Sollte es nicht an der Seite eines Meerwesens sein, dann würde Herr Èlcalad alles in seiner verbliebenen Macht unternehmen, um die Schuld und das gebrochene Versprechen an seine Frau zurück zu zollen. Selbst wenn es hieß, seinen Sohn ein weiteres Mal ziehen zu lassen. Ein letztes Mal, in die Arme eines jemands, der ihn so sehr vergötterte wie er es verdiente. Die ozeanblauen Augen würden keine Demütigung und Zwangsfusionen mehr erdulden zu haben. Cassian sollte glücklich sein. Und ein selbstloser Vater, der sein Kind mehr liebte als etwas anderes, würde zu diesem Zweck nicht vor Gewalt zurückschrecken. Auch nicht Herr Èlcalad, dessen Ansinnen des Friedens zweifellos ein Teil seiner gutherzigen Seele war. Doch wie jede Medaille barg das Gemüt eines jeden eine dunkle Seite, die sich nur unter extremen Bedingungen zeigte. Kein Lichter beherrschte die Schwertkunst so meisterlich und kunstvoll wie die talentierten Hände des einstigen Bauern – und Dragstor wusste dieses Detail besser, als ihm lieb war. Nicht selten wurden die Künste des Lichten von seinen eigenen Fechtern gelobt, es wurde sogar hin und wieder gemunkelt, schattenartige Dämonen regierten über diese beiden Hände, die als Rarität galten. Heimgesucht vom Geiste Melostan's führten die Hände präzise und absolut tödliche Hiebe aus, wie sie selbst Dragstor nicht makelloser zustande bringen mochte.

„Der Narr wagt es, meinen Namen mit Spott und Schalk zu besudeln!", knurrte Dragstor angriffslustig und packte den beflissenen Menschen am Kragen seines Hemdes, riss ihn an sich und sein erhitzter Atem traf auf Ezra's Wangen, die sich unwohl erwärmten und zu kribbeln begannen. Nervosität suchte ihn heim, das konnte er nicht leugnen und der starre Blick der beinahe schwarzen Augenperlen bohrte sich siedend in ihn. Doch bevor die Situation zwischen den beiden Feinden gänzlich ausarten konnte, unterbrach Herr Èlcalad die Blickduelle erneut und dabei floss unverkennbar Angst in seine Stimme mit ein. Angst um den Menschen, der in seiner gebannten Stimmungslage die ausgefahrenen Krallen des Dunklen jeden Moment zu verspüren drohte. Angst vor dem König der Monster, der seinem fatalen Ruf voraus eilte und keine Bedenken hegte, wenn er dem Zweibeiner sein Schwert bis zum Anschlag in die Brust stoßen würde. Dadurch würde er immerhin endlich in den lang ersehnten Genuss von Blut kommen. Blut, Horror und Todschlag.

„Hoheit!", ersuchte Herr Èlcalad am Ende mit seiner Geduld um Dragstor's Gehör und schluckte schwer. Sein Herz klopfte und trotz der aufgehenden, intensiven Sonneneinstrahlung verspürte er nur bleierne Kälte in seinen Gliedern. Jede Bewegung schien ihm schwerfälliger auszuführen und – oder schwanden seine letzten Energiereserven, während er den reglosen Körper in seinen Armen unweigerlich fester hielt? Er durfte ihn nicht fallen lassen. Die Mutter wäre noch im Reich der Geister bitter böse und enttäuscht über den Bruch des Schwurs.

„Lebt Euren Zorn an einer undankbaren Seele aus, doch nicht am Gefährten des-"

Dragstor stieß einen undefinierbaren Laut aus, verrenkte seinen Kopf und schnitt dem deutlich kleineren Fischwesen wütend den Satz in der Luft ab: „Versucht meinem Gemüt Grenzen zu setzen, und mein Schwert durchtrennt Eure armselige Kehle noch bevor die Sonne gänzlich aus dem Schlaf erwacht!". Gegenspruch war er nicht gewohnt, im dunklen Reich getraute sich niemand auch nur eine Silbe gegen das Wort des Herrschers auszusprechen. Die Drohung polterte regelrecht über die friedliche Landschaft, zerriss das harmonische Rauschen der Brandung im Hintergrund und holte den Menschen aus seiner Trance zurück. Ezra, dem das plötzliche Auftauchen zweier Fischmenschen –auf einmal!- nicht geheuer war, zumal einer der beiden definitiv keine guten Absichten hegte und nach einem Toten verlangte, wandte sich an den weniger aggressiven Fremden und es reichte dieser Bruchteil eines Herzschlags, um den scharfen Splittern in seinem Inneren Narrenfreiheit zu erlauben, als er sah was sich ihm bot. Wie die Splitter der Granaten, die sich unweigerlich auf Tony's Herz zubewegten, setzte ihm der Anblick zu. Genauso still und unerkenntlich lauerte das böse Erwachen auf Ezra, schlich sich näher und näher, bis es letztendlich passierte und er einen regelrechten Fausthieb in seinem Magen spürte.

Cassian war endlich zurückgekommen.

Allerdings nicht mit dem heiß ersehnten, lieblichen Grinsen und auch nicht mit leuchtenden ozeanblauen Augen, die sich gierig in den korallbraunen Farben verloren und zu einem Strudel bunter Farben verschmolz.

Nein.

Bei Sonnenaufgang sehen wir uns wieder.

Das Versprechen der Gefährten fand Erfüllung. Nach viel zu langer Zeit benetzte die intensive Sonnenstrahlung ihr beider Antlitz wieder, vereint und doch so unendlich fern voneinander. Ezra stürzte Hals über Kopf in's Meer zu dem großgebauten, schlanken Meermann, in dessen Armen der bekannte Junge mit flossenartigem Unterleib getragen wurde, und ignorierte die Kälte des morgendlichen Wassers, die seine Klamotten tränkte und sich an ihn haftete wie flüssiger Honig. Die Sonne warf gleißendes Licht auf die Gestalten aus der anderen Welt, tauchte sie in schillerndes Strahlen und während Dragstor missmutig mit den Zähnen knirschte, glaubte Ezra zu erfahren, wie sich ein Todesstoß anfühlte. Brutal. Kalt. Heiß. Auf allen Ebenen fühlte er die Pfählung seines Herzen. Der Todesstoß, den schon viele Protagonisten seiner Mordgeschichten in ein Grab beförderte.

