Ocean Eyes [MERMAID!AU]

By xxFlasher2Nightxx

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"Ich darf doch sehr bitten! Meine Wenigkeit entspringt nicht Eurer blรผhenden Fantasie, sondern einem traditio... More

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By xxFlasher2Nightxx


„Krass...das nenn ich mal mindfuck"

Er freute sich sehr, dass Cassian ihm offensichtlich genug vertraute, um ihm nicht seine Erinnerungen zu stehlen, aber er wusste auch, dass das Schicksal aller Meerbewohner, seines und das des ozeanischen Volkes, jetzt in seinen pflichtbewussten Händen lag. Für Ezra war selbstverständlich, dass er es niemanden erzählen würde, vor allem nachdem Cassian gesagt hatte er würde ohnehin in Schwierigkeiten stecken.

Die Abendsonne warf ein angenehm warmes Licht auf den Strand, die Wellen rauschten leise vor sich hin. Sprachlos blickte er auf den Ozean, irgendwo dort unten tummelte sich sein blauhaariger Gefährte um einen Rastplatz für die anbrechende Nacht zu finden, hinterher und konnte es noch immer nicht richtig begreifen, dass er einen echten Meerjungen getroffen hatte. Er, Ezra, überzeugter Realist und Krimiautor. Ausgerechnet er begegnete einer anderen Lebensform. Und nicht nur das: das anmutige Geschöpf mit den ozeanblauen Augen verkörperte weit mehr als unbeschreibliche Schönheit. Etwas an ihm zog Ezra in seinen Bann. Unaufhörlich. Unerbittlich. Ezra konnte gar nicht anders, als sich nicht Hals über Kopf zu verlieben in diese perfekte Kreation. Kein Mensch hat es ihm je so extrem angetan, wie Cassian. Und die Art ihres Abschiedes, schwer und niederschmetternd, zeigte, dass diese Gefühle auf deutlicher Gegenseitigkeit beruhten. Cassian mochte ihn. Und Ezra mochte Cassian. Zwar wussten sie lediglich den Namen voneinander und sonst nichts, kein Austausch über ihre Leben fand je statt, aber es reichte völlig. Sie harmonierten miteinander. Bei diesen Gedanken musste Ezra unwillkürlich grinsen während er verträumt den kleinen Weg entlang schlenderte, der über die begrasten Klippen zu dem heruntergekommenen Häuschen führte. Der Wind zerzauste ihm die Haare und statt sich die Schuhe für Wärme überzuziehen, trug er sie locker in seiner linken Hand. Er befand sich so lange im Meer, in für ihm fremdem Terrain, dass er endlich wieder den Boden zwischen seinen nackten Zehen fühlen wollte.

*

*

*

„Hallo? Lebt hier wer?"

Klopfend und mittlerweile ein wenig fröstelnd zog er die mitgenommene Lederjacke enger um sich, biss sich auf die Lippe und unterdrückte ein frustriertes Fluchen. Erneut bearbeitete er die hölzerne Tür und hoffte auf eine Reaktion. Irgendjemand musste doch hier leben, dieser Ort konnte nicht gänzlich verlassen sein. Im Inneren erspähte er eine kleine grüne Topfpflanze auf einem hübsch aufgeräumten Regal – definitiv lebte jemand hier. Die Frage war nur, ob man ihm aufmachte und Eintritt gewährte. Ihm, einem Fremden der aus dem Nichts auftauchte und nicht besser aussah, als ein obdachloser Penner. Mit der zerrissenen Hose, den dreckigen Füßen und dem wirren Haar, das aussah als habe Ezra mit beiden Händen in eine Steckdose gefasst.

„Bitte...k-können Sie mir helfen?", flüsterte Ezra und spürte, wie ihn von Sekunde zu Sekunde mehr der Mut verließ.

Niemand öffnete die Tür.

