Gefangen

By Consa_

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Tobias hat mit dieser Welt seit langem abgeschlossen. Den Angriffen und Beleidigungen seiner Rudelmitglieder... More

Prolog
Schattenwölfe
Ein Wind kommt auf
Jagd
Flucht
Gefängnis
Hauptquartier
Ruhe vor dem Sturm
Pläne schmieden
Letzte Fäden
Scherbenhaufen
Aufgeben
Neue Zuversicht
Training
Verbindungen
Benjamin
Ein Rabe
Aussprache
Aufkommende Probleme
Ein Herzschlag
Der schwarze Nachtschatten
Liebe
Wiederkehr
Ein Leben für ein Leben
Qualen
Etwas, das bleibt
Leidensgenossen
Ein Handelsangebot
Erkenntnisse
Schock
Abmachungen
Vergeltung
Krieg
Brüder
Epilog
Letzte Worte

Alte Wunden

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By Consa_

Elijah weinte stumm. Nicht ein Laut verließ seine zusammengekniffenen Lippen. Er rührte sich auch nicht. Er verharrte über Tobias gebeugt und starrte diesen an, obwohl sich der Omega fühlte, als würde der Alpha eher durch ihn hindurch starren. Der Kontrast der beiden in ihrer Trauer hätte nicht größer sein können, wo Tobias völlig die Kontrolle verloren hatte, blieb Elijah kontrolliert, er schluchzte nicht, er bebte nicht. Beinahe sah es so aus, als würde er sogar die Luft anhalten. Tobias ertrank in den dunklen Pupillen, die so viel Schmerz ausstrahlten, wie seine eigenen. Er konnte sich das Verhalten des Alphas nicht erklären. Sicherlich hatte er ihn gerettet, weil er sich erhoffte, mit der Hilfe von Tobias den Krieg zu gewinnen, doch warum er derart in Tränen ausbrach blieb ein Rätsel. Sie kannten einander kaum, geschweige denn lange, daher konnte diese Trauer nicht ihm gelten, sie schien tief aus Elijahs Herz herauszubrechen, also musste das Geschene irgendetwas in ihm wachgerüttelt haben.

Tobias traute sich nicht, das Wort zu ergreifen. Es erschien ihm falsch und er wusste ohnehin nicht, was er sagen sollte. Er würde dem Alpha gewiss nicht danken, schließlich hatte er die Entscheidung, sein Leben zu beenden, ganz bewusst getroffen. Am liebsten hätte er ihn angeschrien. Warum er ihn gerettet hatte, nur damit Tobias den Schmerz wieder aushalten musste. Aber Elijahs Zustand nahm seiner Wut den Wind aus den Segeln. Von ihr blieb nichts zurück. Denn als er seine Hand hob und mit einer Fingerspitze vorsichtig zitternd nach seiner Wange griff, wurde ihm bewusst, dass Elijahs Tränen seinen gleich aus großem Leid entstanden sein mussten. Da erkannte er sich in dem Alpha wieder, erkannte, dass das Leben auch ihn für immer gezeichnet hatte, dass auch unter seiner starken Maske Wunden verborgen waren, dass auch er verletzt war. Und für einen irrwitzigen Moment war die Einsamkeit nicht mehr so schwer.

Bis sich Elijah von ihm löste, von ihm herunter robbte und seinen Kopf von ihm abwandte. Es fühlte sich an, als habe er eine unsichtbare Verbindung gekappt. Wortlos stand er auf und drehte einem verwirrten Tobias seinen Rücken zu, bevor er sich schleppend in Bewegung setzte und in Richtung des Dorfes verschwand. Tobias blieb zurück. Allein. Verwirrt. Mit unzähligen Fragen, die ihm auf der Seele lagen. Überforderung machte sich breit, unschlüssig, ob er Elijah nachsetzen, wieder in den See springen oder einfach liegen bleiben sollte, während er langsam wieder zu Atem kam.

Die Entscheidung nahm ihm schließlich Miles ab, der aus dem Dorf zu ihm eilte, eine Decke in den Armen haltend, die er sogleich um Tobias Schultern legte und dem Omega half sich ein wenig aufzusetzen. Besagter musterte ihn ziemlich fragend, was den Beta veranlasste, sich seufzend neben ihm niederzulassen und leise zu murmeln: "Elijah hat mich per Mindlink informiert, was passiert ist und mich hergeschickt. Auch wenn er mir nicht gesagt hat, was dich auf die wahnwitzige Idee gebracht hat, in dem Vorhaben nicht mehr aufzutauchen, in diesen Tüpel zu springen. Kannst du mir das vielleicht erklären?"