Er erlebte ihn gerade am eigenen Leib. Bitter, real und gleichzeitig unfassbar süß.

Cassian war zurückgekommen.

Aber...anders.

Paralysiert gaben Ezra's Knie unter dem Gewicht nach, ließen ihn achtlos in die Wellen sinken und es war der mütterlichen Sorge des Ozeans zuzuschreiben, dass der Mensch sicher aufgefangen wurde. Nicht, weil das Meer Mitleid empfand für ein Lebewesen der Rasse, die die Naturgewalt unaufhörlich versuchte zu zähmen. Nein, mitnichten. Der blaue Ozean schenkte dem Feind lediglich entgegenkommende Fürsorge, weil sein liebstes Kind tiefe Gefühle für den Schwarzhaarigen hegte. In einer Welt gefüllt mit auferlegten Pflichten und genötigtem Verantwortungsbewusstsein symbolisierte der Mensch eine süße Rückzugsmöglichkeit vor der Realität. Er bot dem Meerkind bedingungslose Zuneigung und verwendete die anvertrauten Reichsgeheimnisse nicht gegen ihn. Hörte Cassian zu, konnte gar nicht genug davon kriegen. Umwarb den schüchternen Meerjungen mit seinem charismatischen Charme und verzauberte sein Herz mit nichts weiter als ein bisschen Ehrlichkeit.

Cassian liebte Ezra, und deswegen nahm sich das Meer seinem Wohl ebenfalls an. Der Ozean barg tiefere Zuneigung für den Jungen mit den ozeanblauen Augen als für ein anderes der Geschöpfe, die sich im blauen Nass tummelten. Cassian's Wesen war geprägt von Selbstlosigkeit, Opferbereitschaft und einem unbrechbaren Sinn für Zusammenhalt. Loyalität. Sanftmütigkeit. Für diese Werte wurde er von den Göttern reich beschenkt.

„C-Cassian...", flüsterte Ezra völlig aufgelöst und streichelte mit schlotternden Händen über die blassen Wangen, strich ihm die nassen Haarsträhnen feinfühlig aus dem hübschen Gesicht und...wusste nicht, ob er sich in einer weiteren endlosen Spirale von Albträumen festlief – es war die einzige logische Erklärung hierfür, für Cassian's erblasste Silhouette und die ermatteten Farben, die noch vor Wochen prächtiger erstrahlten als der Regenbogen selbst. Jetzt...jetzt fürchtete Ezra, durch eine simple Berührung durch seinen Gefährten hindurch zu greifen, ihn zu vertreiben als wäre er flüchtiger Nebel der sich an nichts binden vermochte. Cassian wirkte so erschöpft, zu überwältigt von dem, was auch immer ihm fern von Ezra zugestoßen war. Ezra schluckte und bemerkte nicht, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Er fürchtete immer schon, seit der Trennung, dass Cassian zu ihm zurückkehrte und bereits wieder im Begriff war zu gehen, noch bevor Ezra ihn zum Bleiben überreden konnte. Nach der ersten Realisation schwante Ezra dasselbe: eine geisterhafte Erscheinung, traumhaft schön und so haltlos wie silberner Nebel, die in sein Herz eindrang und in allerlei Hinsicht ihre Spuren hinterließ.

Voller Klage und unfassbarem Schmerz fanden Ezra's Augen die des dunklen Herrschers, der den beiden vereinten Gestalten argwöhnisch zusah und den weiteren Verlauf der Dinge abwartete. Ruhig, eine Spur zu neugierig für seinen verschrienen Ruf als kaltblütigen Massenmörder, interessiert. Der Mythos der Seelenbindung hatte ihn bislang unberührt gelassen, wurde im gesamten dunklen Reich als Märchenerzählung abgetan, an der kein Funke Wahrheit haftete. Doch jetzt, mit dem untröstlichen Blick des Menschen und dessen zurückgehaltenen Schluchzern, überdachte er seine Ideologie. Fand sich selbst mit Anflügen von Zweifeln wieder, die sich auf sein Gemüt auswirkten und die scharfen Krallen aus seinen Fingern einfuhren ließen. Gab es eine ernst zu nehmende Möglichkeit, die diese Thesen als real befürworteten? Der König der Monster runzelte die Stirn und warf Herr Èlcalad einen forschen Blick zu, dessen Antlitz allerdings mit trostloser Wehmütigkeit überzogen war. Er litt offenbar an seinem langsam entschwindenden Sohn, der die gehütete Identität seines engsten Vertrauten niemals in einem anderen Licht sehen würde. Für ihn würde er als Vertrauter der Königin, als guter Freund von Cassian in Erinnerung bleiben. Nicht mehr, nicht weniger.

Dass der Tod eines einzigen Fischleins solch einen Affekt auf Lebewesen beider Welten ausübte, bestätigte Dragstor seine Vermutungen. Herr Èlcalad hätte dem Jungen zu keiner Zeit, unter keinen Umständen den Rücken gekehrt. Weder tat er es damals, noch zu einem anderen Zeitpunkt. Er war sein Vater, pure Vaterliebe pulsierte durch seine Venen und pure Vaterliebe war es, welche die schuldigen Gedanken überdeckte.

Herr Èlcalad wandte sich gegen den Palast und das dahinter stehende Volk, bekehrte sich offen zu seinem einzigen Nachkommen und genau diese bedingungslose Fürsorge bewegte ihn zu einem Volksverrat. Verantwortungsbewusstsein keimte in ihm auf, welches lange Jahre hinweg verborgen schlummerte und er nicht zeigen durfte. Er versprach Cassian's lieber Mutter, auf das Kind aufzupassen. Wenn er dadurch die Strafe in Form einer Verbannung oder schlimmer auf sich nehmen musste, nahm er es protestlos in Kauf. Ausgesprochen alles, womit seine Loyalität gestraft werden könnte. Cassian verdiente nach den Erniedrigungen und den psychischen Folterspielchen Glück und am wichtigsten: ein Zuhause, in dem er sich auch tatsächlich willkommen und geschätzt fühlen durfte. Sein Zuhause. Und dieses Zuhause, so verstand der Meermann, wartete nicht im Meer.

