Aiden
Ohne ein weiteres Wort war Eric nach oben zu Evelyn gegangen. Nun steht Helen vor mir und sieht mich freundlich an, während ich aufstehe. Unschlüssig was ich jetzt sagen soll.
,, Guten Abend, Aiden."
Helen lächelt mich weiterhin freundlich an und ich stelle fest, dass sie älter geworden ist. Einige Falten zeichnen sich auf ihren Gesicht ab und sie wirkt gebrechlicher als damals.
,, Guten Abend," erwidere ich verlegen und trete von einem Fuß auf den anderen.
,, Wie geht es dir ?"
,, Gut," schießt es aus mir heraus.
,, Und Ihnen?"
Sie lacht kurz,, Für mein Alter kann ich mich nicht beklagen."
Sie setzt sich auf einen Stuhl und beobachtet mich weiterhin freundlich, während ich weiterhin unschlüssig vor der Couch stehe.
,, Ich denke, Eric hat dir erzählt, dass du hier bleiben darfst. Du warst immer herzlich Willkommen," stellt sie fest.
Ich war immer herzlich Willkommen gewesen? Das höre ich zum ersten Mal. Sie hat mich doch damals nicht adoptieren wollen!
Allerdings werfe ich ihr das jetzt nicht vor. Ich brauche diese Unterkunft und will es mir jetzt unter keinen Umständen vermasseln.
,, Du musst wissen, ich hätte dich schon damals adoptiert, wenn das Geld gereicht hätte. Aber meine Rente ist knapp."
Sie sieht mich entschuldigend an und ich nicke einfach.
,, Passt schon." Wahrscheinlich klinge ich ein bisschen gereizt, denn diese Angelegenheit hab ich eben immer noch nicht ganz verdaut.
Ich will nicht über damals reden. Unter keinen Umständen.
,, Ich hoffe einfach, du fühlst dich jetzt bei uns wohl."
Sie sieht mich nocheinmal freundlich an und erhebt sich schließlich. Allerdings fällt es ihr schwer aufzustehen, da ihre Beine beginnen zu zittern. Es sieht so aus, als würden sie nachgeben, weshalb ich ihr helfe aufzustehen und reiche ihr ihren Gestock.
,, Danke, mein Junge. Mit dem Alter kommen die Probleme."
Sie überspielt das Ganze und wünscht mir eine gute Nacht.
Ich erwidere es und schaue ihr hinterher, denn ich habe Bedenken, ob sie es alleine noch die Treppen hoch schafft. Als sie oben angekommen ist, lege ich mich hin.
Bevor ich einschlafe, denke ich darüber nach, wie mein Leben abgelaufen wäre, wenn Helen mich ebenfalls vor drei Jahren adoptiert hätte.
Verärgert schlafe ich ein. Aufjedenfall wäre mein Leben nicht so verkorkst wie jetzt!
***
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, denn der Geruch von Speck kriecht mir durch die Nase und ich höre etwas leise braten.
Sofort reiße ich die Augen auf und sehe Evelyn vor mir, die mir eine Pfanne mit Speck entgegen hält und mich angrinst.
,, Aufstehen, Schlafmütze. Das Frühstück ist fertig," zieht sie mich mit einem Grinsen auf und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
,, Das nenn ich mal nen gescheiten Wecker," antworte ich und folge ihr hungrig in die Küche, in der Eric bereits am Herd steht und Spiegelei zubereitet.
,, Auch schon wach," begrüßt er mich und stellt die Spiegeleier auf den Tisch ab, der bereits für ein ordentliches Frühstück hergerichtet ist.
,, Gibs was zu feiern?," frage ich die beiden erstaunt und setze mich an den Tisch dazu.
,, Muss es für ein Frühstück was zu feiern geben?"
Evelyn lächelt mich an und reicht mir einen Korb mit Brötchen.
,, Für so ein Frühstück definitiv," erwidere ich und schlage ordentlich zu. Daran könnte ich mich gewöhnen.
,, Dein Gesicht sieht schon wieder besser aus. Das Lila ist definitiv schöner als das Blau," ziehe ich Eric während dem Frühstück auf.
Eric lacht.
,, Das findet Evelyn auch."
,, Gar nicht wahr. Ich hab nur gesagt, dass es heute besser aussieht."
Sie streckt Eric die Zunge raus, der die Geste erwidert.
Ich kann nicht verhindern, dass ich grinste. Es gefällt mir, mit den Beiden am Tisch zu sitzen und auf diese Art und Weise zu frühstücken. In gewisser Weise hat mir das die letzten Jahre gefehlt.
***
Nach dem Frühstück helfe ich den Beiden beim Abwaschen.
,, Wollte Helen nicht mit uns frühstücken?," fragt Evelyn Eric schließlich und dieser schüttelt den Kopf.
,, Sie fühlt sich heute nicht wohl und schläft. Ich wollte mit ihr zum Arzt fahren, aber sie weigert sich."
Eric sieht aus, als würde er sich Sorgen machen.
,, Sie ist sicherlich einfach nur müde, Eric," versucht Evelyn ihn zu beruhigen.