Schluckend sah er sich um. Da war nichts. Weit und breit nichts als Gras, graue Wolken und das Meer. Totale Einöde. Trostlose, einsame Einöde. Frustriert rieb er sich über das Gesicht und kauerte sich an die Hauswand, schlang die Arme fest um die angezogenen Knie und legte den Kopf in den Nacken. So saß er da. Wie lange wusste er nicht, aber irgendwann verschwamm ihm die Sicht und er rückte in eine angenehmere Position. Ihn fror in der aufkommenden Nacht fürchterlich in den verschlissenen Klamotten, seine Zähne klapperten und in diesem Moment wünschte er sich die wohlige Wärme herbei, die er in der letzten Nacht an Cassian's Seite empfunden hatte. Diese kribbelnde, herrliche Wärme. Sie fehlte ihm unsagbar und ohne sie fühlte er sich seltsam...unvollständig. Ja, erkannte Ezra, Cassian fehlte ihm mehr als er mit 27 Buchstaben gerecht ausdrücken könnte.

Ezra seufzte und wägte ab, wie er wohl am schnellsten Kontakt zu seiner Familie und den Freunden aufnehmen könnte. Sein Handy hatte er entweder auf dem Schiff verloren, oder der Sturm hatte es als Pfand behalten. Kleingeld oder andere Wertsachen trug er nicht bei sich, wie er schnell feststellte. So oder so fehlten ihm die Mittel. Seine einzige Hoffnung ruhte auf dem Leuchtturm – die sich offensichtlich als Fehlentscheidung herausstellte. Vielleicht war dieser Ort tatsächlich seit Jahren nicht mehr betreten worden, wundern würde es ihn nicht. Das wuchernde Pflanzengestrüpp sollte dringend wieder gestutzt werden.

Ezra vermisste seine beiden Freunde. Harvey's Grinsen, das ansteckend wirkte und selbst die größten Probleme in belanglose Lappalien verwandeln konnte. Clayton, der zwar kein emotionaler Springbrunnen war, aber trotzdem mit Rat und Tat zur Seite stand. Und inmitten dieser wirren Gedankenkonstellationen meinte der Schwarzhaarige, einen sich bewegenden Lichtkegel zu erkennen. Er hoppste über das hohe Gras und näherte sich tatsächlich der Holzhütte, von der sich Ezra's erschöpfte Knochen nicht hochraffen konnten. Die Lichtquelle kam vom Leuchtturm.

Cassian würde Harvey mögen. Ausgeschlossen, dass er sich von dieser fröhlichen Persönlichkeit nicht angelockt fühlen würde. Und Harvey würde den Blauhaarigen ebenso rasch in sein goldiges Herz schließen, ihn ohne Ende zuquasseln und ihm früher oder später seine Tanzleidenschaft zeigen. Clayton wäre reserviert aufgetreten, wie bei jedem Fremden, aber selbst der stille Typ würde sofort einen Narren an dem lieblichen Cassian fressen. Wie auch nicht?

*

*

*

„Wer bist denn du?"

Ezra blinzelte und löste sich schwerfällig aus seiner Traumwelt, hob den Blick und verzog das Gesicht. Sein Kopf tat weh und gegen das dumpfe Pochen würde er sogar eine Tablette nehmen, die ihm seine überfürsorgliche Mutter in die Hand drücken würde.

„Zumindest kein blinder Maulwurf. Nimm das Licht weg"

Das Licht erlosch. Stattdessen kniete sich der Fremde vor ihn und betrachtete den ausgelaugten Körper des Schwarzhaarigen, dessen Zittern nicht aufhörte. Kränkliche Blässe und müde Augen rückten den physikalischen Verfassungszustand des jungen Mannes in eine ernste Lage.

„Du siehst halb tot aus, nein, mehr tot als lebendig", stellte die Stimme klar und wühlte in einer ausgebeulten Tasche seiner dunklen Jacke. „Die Umstände, die dich zu mir führten, kannst du mir später erklären. Jetzt nimmst du erstmal ein warmes Bad und isst was. Na komm, bevor du mir noch umkippst"