Wortlos neigte sich Herr Èlcalad vor und bettete den Jungen mit den ozeanblauen Augen sanft in die Arme des Menschen, dem die Nähe zu seinem Gefährten unsagbar gefehlt hatte. Ihn aber so kalt, so teilnahmslos an sich zu drücken, bewegte ihn zu kummervollen Tränen. Mit einer Mischung aus Entgeisterung, Schock und Sehnsucht flossen salzige Perlen über seine Wangen. Ezra konnte es nicht glauben. Cassian war hier. Und gleichzeitig war er es nicht. Sein Verstand ertaubte und doch hatte er noch nie so viele Gedankenwirbel hinter seiner Stirn pulsieren gefühlt. Seine Hoffnungsfunken, die sich entzündeten als er die Silhouette erstmals erspähte und ihm ein erleichtertes Japsen entlockten, verglühten schlagartig, als habe man eine Kerze in Wasser geworfen und ihr das Licht gestohlen. Da war kein Junge mit ozeanblauen Augen, der Ezra strahlend anlächelte und dabei der Sonne die Show stahl. Kein niedliches Grübchen Lächeln. Keine Bitten, einen der himmlischen Küsse genießen zu dürfen.

Cassian wachte nicht mehr auf.

Und in Ezra zerbrachen die bröseligen Überreste seines Herzens zu einem Haufen aus Schutt und Blut.

„Er...er hat euch nie Böses gewollt", schniefte der Schwarzhaarige untröstlich und hielt den Körper seines Gefährten instinktiv näher an seine Brust, drehte sich weg als Dragstor eine heranrollende Welle durchschwamm und den Abstand zu dem Paar verringerte.

„Eure verdammten Gesetze sind abartig, einfach zum Kotzen. Er hat mir das Leben gerettet...u-und dabei seins weggeworfen – wieso muss er bestraft werden, wenn er eine gute Tat vollbringt? Wieso hat ihm denn keiner geholfen? Ich dachte, b-bei euch Fischen trägt Familie und Zusammenhalt Bedeutsamkeit...wieso habt ihr nicht auf ihn aufgepasst? T-Cassian, bitte...bitte wach auf, o-okay? D-da ist noch so viel, was ich dir zeigen und sagen muss...l-lass mich nicht allein, es tut mir leid", weinte der Mensch unaufhörlich und verstrickte seine Gedanken immer weiter in heilloses Chaos, sank tiefer in seine Reue und klammerte sich krampfhaft an die zierliche Statur des anderen. Erschreckend bemerkte er das abgemagerte Häufchen Elend erst jetzt, tastete vorsichtig danach und schniefte herzzerreißend laut auf. Er hatte so viel Angst um Cassian's Zustand und gleichzeitig das tiefe Bedürfnis, der heimtückischen Fratze des schwarzen Wesens den feixenden Gesichtsausdruck auszuprügeln.

Ezra war wütend.

Ezra war traurig.

Ezra wollte etwas kaputt schlagen, seiner Rage Luft machen und sich an jedem rächen, wegen dem sein Gefährte wie ein wandelnder Geist aussah. Viel zu blass, als das er noch als ästhetisch gelten könnte. Diese Blässe war nicht normal, zeugte von schwerwiegendem Trauma und einem erloschenen Selbsterhaltungstrieb. Ja, Ezra verspürte so viele Emotionen in sich, dass er überfordert die Stirn auf Cassian's senkte und ihn flüsternd anflehte, aufzuwachen.

„Cassian, h-hör zu...bei Sonnenaufgang t-treffen wir uns wieder..."

Aber Cassian zeigte keinerlei Form der Reaktion.

Herr Èlcalad, der wortlos Ezra's zärtliche Gesten beobachtete, spürte einen Stich in seiner Brust. Es war echt. Dieser Mensch, von seinem Kind geliebt und dem Rest des Reiches als Mörder und habgierigen Schänder der Natur verrufen, vergoss Tränen, deren Ursprung nicht Heuchelei oder falschem Schauspiel entsprangen. Diese Tränen galten dem armen Gefährten, der friedlich und ohne Schmerzen in seinen Armen schlief. Der königliche Vertraute, inzwischen gesuchter Volksverräter, wusste keine Worte, die dem verzagten Menschlein Trost spenden zu vermochten. Was sollte er sagen? Herr Èlcalad konnte sich mit Ezra bestens identifizieren, verstand die nicht enden wollenden Tränenflüsse und die schier besessene Uneinsichtigkeit. Wie er sich weigerte, der Realität in's Auge zu blicken und zu akzeptieren, dass er die ozeanblauen Augen seines Meerwesens nie mehr wieder bewundern dürfte. Herr Èlcalad sah eine Reflektion seiner Selbst in dem Menschen, damals vor beinahe 20 Jahren fristete er seine einsamen Tage getrennt von Frau und Kind nicht weniger niedergeschmettert ab, beweinte seinen Verlust viele Monate und noch heute schmerzte ihn dieser Teil der Vergangenheit.

Herr Èlcalad verstand Ezra besser als irgendjemand sonst in der Lage wäre, den Verlust nachzuvollziehen. Der Vater wünschte sich ein gutes und geliebtes Leben für seinen Sohn, egal an welcher Seite dieser Wunsch sich erfüllen möge. Ob Cassian nun unter Wasser mit einer Flosse sein Glück fand, oder die angeborenen schillernden Schuppen für ein Paar Menschenbeine tauschte, trug keinerlei Bedeutung. Solange er lebte und seine Vergangenheit mit Frieden hinter sich lassen konnte, nach vorne blickte und nichts bereute.

