Danger ↣ l.t

By phenomenalien

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»Du musst dich von mir fernhalten, ich meine es Ernst.« »Aber ich will mich nicht mehr von dir fernhalten!« »... More

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By phenomenalien

F A Y E

"Faye?", eine Stimme, die erschreckend nach meiner Mutter klang, rief zu mir.

Erschrocken sprang ich auf und stolperte in den Flur.

"Mum, Dad! Ihr seid schon wieder da?", fragte ich verwirrt und umarmte die beiden zur Begrüßung.

Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sich die Haustür geöffnet hatte. Zu sehr war ich mit dem Fernseher beschäftigt gewesen, was mir jetzt im Nachhinein echt peinlich war. Schließlich hätte ich doch hören müssen, wenn auf einmal die Haustür aufging! Doch glücklicherweise hatten meine Eltern nichts von meiner Verwirrung mitbekommen.

"Hilfst du uns mal bitte, Schatz?", fragte meine Mum, als ich mich von ihr löste, versuchte ihr Gesicht zu verstecken und deutete hinter sich nach draußen in den Kofferraum des Autos, indem noch das Gepäck meiner Eltern lag.

"Ja, natürlich.", nickte ich schnell und lief besorgt auf Socken nach draußen, um eine große Reisetasche zu packen und reinzuschleppen.

Ich wusste, eigentlich sollte ich mich nach meiner Großmutter erkunden. Doch als ich in die Gesichter meiner Eltern blickte und nach irgendwelchen Informationen suchte, traute ich mich nicht nachzufragen.

Auch wenn meine Mum versuchte, es hinter ihrem gequälten Lächeln zu verstecken, sah ich, dass ihre Augen noch immer Rot vom weinen waren und sie sehr erschöpft war. Und mein Dad hatte einen traurigen Ausdruck in den Augen und sein Blick huschte immer wieder besorgt zu meiner Mum. Das konnten keine Guten Nachrichten werden, so sehr ich es auch gehofft hatte.

"Danke Faye.", sagte mein Vater, als ich die Taschen in das Schlafzimmer meiner Eltern gebracht hatte und rieb sich müde übers Gesicht.

Ich lächelte meinen Dad leicht an, bevor ich an ihm vorbei ging und meine Mum suchte. Ehrlich gesagt machte ich mir ein wenig Sorgen um meine Mum. Schließlich war das ihre Mutter, die gerade wegen Krebs im Krankenhaus liegt.

'Oder auch nicht.', fügte die Stimme in meinem Kopf bitter hinzu. Energisch schüttelte ich den Kopf. Meine Granny ist stark. Auch wenn alle Ärzte die Hoffnung aufgaben; sie hatte bestimmt noch eine Chance.

"Mum?", rief ich und schluckte. Auch wenn ich Angst vor der Antwort hatte, so wollte ich trotzdem wissen, was nun passiert war.

Als ich den Kopf in die Türspalte des Wohnzimmers steckte, entdeckte ich meine Mum weiter hinten auf die Wand starren, an der unsere Familienbilder hingen. Auch Bilder von meiner Granny waren dort vorhanden. Gerade als ich eintreten wollte, hob sie langsam ihre Hand und strich damit zärtlich über ein Bild, das ich von hier aus nicht erkennen konnte. Traurig musste ich mit ansehen, wie meiner Mum ein Träne die Wange hinunterrollte. Es zerbrach mir das Herz, sie so zu sehen. Ich atmete einmal tief durch, dann zwängte ich mich durch den Türspalt und ging langsam auf meine Mutter zu. Inzwischen hatte sie den Kopf gesenkt und starrte auf den Boden, die Hand aber immer noch auf dem Bild.

"Mum?", flüsterte ich leise als ich hinter hier stand.

Langsam drehte sie sich um, ein tieftrauriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Als sie mir in die Augen schaute und meine Frage las, schüttelte sie kaum merklich den Kopf. Ich schluckte schwer und bemerkte, wie meine Augen gläsern wurden. Sie hatte es nicht geschafft. Meine Unterlippe zitterte, doch bevor die erste Träne meine Augen verlassen konnte, schloss meine Mum mich in ihre Arme. Sofort schlang ich meine Arme um ihren Rücken, vergrub mein Gesicht in ihrer Halsbeuge und schluchzte auf. Seit dem Abend, an dem ich es erfahren hatte, hatte ich deswegen keine Träne mehr verloren. Doch jetzt sprudelte alles aus mir raus, die Tränen wollten kein Ende nehmen, während meine Mum versuchte stark zu bleiben und beruhigend über meinen Rücken strich.

"Nächste Woche Samstag wird sie dem Friedhof in Chelmsford beigesetzt." Ihre Stimme klang gequält, als sie diese in mein Ohr wisperte. Diese Worte waren so abwegig; ich konnte mir nicht vorstellen, dass meine Granny jemals begraben werden würde. Es passte einfach nicht zu ihr. Ich konnte spüren, dass sie schwer schluckte, bevor sie weitersprach.