Mit dieser Ankündigung fiel die hölzerne Tür auf und Ezra, der sich geschlagen gab und sich von dem alten Mann mit dem weißen Bart stützen ließ, taumelte ihm auf zittrigen Knien hinterher ins Warme. Dieses Szenario war ihm bekannt, oft schon hatte er ähnliche Umstände und Begebenheiten in seinen Krimis verfasst, bei denen die Hauptperson an seiner jetzigen Stelle kurz davor war, einem psychisch kranken Übeltäter in die Arme zu laufen. Ezra wägte nur sehr lustlos die kleine Wahrscheinlichkeit ab, ob dieser Mann mit dem weißen Bart ebenfalls seine Leichen im Keller stapelte, doch es kümmerte ihn herzlich wenig. Er war müde und ihn fror, allein deswegen nahm er sein Glück in die Hand und betrat das fremde Anwesen. Das Innere des Hauses überraschte ihn so sehr, dass ihm der Mund aufklappte. Staunend betrachtete er die hellen Farben der Decke und die vielen Bilder, die den kleinen Eingangsbereich säumten. So heruntergekommen die Hütte von draußen aussah – mindestens so gemütlich lud sie zu einem Kurzurlaub ein. Harvey würde es hier gefallen. Der alte Mann nahm den Schriftsteller sanft aber bestimmt an der Schulter, führte ihn eine Treppe hinauf und bugsierte ihn ohne Erklärungen in ein winziges Badezimmer.

„Irgendwo müsste ich noch Klamotten haben, die dir passen sollten. Geh duschen, ich suche sie dir heraus", deutete der Mann auf das angesprochene Zimmer und nickte. Der Alte verschwand und zog die Tür hinter sich zu. Ezra setzte sich auf den Rand der Badewanne und verbarg das Gesicht in seinen Händen. Erst jetzt, mit der Wärme des Hauses um ihn herum, fiel ihm auf, wie schrecklich entkräftet er war. Jede Bewegung glich einer überdimensionalen Überwindung und nachdem er von dem gutherzigen Alten eine neue Garnitur frischer Wäsche erhalten hatte, bei dem ihm kein Messer in die Brust gerammt worden war, raffte er sich ächzend auf und entkleidete sich. Die zerschlissenen Stoffreste an seinem Körper legte er säuberlich zu einem Stapel aufeinander – bereit, sie wegzuwerfen. Sie weckten nicht nur gute Erinnerungen.

Ezra wäre um ein Haar ertrunken.

Nicht wirklich das, woran man sich nach einer Reise gern erinnerte.

Das heiße Wasser auf seiner Haut fühlte sich merkwürdig an. Unwirklich. Die Wärme erinnerte ihn an den Jungen mit den ozeanblauen Augen, doch der spendete sie diesmal nicht. Deswegen war es seltsam. Seine Schultern entkrampften sich ein stückweit und ehe er sich's versah, schloss er die Augen und versuchte nach Kräften sich nicht gehen zu lassen. Da tobten so viele Empfindungen in seinem Kopf, dass er den Überblick verlor. Wie sollte er sich fühlen? Glücklich, weil er wieder in der Zivilisation angekommen war? Ein wenig näher an seinem alten Leben? Überfordert, weil er mit all den Ereignissen nicht umzugehen wusste? Traurig, weil er seinen Freunden und Familie so große Sorgen bereitete? Sie dachten ja, er wäre tot...

Aufatmend schrubbte er die salzigen Überbleibsel von seinen Armen und hörte erst auf, als die Haut unangenehm scheuerte und errötete. Das Wasser wusch die Anstrengungen und die Ängste der vergangenen Stunden von sich, aus seinem Verstand.

Der Ezra, der aus der Dusche tappste, war Welten entfernt von dem, der sie betrat.

Mit einer kleinen Schere, die er auf der Kommode erspähte, verpasste er seinen Haaren einen raschen Schnitt und fuhr sich zufrieden durch die nun weichen Strähnen, wirkte sichtlich zufrieden mit dem, was ihm sein Spiegelbild präsentierte und gähnte. Ach ja, die Wärme und die Erleichterung übten eine beinahe fesselnde Müdigkeit aus. So sehr, dass Ezra selbst auf dem kleinen Teppichvorleger Schlaf gefunden hätte. Aber sein knurrender Magen hielt ihn von einem bitter nötigen Nickerchen ab.

Er war eben ein Mensch mit Bedürfnissen.

Und das schmerzhafteste Bedürfnis meldete sich mit einem weiteren Rumoren.