Cassian wurde von den kühlen Wellen versucht aufgeweckt zu werden aus seinem friedlichen Schlaf, der Ozean kräuselte sich aus elendiger Misere und schlug aufgebrachte Wassertürme übereinander, stapelte die tanzenden Meerkronen und jagte sie mit einem Wellenbrechen hinab in die Tiefen, wo sie zerfetzt wurden und aufhörten, zu existieren. Die Gewässer und Meergeister jaulten huldvoll auf, bäumten ihre verzweifelten Gemüter und wirbelten tosende Wassermassen in hektischem Chaos umher, denn ihr liebstes Kind entglitt dem Leben und schwand in die ewige Dimension der Geister, zu denen niemand außer den Toten Zutritt gewährt wurde.

Das schönste Kind der Meere schlug die Augen nicht auf.

„D-das ist unser Sonnenaufgang...s-sieh dir mit mir an, wie schön er ist", bat Ezra heiser und drückte Cassian's leblosen Körper inniger an sich, wiegte ihn sanft vor und zurück und versuchte sich einzureden, sein Gefährte würde jeden Moment aus einem bunten Traum erwachen. Falsch. Wohl eher war es ein Traum, dass Cassian nicht mehr in diesem Leben aufwachen müsste. Zu viel hässliche, bedrückende Spuren hinterließ dieses Leben an ihm. Dort wo sich seine Seele jetzt befand wartete Ruhe auf ihn, keine Schmerzen die ihn quälten und...Stille. Entspannt lag er da, in seinem letzten Ruhebett, welches die Arme des Zweibeiners bildeten. Entspannt und ohne Schmerzen.

Und Ezra, dem der Ernst der Lage allmählich durch die verschleierten Wiegenlieder hindurch sickerte, hob mit verweinten Augen den Kopf und strafte beide Meergeschöpfe mit reinem Ekel in seinem Blick. Abscheu. Verbitterung. Hoffnungslosigkeit. Furchtbare Anklagen, die ihnen vorgehalten und vorgeworfen wurden. Er holte leise Luft und quetschte zwischen seinen zurückgehaltenen Schluchzern tonlos hervor: „Wieso hat er sich für euch ignoranten Deppen bloß so eingesetzt? Ständig hat er sich für seine Rasse stark gemacht und nichts als Nächstenliebe gezeigt, selbst für den widerlichsten Abschaum fand er liebe Worte, und mit welchem Ergebnis? Er...", seine Stimme versagte und der Schwarzhaarige schniefte einige Male mit trockener Kehle, bevor er Dragstor direkt in seine unerweichliche düstere Mimik sah und freiweg seine unverhüllte ehrliche Meinung sprach, mit einer enormen Wucht flogen die bewahrheiteten Worte an die Ohren der Meerwesen und bewirkten Enormes. Tief drinnen, in den Gemütern seiner Gegenüber, veränderte sich etwas.

„...liegt tot in meinen Armen. Ihr habt mir das Liebste genommen, ich hab ihn vermisst und jede Nacht für ein Wunder gebetet, trotz eurer beschissenen Gesetze, für ein Wiedersehen...aber nicht so"

Ezra schüttelte den Kopf, biss sich auf die Lippe und wandte seine Aufmerksamkeit zurück auf seinen Gefährten, dessen Anblick eine weitere Welle der Bekümmernis und der Traurigkeit auslöste.

Cassian war hier.

Und gleichzeitig furchtbar weit weg. An einem Ort, an dem Ezra ihn nicht aufsuchen könnte.

Ein Schatten vor sich fing die wärmenden Sonnenstrahlen auf und tauchte die Kinder der Welten in gedämpftes Licht, und bevor Ezra Cassian in Sicherheit bringen konnte, vernahm er das Knurren des muskulösen schwarzen Königs über sich, der den anderen Fischmensch zu sich zitierte. „Meine Geduld neigt sich dem Ende zu, zudem ist dieses närrische Schmierentheater nicht von Interesse für mich. Ich will endlich Blut sehen", meldete er seine unaufhörlich wachsende Neigung für die grausame Gewalt an und holte zwei Gegenstände aus den Tiefen seines Umhangs, warf eines Herr Èlcalad zu und den merklich kleineren, filigraneren platzierte er in Ezra's Obhut. Fletschend beugte er sich zu dem kümmerlichen Wicht und fuhr demonstrativ seine Klauen aus, hielt sie nachdrücklich vor sein Gesicht und ließ die reflektierten Sonnenstrahlen auf das dunkle Fläschchen fallen.

Ezra drückte Cassian schutzsuchend an sich und wich zurück, um nicht Gefahr zu laufen den Zorn des gereizten Mannes auf sich zu ziehen. Dragstor dagegen fauchte und schlug mit seinem Unterleib auf die Wellen, verschaffte sich somit die ungeteilte Aufmerksamkeit beider Anwesenden und offenbarte dem jämmerlichen Geschöpf vor sich mit unverkennbar geringer Geduld: „Missversteht meine Großzügigkeit nicht als einen Akt der Freundschaft, Menschenspross. Ihr widert mich an, in jeder erdenklichen Weise und wäre Euer Haupt nicht mit einem royalen Ausspruch des Schutzes gesegnet, würde das habgierige Köpflein längst als Vorgeschmack für meine hungrigen Haie dienen. Doch für diesen Tag wollen wir ohne Handgreiflichkeiten auseinander gehen, denn an Eurem Wohl knüpft der Handel an, den ich einging um den Namen eines törichten Wichts zu erhalten der glaubte, er könne sich über mich hinwegsetzen". Der König der Monster brodelte an diesem Punkt vor Rachsucht und Ezra, mit dem fremden Fläschchen in der Hand, verstand gar nichts mehr. Von welchem Handel war die Rede? Inwiefern betraf es ihn? Er war doch nur ein Mensch ohne Hab und Gut, was sollte er Wertvolles geben können um eine auferlegte Schuld zu begleichen?