Tobias Blick huschte gen Boden, nicht bereit seine Geschichte mit Miles zu teilen. Jahrelang hatte er die Dinge mit sich allein ausgemacht und sich niemandem anvertraut. Es gab keinen Grund dies nun zu tun. Vorallem wo er mit seinem Wunsch zu sterben noch nicht abgeschlossen hatte. Nur weil ihn Elijah ihn aus dem Wasser gezogen hatte, machte es seine Situation nicht besser und ein Teil von ihm war enttäuscht von sich selbst, dass er Elijahs Verschwinden nicht genutzt hatte, um einen weiteren Versuch zu unternehmen.

"Warum?", flüsterte der Omega schließlich.

"Wie ich Gegenfragen liebe. Insbesondere, wenn ich sie nicht einmal verstehe."

"Warum hat er geweint, als er mich gerettet hat?", erwiderte der Omega und hob seinen Blick wieder, um Miles Reaktion beobachten zu können.

Ein Schatten huschte über die Züge des Betas, er presste seine Zähnen zischend aufeinander, bevor sein Gesicht vollkommen ausdruckslos wurde und er gedankenverloren den See zu mustern schien.

"Das ist schon ewig her", begann er nach einer Weile leise, "Elijah ist das erste Kind unseres alten Alphas. Er war ein unheimlich lebensfroher Junge mit einer Bilderbuchfamilie. Als er erfuhr, dass seine Mutter erneut schwanger geworden war und er bald zu einem großen Bruder werden würde, ist er außer sich vor Freude gewesen. Tagelang ist er nur auf und ab gehüpft und hat gefragt, wann es endlich soweit wäre, wann er endlich sein Geschwisterchen in den Händen halten dürfte. Ich habe ihn nie jemanden zu halten sehen, wie er Jane gehalten hat, kaum das sie geboren worden war. Er hat sie abgöttisch geliebt und hat sie die folgenden Jahre heldenhaft, wie es sich für einen großen Bruder gehört, vor allen Gefahren beschützt. Sie waren wie Pech und Schwefel und Jane sah immer zu Elijah auf. Sie war ein Mädchen, die Abenteuer liebte und nicht unbedingt einfach war. Ihre Eltern sind fast verzweifelt. Ständig ging Jane ihren eigenen Weg, wollte die Welt erkunden, trotz ihres noch jungen Alters. Sie war vier Jahre alt, als sie mal wieder aus dem Garten verschwand. Sie hatte gerade noch lachend unter den Obstbäumen gespielt, da fehlte plötzlich jede Spur von ihr. Stundenlang hat man sie gesucht."

Miles räusperte sich und wandte sich vom See ab, als könnte er den Anblick nicht ertragen.

"Elijah hat sie irgendwann gefunden, natürlich hatte er sich an der Suche beteiligt. Es war genau hier, genau an diesem See. Jane trieb an der Wasseroberfläche. Sie konnte noch nicht schwimmen. Jede Hilfe kam für sie zu spät. Elijah wollte es nicht wahrhaben, dass sie gestorben war, er hat sie nicht losgelassen, hat sie solange an sich gedrückt, bis man ihn gewaltsam von ihr gelöst hat. Er hat das nie überwunden. An manchen Tagen ist er glücklich, da ist die Vergangenheit nicht so präsent. An anderen geht es ihm schrecklich, auch wenn er versucht es vor uns zu verstecken. Aber wir sind ein Rudel. Natürlich spüren wir es."

Tobias schnürte es die Kehle zu. Er musste Elijah an Jane erinnert haben. Er wollte sich nicht vorstellen, wie groß Elijahs Verlust und sein Leid sein mussten. Allein die Angst, dass Sam sterben könnte, hatte ihn bereits um den Verstand gebracht. Wie musste es dann erst Elijah ergangen sein?

"Genug aus der Vergangenheit", murmelte Miles mit rauer Stimme, seine Erzählungen waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen, "Ich werde dich jetzt zurückbringen, bevor du noch ernsthaft krank wirst. Du musst aus den nassen Sachen raus."