*

*

*

Der Alte, dessen Teller bereits ordentlich in der Spüle darauf wartete gesäubert zu werden, faltete seine Hände und beobachtete Ezra, der inzwischen die dritte Portion der Suppe gierig in seinen leeren Magen hinein schlürfte. Es war nicht mehr als Gemüse mit ein wenig Kräutern aus dem Garten, aber mit einem solchen Verlangen in seiner Brust hätte er selbst eine simple Karotte ratzefutz verputzt. Gierig leckte er die letzten Tropfen vom Löffel und lehnte sich seufzend in dem Stuhl zurück, schob das Porzellan ein wenig von sich und fand den Blick des Mannes, der ihn trotz seiner geheimnisvollen Erscheinung so herzlich unter sein Dach einlud, als wären sie alte Freunde. Er erinnerte ihn an Cassian, denn die beiden Existenzen teilten sich die gleiche selbstlose Hilfeleistung.

Ezra schluckte und fühlte, wie – obwohl er die letzten Tage mehr im Wasser als an der Luft verbracht hatte –rau sich sein Hals tatsächlich anfühlte. Die Suppe stillte seinen Hunger und Durst gleichermaßen, sättigte sein Gemüt und es war das erste Mal seit einer Stunde, dass wieder Worte in der Luft die Stille brachen.

„Vielen Dank", flüsterte Ezra ausgelaugt und rieb sich über die Stirn. „Sie wissen gar nicht, wie verdammt dankbar ich Ihnen bin"

„Das war nur etwas Suppe vom Vortag", meinte der Alte freundlich und erhob sich ächzend. Er wollte den leeren Teller in die Spüle legen, doch Ezra schüttelte den Kopf und hob den Blick. Seine Augen spiegelten seine durchgestandenen Ängste wieder, die berechtigten Zweifel ob er jemals wieder nach Hause finden würde. Und offensichtlich musste er dabei sehr verzweifelt ausgesehen haben, denn sonst wäre der Mann nicht um den Tisch getrottet und hätte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Ein stummes Zeichen, dass er die Geschichte nicht hören müsste. Nicht jetzt. Nicht, wenn der Schwarzhaarige am Rand seiner Kräfte hangelte. Für diesen Abend reichte es, wenn Ezra mit vollem Magen in ein warmes Bett schlüpfen konnte, fand der Alte. Die ausgemergelte Haltung und dann noch seine fiebrige Beharrlichkeit auf das Sofa...der Schwarzhaarige wollte keine Umstände machen. Dabei waren ihm die doch längst widerfahren. Und der Alte freute sich über ein bisschen Gesellschaft, wo er doch sonst immerzu allein die Tage bestritt.

„Nein, wirklich", versetzte er seine Worte mit Nachdruck. „Sie hätten mich da liegenlassen und meinem Schicksal überlassen können. Sie...Sie sind ein guter Mensch"

Sie erinnern mich an jemanden, der auch nur das Wohl der anderen im Sinn hat.

Der Alte schmunzelte und dabei verzogen sich seine Falten zu einem großväterlichen Ausdruck. Seufzend brummte er und tätschelte sanft Ezra's Kopf, bevor er sich dem Abwasch widmete. „Das kannst du auch sein. Schnapp dir den Lappen und hilf mir abtrocknen. Danach setze ich Tee auf und du kannst deine Angehörigen anrufen. Oder wen du eben kontaktieren möchtest". Dankbar für diese offene Aufnahme in sein Haus nickte Ezra und tat wie ihm geheißen. Zusammen räumten sie das benutzte Geschirr weg und der Alte zeigte Ezra freundlich das Telefon im Flur. Die geringelte Schnur bewies Ezra, dass sein Gastgeber wohl von der nostalgischen Sorte war und wie auch beim Haus an den altertümlichen Lebensweisen festhielt. Diese Gerätschaften gab es schon lange nicht mehr im gewöhnlichen Hausgebrauch, vielmehr als Accessoires aus Vintage-Zeiten. Kopfschüttelnd ignorierte er das Baujahr des Telefons und hielt sich den Hörer an's Ohr, gleichzeitig betätigte er geduldig die Zahlenscheibe so lange, bis er die vollständige Nummer gewählt hatte. Es war nicht die Nummer seiner Eltern, da er diese nicht auswendig kannte.