Sichtlich verwirrt runzelte er die Stirn und wollte sich nach dem Hintergrund dieses unaufgeforderten Geschenks erkundigen, doch der Dunkle kam ihm erneut zuvor und hob mahnend eine Braue. Sofort biss sich Ezra jegliche Kommentare ab und senkte demütig den Kopf, wollte die offensichtlich kurz gesonnene Stimmung seines Gegenübers nicht unnötig reizen. Was wohl die richtige Entscheidung war, denn als letzte Erklärungen erhielt er etwas, was ihm das Herz beschleunigte wie 5 Dosen Red Bull auf Ex.

„Meine Titel reihen sich lang. Die Skrupellosigkeit in Person, Verfechter von Graus und Angst, gefürchtet noch vom jüngsten Sproß der lichten Meerhälfte. König der Monster. Obszöne Gestalten, viel zu scheußlich als das Ihr Menschen beim bloßen Gedanken an sie Euren selbstverliebten Verstand wahren könntet. Mein Vater liebte die Blutrünstigkeit und den Horror, den seine bloße Erscheinung hervorrief. Irgendwann empfand er diese Leidenschaft für einen der Euren, für eine Menschenfrau, und als ihm diese auf hinterlistige Weise geraubt wurde, schlachtete er seinen besten Freund ab. Meinem Gemüt wäre diese Vergangenheit gleichgültig gewesen, doch als ich provokante und äußerst abfällige Nachrichten erhielt, die sowohl meine als auch die Ehre meines Vaters bitter kränkten, involvierten sie mich. Mein Vater wurde in diesen Botschaften als Verräter beziffert, dem der Tod unausweichlich bevorstand...ich nahm an, der Spross in Euren Händen verfasste sie aus Gram darüber, dass er von Euch getrennt wurde. Jedoch berichtigte Herr Èlcalad meine falschen Wahrheiten und so stellte sich heraus, dass es in den Reihen der Lichten einen Verräter gibt, der einen Krieg provozieren zu versuchte indem er sich über mich stellte und meine Wenigkeit als Spielfigur geschickt platzierte. All diese närrische Inkompetenz aus dem Verlangen heraus, funkelnde Edelsteine auf dem Haupt zu tragen...welch törichter Bastard", schmunzelte der König der Monster vorfreudig auf die Strafen und leckte sich grimmig die Lippen. „Um die Menschenfrau an sich binden zu können, erschufen die talentiertesten Gelehrten und machtvollsten Götteranbeter beider Meerreiche ein Elixier zur Gestaltwandlung, für welches mein Vater jedoch keinerlei Verwendung mehr wusste. Ich für meinen Teil sehe mich nicht in Notwendigkeit für die gebrauten Tröpflein, zu sehr missfällt mir der bloße Gedanke inmitten Euch widerlichen Kreaturen zu sein. Es gehört ab sofort Euch und steht uneingeschränkt zu Eurer Verfügung, Menschenspross, und damit betrachte ich ausnahmslos alle Schuldzuweisungen, die das Prinzlein mir gegenüber niemals geltend gemacht hat, als rechtmäßig zurück gezollt"

Ezra wusste gar nicht, wie viel er von dieser Geschichte glauben sollte, doch es war nur ein Detail, was sein Herz zum Rasen brachte. Elixier zur Gestaltwandlung. Aufgeregt klappte ihm der Mund auf und als sich Dragstor von ihm ab- und Herr Èlcalad zuwandte, hielt Ezra ihn bittend an seinem Umhang auf. Was ihn ritt eine so mächtige Erscheinung wie ein Kind am Stoff zu fassen, konnte er nicht sagen, doch entgegen dem glühenden Blick auf seine Gestalt betonte er mit Ehrlichkeit: „I-ich danke Euch. U-um Euren Vater und seinen Verlust tut es mir leid...und um die Respektlosigkeit, mit der ich Euch kein gutes Bild von mir präsentierte"

Denn ja, er musste sich einfach entschuldigen. Dieser Fremde legte ihm den Schlüssel all seiner Probleme in die Hände, so als wäre es ein einfacher Schokokeks vom Supermarkt um die Ecke, und aus diesem Grund verneigte der Mensch voller Anerkennung und Dankbarkeit sein Haupt vor dem König, der die Geste mit einem etwas besänftigterem Tonfall zur Kenntnis nahm und ihm bedeutete, keine Zeit zu vertrödeln. „Schätzt Euch glücklich, nicht als Haifutter zu enden. Abschaum wie Ihr verdient meine Hilfsbereitschaft nicht"

Dann wandte er sich Herr Èlcalad zu, neigte den Kopf und verlangte stumm nach dem Einhalten ihres Handels. Das Leben des Kindes gegen den Namen des Verräters. Dragstor kümmerte es nicht, was der Junge mit den ozeanblauen Augen in der Welt der Menschen von nun an anstellen würde, denn für das Amt eines Regenten besaß er nie das nötige Durchhaltevermögen oder die Ernsthaftigkeit. Sein Gemüt zeugte von zu großer Nachsichtigkeit die, wie von Ezra erwähnt, nicht nur in der Menschenwelt als Schwäche ausgenutzt wurde.

Herr Èlcalad schluckte und hielt die Zettel vor sein Gesicht, welche Ezra zuvor achtlos fallen ließ. Gerade noch rechtzeitig fing der Vertraute sie auf und während der Mensch seinen Gefährten beweinte, studierte der gescheite Meermann die Abschriften. Und er reichte sie nun dem König der Monster weiter, zusammen mit den Worten: „Dieser Mensch scheint tatsächlich eine Ausnahme darzustellen. Bitte, geduldet Euren Blutdurst wenige Momente und schenkt den Schriften Aufmerksamkeit, die er anfertigte. Zusammengetragen aus Märchengeschichten, der Historie unserer Reiche und all dem, was sein intelligenter Verstand zur Klärung der Feindseligkeiten beisteuerte...er weiß um Lösungen, auf die weder Ihr noch ich je gestoßen wären. Uns fehlte die menschliche Perspektive, und nun besteht die Möglichkeit einer kontinuierlichen Umstrukturierung, Verbesserungsprozessen und sofern ich all die Thesen richtig deute, steht einem Friedensschluss zwischen den beiden verfeindeten Welten nichts mehr im Wege"

Dragstor, der mit jedem weiteren erklärenden Satz neugieriger zu werden schien, riss die Zettel mürrisch an sich und las sie fein säuberlich durch. Dass ein Zweibeiner mit der Intelligenz und dem Intellekt der höchsten Gelehrten der Meere mithalten konnte – davon wollte er sich schon selbst überzeugen. Und während er Einblick in die menschliche Psyche errang und nickend ein Zeichen der Anerkennung von sich gab, je mehr der Notizen er auf Wahrheit und Eingängigkeit prüfte, wandte sich Herr Èlcalad zurück zu seinem Kind, das in dem Griff des Menschen ruh-

Herr Èlcalad stockte.

