Aiden
Außer ein paar Prellungen und einigen Schrammen im Gesicht, hatte der Arzt bei Eric nichts weiter feststellen können. Bei seinem zugerichteten Gesicht war das echt ein Wunder.
Es hätte schlimmer ausgehen können.
Nach dem Gespräch mit dem Arzt wirkt nun auch endlich Evelyn beruhigt und kann sich dazu überreden lassen, Eric nicht dazu zu bringen, über Nacht im Krankenhaus zu bleiben.
Als wir dann endlich das Krankenhaus verlassen können, muss ich die Beiden wohl oder übel nach hause fahren. Schließlich ist es schon drei uhr nachts und Eric wirkt noch immer nicht ganz sicher auf den Beinen. Zu meinem Übel besteht Evelyn auch noch darauf, Eric zuerst nach Hause zu fahren, damit dieser sich sofort hinlegen kann. Das ist für mich nicht nur ein totaler Umweg, sondern geht mir auch ganz schön gegen den Strich. Schließlich bin ich nicht irgendein bescheuertes Taxi, das Leute gerne von A nach B kutschiert aber um ihr zu widersprechen bin ich einfach zu müde.
Nachdem ich Eric abgesetzt habe, sitze ich nun mit Evelyn allein in meinem Wagen und habe kein Plan was ich sagen soll und sie anscheinend auch nicht, weshalb erst mal ein angenehmes Schweigen im Wagen herrscht. Nach einer Weile beendet sie allerdings das Schweigen.
,, Was für ein Abend!," stöhnt sie müde und lässt sich in den Beifahrersitz zurück sinken.
Ich zucke mit den Schultern.
,, Zählt auch nicht zu meinen Top Ten."
Sie wirft mir ein müdes Lächeln zu und schaut dann Gedankenverloren aus dem Fenster.
,, Es war eine blöde Idee, feiern zu gehen. Das war echt das letzte Mal."
,, Nur weil die Party aus dem Ruder gelaufen ist, heißt das nicht, dass die Nächste das auch wird," erwidere ich und schalte die Heizung an, da es mittlerweile ganz schön kühl im Auto wird ,, Schlägereien passieren halt mal."
Evelyn schweigt auf meine Aussage eine Weile und schaut weiterhin in Gedanken versunken aus dem Fenster.
,, Ich dachte er bringt ihn um."
Mit einem ängstlichen Ausdruck sieht Evelyn weiterhin ins Leere und mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Irgendetwas hindert mich daran, weiter darüber nachzudenken.
,, Ist ja nochmal gut gegangen," sage ich stattdessen und hoffe, dass das Thema jetzt damit beendet ist.
,, Ja. Weil du ihm geholfen hast. Ohne dich weiß ich nicht, was passiert wäre."
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Evelyn mir einen Blick zuwirft, während ich versuche ihrem Blick auszuweichen. Auf ihre Aussage erwidere ich nichts.
,, Hast du ihn mittlerweile verziehen?," fragt sie mich schließlich und ich umklammere das Lenkrad fester.
Warum zur Hölle muss sie jetzt damit anfangen!
,, Nein. Hab ich nicht und das werde ich auch nicht!," antworte ich gereizt und sehe Evelyn nicht an. Stattdessen schalte ich das Radio lauter, doch Evelyn lässt die Sache nicht auf sich beruhen.
,, Wieso nicht ? Er ist dein Bruder, Aiden!"
Ich schnaube verärgert und werfe ihr einen gereizten Blick zu.
,, Man kann sich seine Familie leider nicht aussuchen!"
Evelyn erwidert meinen Blick und richtet sich im Sitz auf, während sie mich nicht aus den Augen lässt.
,, Ja. Das stimmt. Man kann sich seine Familie nicht aussuchen, aber man sollte froh sein, wenn man noch eine hat. Eric würde alles für dich tun und du hast nichts besseres zu tun, als ihn zu verachten und ihm das bei jeder Gelegenheit zu zeigen."
Sie sagt das ruhig, aber ich kann den Zorn in ihrer Stimme deutlich heraushören, den ich nicht so leicht verbergen kann.
,, Mir ist das scheiß egal! Ich brauche ihn nicht!," erwidere ich einfach nur und sehe weiterhin nach vorne. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass das Lenkrad bald abfällt.
,, Du lügst dich selbst an! Ich hab die Sorge heute in deinen Augen gesehen, als du Eric vorhin aufgeholfen hast. Du hast dir Sorgen um ihn gemacht und machst dir somit selbst was vor, wenn du sagst, dass er dir egal ist!"
Sie ist nun voll in Rage und redete ohne Punkt und Komma auf mich ein, während ich das Lenkrad immer fester umklammere.
,,Wieso lässt du es nicht einfach zu ? Wieso verdrängst du Eric weiterhin aus deinem Leben ? Wovor hast du verdammt nochmal angst?"
Mit jedem Satz wird sie drängender, weshalb ich die Kontrolle verliere.