Die einzige, die ihm neben den 3 Ziffern für den Notruf spontan einfiel, war Clayton's Handynummer. Kein Wunder, so oft wie sich die zwei schon angerufen hatten...Ezra hoffte bloß, er jagte dem abergläubischen Kerlchen keine Todesangst ein. Einen Anruf des toten besten Freundes zu erhalten, steckte er bestimmt nicht so einfach weg. Aber eigentlich müsste Clayton bei ihm sein, der würde die Sache schon regeln. Das tat der weise Gangsterrapper schließlich immer. Aber...wie würde der auf einen Anruf seines vermeintlich toten besten Freundes reagieren?

„Fuck", fluchte Ezra und vergrub seine Hand in den frisch geschnittenen Haaren, um das Zittern zu unterdrücken. Er war verdammt nervös. Selbst das glich noch einer bodenlosen Untertreibung. Plötzlich wünschte er sich, er hätte den Fantasie-sitcoms von Harvey mehr Aufmerksamkeit geschenkt, dann würde er jetzt zumindest irgendeinen Anhaltspunkt in Bezug auf ihre potentiellen Reaktionen haben. Harvey? Ezra schürzte die Lippen. Der flippt so oder so aus. Clayton? Vermutlich könnte man mit ihm nach einer Diskussion reden...

Es läutete ein paar Mal und mit jedem weiteren unbeantworteten Ringeln sank Ezra's Mut. Clayton hatte sein Handy immer bei sich, egal wo er war. Hatte ihm in der Schule oft Ärger eingebrockt, aber Clayton ohne Handy? Vergleichsweise mit einer Mona Lisa ohne Lächeln. Wieso zum Henker ignorierte er einen Anruf? Der auch noch von Ezra persönlich kam? Das Ringeln endete. Ezra's Herz machte einen Satz und er griff den Hörer mit beiden Händen.

„Clayton! Gott sei Dank, ich-"

„Es geht mir am Arsch vorbei, du publicity-geiles Luder! Ich hab meine Nummer nur rausgegeben damit mich Ihr scheiß Vorgesetzter über was informieren kann, was ich noch nicht weiß! Hören Sie gefälligst auf mir wegen jeder beschissenen Kleinigkeit auf den Sack zu gehen!"

„Hä? Alter, du-"

„Ja Ezra hatte nicht Millionen von Freunden, aber deswegen war er nicht einsam und ich sag's zum letzten Mal: er. Hat. Keinen. Beschissenen. Selbstmord. Begangen. Ist das in die letzte graue Zelle vorgedrungen? Oder-"

„Natürlich hab ich mich nicht umbringen wollen, du Vollidiot!", unterbrach Ezra lauter und forscher als beabsichtig die Schimpftirade seines Freundes. „Als ob ich dazu in's Meer springen würde! So ein Scheiß"

Stille.

„Clayton?", flüsterte der Schwarzhaarige zweifelnd und holte zitternd Luft. „S-sag was"

„Das ist nicht lustig", hauchte die Stimme und drang dumpf vom anderen Ende der Leitung wieder. Vor Aufregung zwirbelte Ezra die Telefonschnur unbarmherzig um seine Finger. Seinen Herzschlag spürte er selbst im Ohr und er lehnte sich haltsuchend an die Wand, schloss die Augen und atmete mit schwacher Stimme weiter. Clayton glaubte ihm nicht. Er hielt Ezra für einen Scherzanrufer, der sich auf seine Kosten amüsieren wollte. Aber was seine Freunde die letzten Tage durchmachen mussten...er wollte es sich nicht vorstellen. Die Leitung knackte und für einen Moment fürchtete er die Verbindung verloren zu haben, stellte aber dann das Gegenteil fest. Clayton schniefte. Alarmiert blickte er auf, was sein Gesprächspartner natürlich nicht sehen konnte, und erschrak ein bisschen, wie leise sich die Stimme seines besten Freundes anhörte. Sie klang erschöpft und einfach nur bedrückend. Hoffnungslos. Der Schwarzhaarige wusste, dass er seine Identität beweisen musste. Andernfalls würde Clayton ihm nicht glauben und auflegen.