Sein Sohn war fort.

Auch der Mensch kauerte nicht mehr in der Brandung.

„Herr...", hauchte er und schaffte es nicht, den Blick von der Szene zu lösen, die sich ihm in einiger Entfernung bot. „...gleich was die Geschichten und Gerüchte Euch für einen Ruf erteilen...mich habt Ihr auf ewig von Eurer überwältigenden Gnade überzeugt"

„Meine Klinge zögert nicht, Euch diese erniedrigenden Worte des Spottes ein für alle mal auszutreiben!", fauchte der Herrscher und bleckte die Zähne, konnte er mit den netten Komplimenten doch rein gar nicht umgehen. Er liebte Blut und die Schreie seiner Opfer, in seinem Herzen schlummerte kein bisschen Nachsichtigkeit oder gar Gnade. Nein. Er überreichte dem Menschen das Elixier lediglich aus zwei nüchternen, sehr strategischen Hintergedanken: es besiegelte den Vertrag mit dem Lichten und würde ihm den Namen des Verräters sicherstellen. Zudem wurde ihm das Fläschchen über die Jahre hinweg zu einer Last, er würde es sowieso niemals einsetzen. Wozu sich in die Reihen des Feindes mischen, wenn er einen Kampf ohne seine starke Flosse nicht gewinnen würde?

„Macht, wie Euch beliebt", flüsterte Herr Èlcalad mit einem so überwältigendem Lächeln auf den Lippen, dass er fürchtete, sein Gesicht würde dem Druck nicht standhalten und zerfließen müssen. Zerfließen wie sein Herz, das vor Rührung und emotionaler Intensität heftig pochte wie noch nie zuvor. Die beiden Meerwesen verhielten sich ruhig und beobachteten aus sicherer Entfernung, wie die zwei Gestalten am Strand sich eng umschlungen in den Armen lagen und der Schwarzhaarige nach einem lang ersehnten Kuss der Zuneigung aufstand. Cassian's kristallblaue Haare glänzten voller Intensität in der aufgehenden Sonne, selbst Dragstor wurde in den Bann der farbenprächtigen ozeanblauen Augen gezogen, die über und über mit Glückstränen besprenkelt leuchteten. Endlich wieder. Als Beigabe für den neuen, noch fremdartigen Körper benetzte das mütterliche Nass den Blauhaarigen mit den reinsten funkelnsten Schaumkronen, die sich zärtlich über die sonnengeküsste Haut vortasteten und unter Wirkung von Magie zu einem edlen Geflecht aus Perlen, Perlmutt und seidigem weißen Stoff verschmolzen. Die verschnörkelten Runen, die durch die Stoffe hindurch schimmerten und leuchteten wie Himmelssterne, bewegten Dragstor zu einem überraschten, jedoch zufriedenstellenden Nicken. Poeten und Schriftsteller erträumten sich den umwerfenden Charme dieses Kindes nicht – es war alles real. Der Zauber der dieses Geschöpf bewohnte. Die prachtvolle wiedergefundene Gesundheit, die seine Kräfte aufrecht erhielt. Die Gefühle für das Wesen aus der anderen Welt, die es nur zu gern ausleben möchte. Das schönste Kind der Meere strahlte so viel Liebe und reinste Anmut aus, richtete sich noch etwas wackelig auf die Beine und Herr Èlcalad könnte nicht glücklicher sein. Wann war es seinem Sohn vergönnt, mit solcher Ehrlichkeit Freude zu empfinden? Sie zu leben, zu genießen wie die Sonne die Gunst beider Welten genoss? 

„Mein Kind ist Zuhause", freute er sich mit glühenden Wangen und es war Dragstor - ausgerechnet er - der sich argwöhnisch erkundigte: „Werdet Ihr Eure Identität weiterhin mit dem Vorwand des Vertrauten verhüllen?"

Er nickte. „Es ist besser so. Ich möchte nicht, dass er sich zwischen dem Menschen und mir entscheiden muss. Er ist mir nichts schuldig und ich wäre ein schlechter Vater, würde ich mein Kind dorthin zurücknehmen, wo man ihm nach den Leben und der Macht seines Nachnamens trachtet. Deshalb ist es in Ordnung. Ich liebte und versprach mich dem Wohl meines Kindes bei der Nachricht meiner Trächtigkeit", erzählte der Vertraute und seufzte, bewegt von dem harmonischen Funktionieren der Weltenkinder. Cassian hatte es augenscheinlich rasch gemeistert, auf den noch gewöhnungsbedürftigen Beinchen sein Gleichgewicht zu erlangen und langsam, aber dafür umso konzentrierter, wagte er kleine Schritte.

Die ersten Schritte durch den warmen Sand, mit Beinen statt seiner beschuppten Flosse.

Kleine Schritte, die ihn geradewegs in Ezra's herzlich empfangende Arme trugen.

Die Freude und die damit freigesetzten Endorphine erstickten die zwei regelrecht, trieben verruchte Spielchen mit ihrem Verstand und trotzdem wussten beide, dass sie es geschafft hatten. Cassian lebte und verflocht seine Finger mit denen seines Liebsten, sank furchtbar beruhigt in die Umarmung und erwiderte sie umso stärker. Das er diesen Tag jemals erleben dürfte, hätte er nicht mehr erwartet. Aber hier war er.

Der Sonnenaufgang, der beide Kinder in ihrer schrecklich vermissten Zweisamkeit herzlich begrüßte.