Schweigend machten sie sich auf den Weg zurück. In der Zwischenzeit konnte Tobias nicht aufhören an Elijah zu denken. Er wollte ihm sagen, dass es ihm leidtat. Der Tod von Jane, die Erinnerungen. Wollte ihm sagen, wie sehr er ihn für seine Stärke bewunderte und wünschte, er besäße sie auch.

Im Rudelhaus angekommen, steuerte er mit Miles wie selbstverständlich auf das Büro zu, doch der Beta schüttelte nur mit dem Kopf und verwies ihn zu einer Tür, ein paar Meter von dem Büro entfernt am Ende des Ganges. Ein Schlafzimmer kam zum Vorschein, welches schlicht aber gemütlich eingerichtet war. Ein Bett, ein Kleiderschrank, daneben ein Bücherregal mit einem Sessel und auf einer Seite des Bettes ein großes Fenster, von wo aus man den großzügigen Garten bewundern konnte. In dem Zimmer gab es kaum persönliche Gegenstände nur ein paar Bilder. Sie zeigten zum Teil Miles und Elijah, auch Nat und Benjamin waren dabei, sowie ein paar unbekannte Gesichter. Alle Bilder waren an die Wand geheftet worden, bis auf das Bild eines kleinen Mädchens, welches eingerahmt neben dem Bett stand.

"Da", Miles deutete auf die zweite Tür, die von dem Zimmer abging, "Ist das Badezimmer. Ich empfehle dir eine warme Dusche zu nehmen. Neue Sachen nimmst du dir aus dem Kleiderschrank."

Damit ließ der Beta ihn allein und Tobias kam seiner Aufforderung nach. Sich aus den nassen Sachen schälend, begab er sich schließlich in die Dusche und ließ das warme Wasser auf sich hinab prasseln. Es mochte seine Haut wärmen, aber sein Inneres blieb noch immer kalt. Das Chaos in seinen Gedanken kam mittlerweile einem Sturm gleich. Auf der einen Seite wollte er noch immer einen Ausweg finden und allem ein Ende setzen, aber Elijah hatte ihm zu denken gegeben. Vielleicht hatte er es sich zu einfach machen wollen. Vielleicht war es doch noch nicht der richtige Zeitpunkt. Noch schlug Sams Herz. Vielleicht gab es noch eine Chance. Mochte sie auch verschwindend gering sein.

Nach der Dusche fischte er sich ein T-Shirt und eine lockere Hose aus dem Kleiderschrank, die ihm zwar viel zu groß aber bequem waren. Obwohl der Abend hereingebrochen war, war an Schlaf noch nicht zu denken und so ließ sich der Omega auf der Fensterbank nieder und starrte hinaus, zum langsam immer heller werdenden Mond und fragte sich unwillkürlich, ob Sam diesen vielleicht gerade auch beobachtete. Das Öffnen der Tür riss ihn aus seinen Überlegungen. Niemand anderes als Elijah stand im Türrahmen. Dieser schien keinewegs überrascht zu sein Tobias vorzufinden, sondern verschwand sogleich im Badezimmer, einen verwirrten Omega zurücklassend, dem erst jetzt klar wurde, dass er sich in Elijahs Schlafzimmer befinden musste. Das Bild... Es hätte ihm früher klar werden müssen. Es musste Jane zeigen.

Einige Minuten später kam Elijah Bett fertig wieder zum Vorschein und legte sich seufzend mit seinem Kopf in Richtung des Omegas auf das Bett.

"Du hast angeordnet, dass ich in deinem Zimmer schlafen soll", stellte Tobias verblüfft fest.

"Ganz richtig", stimmte Elijah ihm zu, "Es kommt nicht in Frage, dass du alleine im Büro schläfst. Nicht nachdem, was du heute versucht hast. Alle anderen Räume sind belegt und deshalb befahl ich Miles dich hierher zu bringen."

"Er hat mir von Jane erzählt", flüsterte Tobias, während Elijahs Atem ins Stocken geriet. Doch der Alpha ging nicht weiter darauf ein.

"Leg dich hin, du solltest endlich etwas Schlaf nachholen", sagte er stattdessen und der Omega folgte diesem Befehl und ließ sich ebenfalls auf dem Bett nieder, Elijah jedoch nicht aus den Augen lassend, bis sie voreinander lagen, einander musternd.

Sie schwiegen. Für eine Weile. Keiner von den beiden schlief ein, war die Spannung im Raum doch zu groß, bis es schließlich aus Tobias herausbrach.