„Ich bin's wirklich, Clay. Ich, ähm...ich hab dir mal als Klingelton Barbie Girl eingestellt und du hast mir als Payback Schokopudding mit Chili gegeben. Du kommst zu Harvey's Tanzaufführungen, weil er dir sonst ewig in den Ohren liegt. Ich vergöttere Bananenmilch und würd Iron-Man heiraten, wenn ich könnte. Du stehst seit der High School auf Harvey aber traust dich nicht, es ihm zu sagen. Während meines Studiums hab ich geraucht und du hast mir eine ellenlange Predigt über meine Gesundheit gehalten, ich hab weitergeraucht aus Stress vor den Prüfungen und erst aufgehört, als du mir Bilder von total ekligen Raucherlungen gezeigt hast. Ich, ähm...bitte, Clayton...ich weiß nicht, was ich dir sonst noch im Vertrauen sagen soll damit du mir glaubst", wimmerte Ezra und klammerte seine Hand krampfhaft um den Hörer. Aus der Leitung hörte man nur gedämpftes Rauschen und noch leiseres Atmen folgte. Er hatte alles getan, was er konnte. Es lag an seinen Freunden, ihm zu glauben. „Hallo? Clayton, bist du noch dran?", fragte Ezra wieder und sein Herz begann heftig zu klopfen. Am anderen Ende hörte man kurzes Schniefen, dann wieder eine Stimme, kurzes Schreien und dann flossen auch bei Ezra Tränen.

„Scheiße, Ezra – du...du lebst?", konnte er hören. Lächelnd nickte er heftig, was Clayton nicht sehen konnte, und stammelte mit Tränen in den Augen: "Clayton, Gott sei Dank ich bin so froh!"

„Weißt du eigentlich, was hier für Chaos herrscht? Deine Eltern sind mit dem Polizeihubschrauber zurück geflogen, weil sie dich für tot halten! Das letzte was sie mir sagten, war, dass sie nach fucking China ziehen weil sie es nicht ertragen, dich verloren zu haben! So ein Leichenarzt hat dir 'nen Todesschein ausgestellt! Auf Suizid!", fasste der Ältere die Ereignisse knapp zusammen und schniefte. „Und Harvey will sein scheiß Bett nicht mehr verlassen, weil er sich die Schuld gibt. Von mir will ich gar nicht erst anfangen"

Wäre Ezra nicht über einer Kommode gebeugt gestanden, hätten ihn seine schlaffen Knie auf den harten Boden befördert. Der harte Boden der Tatsachen. Außer sich schlug er sich die Hand auf den Mund und keuchte. Seine Eltern...Ezra tat es so leid, was sie seinetwegen durchstehen mussten. Und Harvey, Clayton...

„A-aber...aber ich war doch nur z-zwei Tage weg?"

„Zwei Tage?", wiederholte Clayton fassungslos und lachte irre auf. „Alter, du warst fast zwei Wochen spurlos verschwunden! Die Nachrichten waren voll von dir – dem tragisch verunglückten Sternchen am Autorenhimmel! Hör mal, ich weiß nicht wo du bist, aber du bleibst genau da und rührst dich nicht von der Stelle. Ich werd mit Harvey kommen, damit wir dir in den Arsch treten können. Du hättest uns sofort Bescheid sagen sollen, dass du noch nicht ins Gras gebissen hast"

Ezra weinte.

Stumm zogen die Tränen ihre Bahnen über seine Wangen und er schluchzte kummervoll auf. Das war zu viel. Das sich so viel verändert hatte...er rechnete grob nach. Hatte Clayton Recht? Über eine Woche? Die Reise mit Cassian, die Tage mit diesen ozeanblauen Augen, sie fühlte sich wirklich nicht länger als zwei Tage an. Allerdings würde diese enorme Zeitspanne die schrumpeligen Finger und die zerrissenen Klamotten erklären. Seine hervorstechenden Wangenknochen unter den lang gewachsenen Haaren. Die stechende Sehnsucht, die sich nach Cassian sehnte. Sein Herz, das ihm zuschrie das Haus zu verlassen und zum Strand zu laufen. Zwei Wochen hatte er sich an Cassian's Anwesenheit gewöhnt? Ezra erkannte die logische Sehnsucht, die ihm das Herz befiel, nun, da Cassian plötzlich nicht mehr an seiner Seite war.