Ezra's Brust schwoll mit aufgedrehten Liebesschmetterlingen an, bis über beide Ohren erstrahlte sein bezauberndes Grinsen und Cassian erwiderte die Geste mindestens genauso fröhlich. Wortlos, zu einem späteren Zeitpunkt hätten sie genügend Gelegenheit zu reden, umschlang Ezra die Hüfte seines Gefährten, zog ihn eng an sich und tat das, wovon er seit unzähligen Wochen fantasierte. Er schloss die Augen, neigte sich vor und summte euphorisch vor sich hin, während die Schönheit aus dem Meer den Kuss erwiderte. Liebevoll, langsam und so betörend real. Das hier war kein geistiges Trugbild. Cassian stand vor ihm, in seinen Armen, und küsste ihn wie ein sich auf Wanderschaft befindender Reisender, der endlich am Ziel ankam.

„Seine Mutter könnte nicht weniger stolz auf ihn sein", meinte Herr Èlcalad und verspürte keinerlei Trauer, als er an seine Liebe dachte. Sie handelte nicht aus entschlafener Liebe zu ihrem Mann, als sie Cassian als Säugling mit sich nahm. Beide Elternteile wussten, dass dies die einzig richtige Entscheidung war, dem Kind ein Leben mit unzähligen Möglichkeiten zu bieten. Und jetzt, am Ende dieser beschwerlichen Reise, durfte der Vater das gleiche verliebte Lächeln bei seinem Kind sehen, welches sein eigenes Antlitz vor Jahrzehnten erfüllte. Wie die Runen vor Liebe strahlend pulsierten, ausdrückten wofür verbale Äußerungen nicht genug wären und wie beflügelnd die vermisste Zweisamkeit ihre Herzen hob. Elektrisierende Küsse. Schmachtende Blicke. Stumme Liebeserklärungen, die ihre Lippen besiegelten. Ozeanblaue, funkelnde Perlen die in korallbraunen Augen alles erblickten, was sie begehrten. Liebe. Zuhause. Eine Zukunft an der Seite der Person, die aus freiem Willen auserkoren wurde.

„Seht nur, wie glücklich die beiden sind"

Dragstor verzog spöttisch das Gesicht. Diese emotionalen Begebenheiten widerten ihn an, während das Gelüst nach Gewalt unweigerlich stieg. Er war eben kein Geschöpf das Zärtlichkeiten um sich brauchte oder gar wollte. „Ich habe meinen Teil des Handels erfüllt. Das Leben des Kindes ist gerettet. Nun nennt mir den Namen meines Opfers, dem ich die Rippen einzeln und langsam aus seiner Brust brechen zu wünsche"

„Unter Umständen würde ich mich zu zwecklosen Bitten erniedrigen, jedoch bezeugt Eure willensgute Seite eine Schwäche, die mir die Furcht vor Euren leeren Drohungen stiehlt. Der König der Monster schenkt einem närrischen Jüngling das Leben? Das Haupt dieses Tölpels wurde unrechtmäßig mit der Krone geziert und soll einer Bestrafung entfliehen dürfen? Nicht gerade das, was man von Euch erwarten würde, königliches Monster!", höhnte eine Stimme hinter den beiden und bevor Dragstor seine Klinge zücken konnte, sauste ein blitzender Gegenstand an seinem Ohr vorbei und brachte die Luft zum kurzzeitigen Surren. Dragstor knurrte und ballte seine Fäuste. Erschrocken duckte sich der Lichte hinweg und bemerkte seine Unversehrtheit, bevor er sich besorgt an den Dunklen wendete, dem ein solch verwehlter Angriff kein Haar krümmte. Er knirrschte mit den Zähnen und provozierte den Dritten bewusst, weil er verdammt nochmal Blutströme seine Finger entlangtropfen haben wollte: „Für einen Mann Eures Standes erwartete ich mehr, als einen feigen Angriff in den Rücken"

„Nun", leckte sich der Gegner die Lippen und neigte den Kopf, wobei seine noch feuchten Haarsträhnen verrutschten. „Gier und Rache lösen ungekannte Mechanismen aus, die mir von Nutzen sein sollen um den besudelten Familiennamen der Korratius Familie in's Reine zu waschen. Da trägt das Ehrgefühl nicht mehr von Bedeutung"

„Indem Ihr mit diesem hochrangigen Namen als Freikarte mordet?", spuckte der Dunkle und grinste. Er erwartete den Ausgang dieser Handgreiflichkeiten siedend heiß. „Dies fällt eindeutig nicht in Euer Aufgabengebiet, Herr Baek, sondern drängt in mein Interessengebiet. Noch dazu habt Ihr versagt. Man ist Eurem heimtückischen Plan auf die Schliche gekommen, Ihr habt sämtliche Botschaften und Angriffe provoziert, der Jüngling lebte in Unwissenheit was die Feindseligkeiten der seligen Herrscher betrifft. Erschwerend kommt nun dieser missglückte Mord aus dem Hinterhalt hinzu, lichter Bastard. Eure Trefferquote spielte noch nie in Eurem Sinne und enttäuscht mich"

„Oh nein, Ihr irrt Euch. Der Pfeil fand das von mir gewünschte Ziel ohne Komplikationen", grinste der bewaffnete Edelmann und senkte seinen kunstvoll verarbeiteten Bogen, dessen Pfeil noch Momente zuvor die Luft zerschnitt. Herr Èlcalad beschlich ein grausiges Gefühl und er sollte Recht behalten. Seine Augen weiteten sich und Dragstor, dessen Klinge in den Sonnenstrahlen funkelte und bereit zu Baek's niederstreckenden Todesstoß auf das Zeichen wartete, schlug unruhig mit seiner Flosse. Die unterdrückten Wallungen drohten hervorzubrechen, Herr über seine Sinne zu werden und bestialisch auf den vermeintlich ehrbaren Leibwächter loszugehen, zu morden wie es ihm beliebte und das zu tun, was ihm im Blut lag. Leben nehmen, wo andere Gnade walten ließen.