,, Das geht dich ein Scheißdreck an und jetzt halt einfach die Klappe!"
Sobald ich es gesagt habe, bereue ich es auch schon, denn ich wollte Evelyn nicht anschreien. Ich schaue sie an und sehe ihren verletzten Blick.
,, Evelyn es.."
Ich will mich entschuldigen aber sie lässt mich nicht ausreden.
,, Lass es einfach!"
Sie wendet sich von mir ab und sieht wieder auf die Straße. Ich versuche mich auch wieder auf die Straße zu konzentrieren aber es gelingt mir nicht mehr wirklich. Evelyn hatte mich an einen Wunden Punkt getroffen, aber trotzdem hätte ich sie nicht so anschreien sollen.
Der Rest der Fahrt schweigen wir beide und diesmal ist mir die Stille unangenehm, aber was soll ich jetzt auch schon noch sagen? Vor Evelyns Haus halte ich an und sie steigt aus, ohne mich nocheinmal anzusehen. Kurz bevor sie die Autotür zu knallt, wendet sie sich allerdings doch noch einmal mir zu.
,, Du wirst alleine enden, wenn du so weiter machst. Sei ehrlich zu dir selbst und denk darüber nach, was du wirklich willst. Das Leben ist zu kurz, um Dinge loszulassen, die einem wichtig sind. "
Mit diesen Worten knallt Evelyn die Tür hinter sich zu und läuft zu ihrem Haus.
Ihre Worte gehen mir die ganze Fahrt zurück nicht mehr aus dem Kopf.
Eric
Müde versuche ich einzuschlafen, aber durch die Kopfschmerzen ist das gar nicht so einfach. Vorsichtig setze ich mich auf und öffne die Schublade meines Nachttischs, um eine Kopfschmerztablette rauszukramen, doch Aiden hat sie bereits alle aufgebraucht. Dann muss ich da jetzt wohl oder übel durch. Ausgelaugt setze ich mich auf mein Bett und lehne mich vorsichtig gegen die Wand, denn Liegen ist nicht so wirklich angenehm bei Kopfschmerzen.
Nach einer Zeit höre ich jemand die Treppen hochkommen. Langsam öffnet sich die Tür und Aiden kommt herein. Als er sieht, dass ich noch wach bin, hört er auf leise zu sein.
,, Na. Leben wir noch?," fragt er mich gelangweilt und ich lache kurz in mich hinein.
,, Ja. Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen."
Aiden lacht zu meiner Verwunderung ebenfalls leise und läuft auf mein Bett zu. Dann wirft er mir etwas zu und ich fange es reflexartig auf.
Es ist ein kleiner Eisbeutel.
,, Das könnte helfen," stellt er fest, während ich ihn erstaunt ansehe und wirft mir noch etwas zu, das ich wieder auffange. Diesmal sind es meine Kopfschmerztabletten. ,, Und die wahrscheinlich auch," erwidert er dazu.
Ich sehe ihn dankbar an. Warum tut er das ?
Er will gerade Richtung Sofa gehen, als ich ihn zurück halte.
,, Aiden warte."
Er dreht sich zu mir um und sieht mich genervt an.
,, Danke für das, was du heute getan hast. Nicht nur für mich, sondern auch für Evelyn."
Aiden runzelt die Stirn, doch dann kann ich ein kurzes Grinsen auf seinem Gesicht erkennen.
,, Du bedankst dich zu viel, weißt du das?"
,, Lieber zu viel, als zu wenig," erwidere ich mit einem Lächeln, während Aiden sich nun Richtung Sofa wendet.
,, Keine Ursache," murmelt er nur und legt sich hin. Eine Weile ist es still, weshalb ich vermute, dass Aiden bereits eingeschlafen ist, doch plötzlich setzt er sich wieder auf und sieht mich nochmal an.
,, Weißt du, Eric. Wenn einer meinen Bruder schlagen darf, dann bin ich das und sonst keiner! "
Unter anderen Umständen hätte dieser Satz als Drohung durchgehen können, aber Aiden sagt das so, als ob er es nicht zulassen würde, dass ein anderer mir etwas tut. Deshalb bin ich für einen Moment überrascht von dieser Aussage.
,, Einem Anderen würd ich's auch gar nicht mehr erlauben," erwidere ich mit dem Hauch eines Lächelns und glaube von weiten zu erkennen, dass Aiden ebenfalls ein Lächeln verdrängen muss.
,, Na dann ist ja gut."
Mit diesen Worten legt er sich wieder hin und nach ein paar Minuten bemerke ich, dass er eingeschlafen ist.
Bei mir dauert es noch eine Weile, bis ich schließlich einschlafe. Nicht wegen den Kopfschmerzen, sondern weil ich über Aiden nachdenke.
Der Abend heute hat mir eins gezeigt...
Irgendwo in Aiden steckt noch mein Bruder, den ich damals zurückgelassen hatte und ich werde alles dafür tun, um ihn wieder zurück zu bekommen...