„Ezra, verstanden? Wir sagen niemandem, dass du noch lebst. Noch mehr Rummel und wir kriegen unsere eigene Talkshow"

Er nickte. Schniefend stimmte er zu und auch wenn es ihn innerlich umbrachte, seine Eltern in dem falschen Glauben zu lassen, befand er es für richtig. Was sollte er ihnen sagen? Dass er sich in einen Jungen mit Fischschwanz verliebt hatte? Sie würden ihn sofort in eine Psychiatrie einweisen. Weg von Cassian würden sie ihn bringen, irgendwo hin wo er mit weißen Klamotten so lange auf eine weiße Wand starren musste, bis er wirklich überschnappte. Nein, das konnte er nicht riskieren. Liebe forderte manchmal unmenschliche Opfer.

Und manchmal war sie es wert, sein Leben für ein anderes aufzugeben.

Die Welt dachte, Ezra wäre tot? Sollte sie eben weiter in dem Glauben leben.

*

*

*

Ezra freute sich darauf, seine Freunde wieder zu sehen. Er hatte sie furchtbar vermisst.

Der Alte und Ezra plauderten ein wenig über belanglose Dinge, ein Zeitvertreib da der Alte kein Radio besaß, und dann kam der Moment, auf den Ezra sich nicht vorbereiten konnte. Es überraschte ihn so dermaßen, dass er vor lauter Schreck die Löffel in seinen Händen fallen ließ. Klappernd zierten sie den Boden und er starrte den Alten aus geweiteten Augen an, zu entgeistert um Worte zu finden.

„Mein Sohn wäre jetzt in etwa deinem Alter, mein Junge...vor etwas mehr als 20 Jahren kamen meine Frau und ich in freudiger Erwartung hierher, wir haben unser Heimatland aufgrund der gestiegenen Kriminalitätsrate verlassen und wollten unser Kind aufziehen und ein ruhiges Leben führen. Aber dann, bei der Überfahrt, braute sich ein Sturm auf und ich war einer der wenigen, der dieses Unglück überlebte. Meine Familie erfuhr dieses Glück nicht, sie ertrank", erzählte er wehmütig und betrachtete ein gerahmtes Portrait an der Wohnzimmerwand. Eine junge Frau mit schwarzem Haar strahlte darauf. Ezra verstand sofort, dass es sich hierbei um die Frau des Alten handelte. Schlechtes Gewissen überfiel ihn, grundlos. Fühlte er sich schlecht, weil er lebte nach einem ähnlichen Sturm?

„Ich kam hierher und erbaute diese Hütte, so wie ich es mir mit Wendy immer vorgestellt habe. Ich kann sie nicht vergessen, es ist schmerzhaft ihr Bild zu sehen und sie nicht mehr in den Armen halten zu dürfen. Sie liebte die See, deswegen wollte sie hier leben. Sie glaubte an Leben unter Wasser, weit weg von Menschen. Für sie waren Märchen nur schönere Sachgeschichten", seufzte der Mann und reichte Ezra eine Tasse Tee. Fokussiert auf die Fotografie nippte er an dem wohltuenden Gebräu und schloss genießerisch die Augen. Weshalb er diese Geschichte hörte, wusste er nicht. Aber er vertraute dem Mann, weil ihm dieser vertraute und ihn aufnahm. Nicht jeder hätte dies getan. Vielleicht, so vermutete Ezra, tat er sich leichter mit dem vertrauen, seitdem er Cassian's Vertrauen kannte und wusste, dass es nicht immer eine schlechte Entscheidung war, zu vertrauen.

„Es ist schön hier", gab der Schwarzhaarige zu und blickte aus dem Fenster. Das schwache Licht des alten Leuchtturmes zierte die Dunkelheit. Die vielen Jahre sah man dem Gebäude nicht an und mit ein paar Reparaturen oder neuen Dachziegeln könnte man ein wirklich schönes Heim daraus machen.

„Ja", nickte der Alte. „Hier wollte ich mit meiner Familie leben"

„Das tut mir leid", flüsterte Ezra unschlüssig und gleichermaßen betreten, weil er nicht wusste ob er weiter auf das Thema eingehen sollte. Ein wenig interessierte ihn die Erfahrung des Alten schon, sein Schriftstellerherz sehnte sich nach mehr Geschichten, aber er kannte ja den Schmerz, den die Trennung von den Liebsten verursachte. Da wollte er wirklich nicht noch Salz in die vernarbte Wunde streuen. Die Hilfsbereitschaft des Mannes war mehr, als er erwartete und die würde er nicht ausreizen.