,, Ja vielleicht."
Er scheint nicht wirklich überzeugt zu sein.
Nach dem Frühstück verabschiedet sich Evelyn von uns und geht nach Hause, während ich und Eric nach oben gehen. Im Zimmer werfe ich ihm einen Controller zu.
Verwirrt schaut Eric den Controller und dann mich an.
,, Lust ne Runde zu zocken?," frage ich ihn gelangweilt.
Eric scheint für einen Moment überrascht zu sein, doch dann zuckt er mit den Schultern und stimmt zu, weshalb er sich neben mich aufs Sofa setzt und gemeinsam zocken wir ein Fußballspiel. An sich erinnert es mich an früher.
Nach einer Weile spreche ich ihn auf Harvard an.
,, Du hast mir gar nicht erzählt, dass du nach Harvard gehst," stelle ich fest, als wir gerade eine neue Mannschaft zusammenstellen.
Eric zuckt zusammen und hält mit dem Zusammenstellen inne.
,,Ich hab noch keine Gelegenheit gefunden es zu erwähnen. Außerdem dachte ich, es würde dich sowieso nicht interessieren."
Ich ziehe die Lippen zu einen Strich zusammen. Ich muss zugeben, es hätte mich anfangs wirklich nicht gejuckt.
,, Passt schon. Herzlichen Glückwunsch," erwidere ich stattdessen und klopfe ihn kurz auf die Schulter, wodurch Eric jetzt wirklich überrascht zu sein scheint.
,, Danke," nuschelt er nur, bevor das Spiel losgeht.
Als das Spiel zu Ende ist, sehe ich ihn an, denn ich muss es jetzt einfach wissen.
,, Wegen Evelyn. Wird sie wieder gesund ?," frage ich ihn schließlich und er schaut mich schockiert an.
,, Woher weißt du davon. Hat sie..?"
Ich unterbreche ihn.
,, Nein. Ich habe dich und ihren Vater an dem Tag, an dem sie zusammengebrochen ist, belauscht," gestehe ich und Eric atmet hörbar aus. Er schweigt.
,, Wird sie wieder gesund?," dränge ich ihn diesmal, doch Eric schweigt weiter. Er scheint mit Tränen zu kämpfen, was dazu führt, dass es mir eiskalt den Rücken runter läuft.
,, Alter. Jetzt sag doch einfach was!," fahre ich ihn an und bin kurz davor ihn am Kragen zu packen.
,, Ich weiß es nicht!," erwidert er schließlich aufgebracht.
,, Wie du weißt es nicht?"
,, Evelyn braucht ein neues Herz, aber ihre Blutgruppe ist selten. Es gibt kaum Spender. Wenn sie nicht bald ein Herz bekommt dann..."
Doch Eric kann nicht weiterreden.
,, Dann was?," frage ich und spüre, wie ich nervös werde.
Eric schweigt lange. Zu lange, weshalb ich es beinahe nicht mehr aushalte. Am liebsten würde ich ihn wieder am Kragen packen und es aus ihm herauspressen.
,, Dann wird sie sterben."
Eric wirft den Controller von sich und gehr aufgebracht aus dem Zimmer, während ich erstarrt im Zimmer zurückbleibe.
Ich bin zu geschockt, um irgendwas zu tun und starre eine Weile einfach nur den Bildschirm an. Auch wenn ich Evelyn kaum kenne, zieht mir die Tatsache, das sie eventuell bald sterben könnte, den Magen zusammen. Wenn es mir schon so nah geht, will ich nicht wissen, wie schwer es für meinen Bruder ist. Lange überlege ich, ob ich ihm folgen soll, doch ich kann nicht. Mir fällt nichts ein, was bei der Sache helfen würde. Deswegen bleibe ich einfach in Erics Zimmer und warte auf ihn.
Erst eine Stunde später kommt er wieder, legt sich auf sein Bett und schaut an die Wand, während ich auf dem Sofa sitzen bleibe.
,, Es tut mir leid," sage ich schließlich und lege mich ebenfalls hin.
,, Was denn?," höre ich Eric schließlich leise fragen.
,, Die Sache mit Evelyn."
Ich setze mich wieder hin, um Eric ansehen zu können.
,, Du kannst da nichts dafür," erwidert er einfach und wendet sich mir zu.
,, Trotzdem. Es tut mir leid. Das ganze ist echt scheiße."
Eric lacht kurz. Nur ein wenig aber dennoch ist es da.
,, Jetzt bist du derjenige, der sich zu viel entschuldigt."
,, Du bist eben ansteckend," schlussfolgere ich angewidert.
,, Gut möglich," erwidert er nochmal mit einen kleinen Lächeln, doch dann wirkt er wieder geknickt.
,, Es wird schon alles gut werden. Es wird ein Herz für sie geben," muntere ich ihn auf und er atmet niedergeschlagen aus.
,, Ich hoffe es."
Er dreht sich wieder um und ich lege mich ebenfalls wieder hin. Es dauert eine Weile bis ich schließlich einschlafe.