"Sie haben uns immer wie den letzten Abschaum behandelt, uns nur am Leben gelassen, weil die Möglichkeit bestand, dass wir weiße Wölfe sind. Als ich mich als Enttäuschung entpuppte, wurde ihr Umgang mit mir brutaler. Der Alpha misshandelte mich, ließ mich seine Drecksarbeiten erledigen und zwang mich den Jagden auf Menschen beizuwohnen, weil er wusste, dass ich es hasste. Sam hingegen wurde besser behandelt, weil sie noch Hoffnungen in ihn hegten, er wuchs dem Rudel ans Herz, so wie sie ihm ans Herz wuchsen. Ich habe ihm nie erzählt, wie schwer sie mich verletzten, welche Demütigungen sie ausübten. Ich wollte ihn beschützen, doch er dachte, dass ich mich einfach sträuben würde, mich in das Rudel einzuleben. James hat mir gesagt, dass ich ihn verlieren würde und genau das ist jetzt passiert. Wir waren früher immer füreinander da und jetzt hat er mich verstoßen. Dabei war er alles, was mich all das hat ertragen lassen. Er war das einzig Gute, das Wertvollste. Er ist doch mein Bruder." Seine Stimme brach und die Tränen kehrten zurück, auch wenn er sie zu bekämpfen versuchte. "Ich frage mich, ob es noch Sinn macht oder ob ich ihn schon für immer verloren habe oder ob es noch Hoffnung gibt."

Kräftige Arme schlangen sich um seine Mitte und zogen ihn sanft an Elijahs starken Körper, wo sein Kopf an seiner Brust zu liegen kam.

"Shhh", murmelte der Alpha leise, fuhr mit seiner Hand beruhigend über den Rücken des Omegas, bis dieser sich etwas beruhigte.

"Ich weiß, wie es ist jemanden zu verlieren, den man liebt", flüsterte Elijah leise, "Es ist ein Gefühl, das sich nicht beschreiben lässt, das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann, weil sie ein Teil von dir mitnehmen, das mit ihnen stirbt. Es kommmt nie zurück, auch nicht nach Jahren. Es reißt ein tiefes Loch in dich und manchmal fühlt es sich an, als könne man nicht damit leben. Aber in deinem Fall gibt es noch Hoffnung Tobias. Du musst deinem Bruder die Wahrheit erzählen, all das, was du immer vor ihm geheim gehalten hast, nur dann wird er dir auch wieder vertrauen können. Doch du darfst jetzt noch nicht aufgeben, nicht wo dein Bruder noch lebt und noch den Fängen der Schattenwölfe ist."

Vorsichtig nahm er das Gesicht des Omegas in seine Hände, strich jede einzelne Träne hinfort, bis sie aufhörten zu fließen und Tobias vorsichtig nickte. Er wollte Elijah glauben, wollte glauben, dass es noch eine Chance gab. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals gewesen, dass Elijah rechtzeitig gekommen war und dass sich sein Fell plötzlich doch weiß gefärbt hatte. Vielleicht konnte er noch etwas mehr ertragen. Vielleicht musste er das. Um irgendwann den Traum von einem glücklichen Leben Realität werden zu lassen.

"Ich werde dir helfen", flüsterte Elijah, "du bekommst deinen Bruder zurück."

Das erste Mal seit Jahren fühlte sich Tobias verstanden und es breitete sich die Wärme in seinem Inneren aus, die er noch in der Dusche vermisst hatte. Da war jemand, der den Schmerz kannte. Der ihn teilte. Der ihn hielt. Und das erste Mal ließ der Omega dies richtig zu. So fiel er in einen tiefen, verdienten Schlaf. Immer noch fest umschlungen von Elijahs sicheren Armen.

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Habe das Kapitel mit "Leave a light on" auf Dauerschleife geschrieben und kriege den Song jetzt nicht mehr aus dem Kopf xD Habt ihr auch so Dauerohrwümer, die euch ständig verfolgen?

Was Elijah und Tobias angeht, kommt alles so langsam in die Gänge. Ich hoffe, nicht zu schnell?

Neben Gefangen ist jetzt auch meine zweite Werwolfsgeschichte "Project Alpha" online gegangen und ich würde mich riesig freuen, wenn ihr einen Blick darauf werfen würdet, wobei Gefangen definitiv mein Hauptprojekt bleiben wird <3

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