„Muss es nicht, auch wenn ich deine Anteilnahme schätze", wehrte der bärtige Seekautz ab und schmunzelte schwermütig. „Irgendwann wird eine Familie diesen Ort bewohnen und sich an dem erfreuen, was diese Idylle schenkt. Eine Zukunft im Kreis der Liebsten. Das ist mir ein tröstlicher Gedanke in all den Jahren gewesen"

Ezra neigte den Kopf. Das Schicksal des Mannes ging ihm nahe und er wünschte sich für ihn, dass er Recht behalten würde. Denn ja, hier auf diesem Fleckchen Welt würde es sich mit einer Liebsten und ein paar Kindern ausgesprochen gut leben. Keine nervigen Nachbarn, kein lärmender Verkehr und blanke Ruhe. Ezra könnte problemlos und völlig ohne Zwang an seinen Büchern schreiben, dabei seinen Tee schlürfen und in den Schreibpausen mit seinem furchtbar liebreizenden Gefährten turteln. Die frische Luft genießen, die herrlichen Sonnenuntergänge und noch viel malerische Sonnenaufgänge zu beobachten, wie er es in seinem Zuhause in der Stadt nur äußerst selten konnte. Da war alles voller Hochhäuser und Beton, zu wenig Freiraum für die Naturspektakel. Wie es wohl wäre, diese an der Seite der einen besonderen Person zu genießen? Ungestörtheit. Zweisamkeit. Eine unentdeckte Welt in einer hektischen Gesellschaft. Keine Probleme. Keine Hetzjagden. Wundervolle, beflügelnde Zweisamkeit. Ein Ort, an dem Liebe gedieh.

„Weshalb lächelst du?", erkundigte sich der Gastgeber und erhob sich von dem Sofa, setzte seine Brille ab und traf Ezra's wehmütigen Blick. Seine braunen Augen funkelten in dem Licht der Deckenlampe und so wie er versuchte seine geröteten Wangen zu verbergen erahnte der Alte, dass er die Geschichte – seine Geschichte – wohl der richtigen Person erzählte. Denn sie bewegte etwas in dem jungen Herzen, welches sein eigenes zufrieden stimmte.

„Nichts, es ist nur...", der junge Mann seufzte und verschränkte die Arme. „...ich kenne jemanden, der in diesem Ort ein heiles Zuhause sehen würde. Und würden die Umstände zu seinen – zu unseren Gunsten stehen, würde ich mit ihm herziehen, schätze ich. Es würde ihn glücklich machen"

Der Alte schmunzelte. „Nun, es stört mich nicht Gesellschaft zu haben. Wenn du möchtest, darfst du hierbleiben. Und wenn sich eure Umstände ändern, holst du diesen jemand nach"

Ezra klappte der Mund auf. Diese Freundlichkeit...das kannte er nicht von der menschlichen Rasse. Zumindest nicht aus persönlicher Erfahrung. Er kannte die Dominanz des Geldes und eines hohen Führungspostens in einer internationalen Firma, aber das es tatsächlich Menschen gab, die Augenmerk auf zwischenmenschliche Werte und Nächstenliebe legten? Je länger er das großzügige Angebot durchdachte, desto klarer wurde seine Entscheidung. Nach Hause konnte er nicht mehr, das stand fest. Und bei Harvey und Clayton könnte er auch nicht ewig als Untermieter hausen. Die Welt glaubte, Ezra sei tot. Eigentlich hinderte ihn nichts mehr daran, tatsächlich hierzubleiben und neu zu beginnen. Ohne Krimis. Ohne verbissenen Realismus.

Es war fast perfekt.

„Wenn es Sie wirklich nicht stört? Ich könnte im Gegenzug im Haus helfen, oder wobei ich eben helfen kann", nickte er und die beiden lächelten sich an.

„Nenn mich Guiseppe", bat der Alte und Ezra reichte ihm die Hand.

„Ezra"

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