„Dieser perfekte Schuss war niemals für Euch gedacht, Hoheit"

Baek verzog sein Gesicht zu einer schadenfrohen Fratze und legte den Bogen erneut an, spannte die silbrige Schnur auf's Äußerste und erhob die Waffe gegen den dunklen König. „Doch dieser hier gehört einzig und allein Euch, Majestät"

Jauchzend schwang der Dunkle seine Klinge und wich dem Pfeil mit Leichtigkeit aus, stürzte sich mit glühenden Augen und gebleckten Zähnen auf seinen nicht Ernst zu nehmenden Gegner und verwickelte ihn in ein heiteres Gefecht, was ihm die größte Freude bereitete. Der Verräter, der seinen Namen besudelte und seinen gefürchteten Ruf entehrte, würde noch in dieser Sonnenstunde sein jämmerliches Leben ausbluten. Dessen war sich der brennende Planet sicher, der über den Kampf wachte und sorgsam Licht spendete. Dragstor, erst richtig aufblühend als er Baek's Arm verletzte und seine Nase mit dem Geruch von Blut umnebelte, stieß ein erschütterndes Gebrüll aus und schwang sein Schwert gekonnt und absolut tödlich. Dass er Herr Èlcalad's Reaktion bemerkt hätte, undenkbar. Ihn interessierte jetzt nur noch der ächzende Baek, dessen Bewegungen schwerfälliger und langsamer wurden aufgrund der fehlenden Trainingsstunden.

Dragstor bemerkte nicht, dass Herr Èlcalad an den Strand eilte und sich unter größter Anstrengung aus dem Wasser zog, über den Sand und vor den beiden Verliebten stockte. Dann, als er in Ezra's Gesicht blickte und die Ursache für deren verzerrte Spiegelung verstand, getraute er sich nicht, seine Gedanken zu offenbaren. Es war so offensichtlich. Er verstand die Worte des intriganten Lügners und deren konsequente Bedeutung. Baek log nicht, er trachtete Dragstor nicht nach dem Leben, weil dieser ihn für seine Skrupellosigkeit zur Rede stellte und selbst Gerechtigkeit walten lassen wollte. Baek's Ansinnen richtete sich nie wirklich auf den dunklen König. Der Leibwächter jagte immerzu in eigenem Interesse hinter der Krone her, die er trotz seiner jahrelangen Dienste und herausragenden Siege im Krieg nicht einmal berühren durfte. Und weil er so vergrämt und voller Hass brodelte, jagte er den einzigen Störfaktor, der seinem Ziel im Weg stand. Spielte ihn gegen den Rat aus, verschaffte sich die absolute Befehlsgewalt und ergötzte sich an den Qualen, die Faura dem verhassten Kind zufügte. Die schlimmen Taten, die sich auf ewig in das kindliche Gedächtnis gebrandmarkt hatten.

Nach beinahe zwei Jahrzehnten glückte es ihm, die funkelnde Krone in greifbarer Nähe zu wissen.

Denn jetzt gab es kein Hindernis mehr.

Und während sich Baek mit Dragstor ein Duell auf Leben und sicheren Tod lieferte, wiegte Ezra in bitterer Untröstlichkeit einen Jungen mit ermatteten grauen Augen und verglühenden Runen in seinen Armen, beweinte seinen ungerechtfertigten Verlust und versank in den Tiefen der Verzweiflung. Hoffnungslosigkeit. Dem Wunsch, er wäre an der Stelle seines Gefährten das Opfer von Baek's blinder Machtgier geworden. Ezra presste den toten Körper seines Liebsten fest an sich und fühlte dessen warmes Blut, welches zwischen seinen Fingern hinabtropfte und den Sand mit der Farbe des Todes befleckte. Den samtigen Sand schändete, wie das hübscheste Kind der Meere auf jede erdenkliche Weise geschändet wurde.

Dieser perfekte Schuss war niemals für Euch gedacht, Hoheit.

Baek sprach kein erlogenes Wort. Der perfekt platzierte Schuss jagte die verheerende Pfeilspitze direkt auf Höhe des Herzens und das letzte, was die ozeanblauen Augen in ihren viel zu schnell verstreichenden Sekunden Bewusstseins erblicken durften, waren die korallbraunen Perlen seines geliebten Menschen, während er von den meerischen Geistern aus seiner menschlichen Erscheinung gezogen und in ihre Obhut genommen wurde. Der Schuss traf sein Ziel und Cassian, über den die schlagartige Dunkelheit zu rasch hereinbrach um sie zu verstehen, lächelte schwach. Er war bei Ezra. Der Anblick seines Liebsten verfolgte ihn solange, bis die flimmernde Schwärze Überhand gewann und das Leuchten der Runen endgültig erlosch. Das Licht nahm und den Zauber verschmähte.

„C-Cassian, nein...nein nein nein", weinte Ezra außer sich und schüttelte entgeistert den Kopf. Doch es nützte nichts. Das rote Blut tränkte den Sand und die schönen Gewänder aus Seide voller stummer Anklage, in denen die entschlafene Gestalt gehüllt seine Liebe mit dem Menschen beginnen zu wünschte.

Der Ozean versank in brausenden Stürmen und weinendem Himmel. Blitze formten sich und zerschlitzten die tosenden Wellen. Die Wassermassen preschten aufeinander und übereinander ein, zerrten Baek's niederträchtige Gestalt an sich und begruben ihn in einem tödlichen Strudel unter sich.

Der Ozean klagte und würde nicht mehr mit der Sintflut einhalten, die er aufgebracht schluchzte.

Denn sein liebstes und schönstes Kind lag tot vor ihm.

Den ozeanblauen Augen entschwand die prächtige Farbintensität, die Runen bluteten den silbrigen Zauber unaufhörlich aus.

Cassian lebte nicht mehr.

Denn am Ende, am glorreichen und unwillkürlich vorherbestimmten Ende dieser Romanze holte die Wirklichkeit die zwei Kinder aus den verfeindeten Welten gnadenlos ein.

Sie hätten sich niemals begegnen dürfen.

Es war kein Märchen und wäre auch nie zu einem geworden.

Das hier war die Geschichte einer tragischen Liebesromanze, die es nie hätte geben dürfen. 

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