"Sie war stark. Sie hat bis zum letzten Atemzug gekämpft. Ein Glück hatte sie... keine Schmerzen, dafür haben die Ärzte gesorgt. Es tut mir leid Faye..."
Ihre Stimme brach am Ende, und wieder schluckte sie schwer, um sich in den Griff zu bekommen.

Wieder konnte ich mir ein Schluchzen nicht unterdrücken und ich presste mein von Tränen nasses Gesicht noch mehr in die Halsbeuge meiner Mum. Natürlich hatte sie gekämpft, was anderes hatte ich auch nicht erwartet. Meine Granny war eine starke Frau, sie würde nicht einfach so aufgeben.

Lange Zeit standen wir noch in dieser Umarmung im Wohnzimmer. Lange war das einzige Geräusch, dass die Stille durchdrang, das gelegentliche Schluchzen von mir und das daraufhin beruhigende 'Shh' meiner Mum. So lange, bis sie die Hände an meine Wangen legte und mich somit zwang, sie anzusehen.

"Es wird alles gut, hörst du? Ihr geht es jetzt bestimmt besser.", sprach sie liebevoll und wischte mir die Tränen weg. Ich liebte meine Mum einfach. Sie war die Beste.

Langsam nickte ich und brachte ein kleines Lächeln zustande.

"Genau das wollte ich sehen. Tut mir wahnsinnig leid, aber dein Dad und ich haben noch eine Menge zutun.", traurig lächelte sie und legte ihre Lippen kurz an meine Stirn, bevor sie aus dem Wohnzimmer lief und mich eine eisige Kälte durchfuhr.

Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte; doch ich wollte unbedingt eine Ablenkung. Nach einem kurzen Schniefen wischte ich mir mit meinem Handrücken über meine brennenden Augen und warf einen Blick aus der Terassentür im Wohnzimmer.

Das Wetter sah gut aus; Es war zwar bewölkt, doch es regnete nicht. Sollte ich vielleicht einen Spaziergang in den Park machen? Ablenkung wäre es auf jedenfall und zusätzlich würde ich auch noch an die frische Luft kommen. Diese Argumente reichten mir aus und ich machte mich auf den Weg nach oben in mein Zimmer.

Krampfhaft ignorierte ich das Chaos in meinem Zimmer und suchte mir Klamotten aus dem Schrank.

Bereits zehn Minuten später stand ich in meiner Jacke und mit meinem Handy in der Hand draußen vor der Tür. Kurz schloss ich die Augen; atmete die frische Luft ein. Schließlich machte ich mich auf den Weg in den Park.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass meine Mum total dagegen gewesen wäre, wenn ich jetzt alleine in den Park gehen würde. Aber als ich ihr Bescheid gegeben hatte, hatte sie mich nur still angeschaut und verständnisvoll genickt. Vielleicht hatte sie auch nur zugestimmt, weil sie dachte, dass ich eine Auszeit brauche? Was dann auch die Wahrheit gewesen wäre.

Der kalte Wind pfiff mir um die Ohren und meine Wangen fühlten sich taub an vor Kälte. Zitternd schaute ich nach oben und musste feststellen, dass der Himmel sich deutlich verdunkelt hatte. Mist. Entweder wird es gleich regnen, schneien oder noch schlimmer; Gewittern. Doch ich wollte jetzt auch nicht umdrehen, denn ich befand mich schon kurz vor dem Park. Wieso musste eigentlich immer ich so ein Pech haben?

Mit schlurfenden Schritten betrat ich den Park und musste feststellen, dass es hier wie leergefegt war. Nirgendswo saß ein Pärchen, nirgendswo spielten kleine Kinder, nirgendswo standen Jugendliche in Gruppen und unterhielten sich. Man könnte sogar meinen, selbst die Tiere existierten nicht mehr. Alles war gespenstisch still, meine Schritte auf dem Kiesweg waren das einzige Geräusch, dass die Stille durchschnitt. Mir wurde ein bisschen mulmig zumute, weil mich diese Stille an meinen Traum erinnerte. Doch es war nur ein Traum. Und Träume sind nicht die Realität.

Kurz blieb ich stehen und schaute mich nach einer Sitzgelegenheit um. Ein bisschen weiter weg fand ich eine Holzbank, auf die ich nun zulief. Doch kurz bevor ich ankam, hörte ich Stimmen und das Geräusch von schnellen Schritten hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um, doch mein Puls beruhigte sich relativ schnell wieder als ich sah, dass es nur zwei Jogger waren. Erleichtert atmete ich aus. 'Reiß dich zusammen, Faye!', schimpfte meine Innere Stimme mit mir.
Ich wusste selber nicht wieso mich sowas aus der Ruhe brachte, aber es ärgerte mich.
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf die kalte Bank sinken.

Ich schloss kurz die Augen und bemerkte, wie ich die zuvor gruselige Stille nun genoss. Es tat gut, einmal keine Leute um sich herumzuhaben und einfach die frische Luft zu genießen. Es war einfach Wundervoll. Der Wind fegte durch die Bäume, ließ die Blätter ein wenig Rascheln und blies mir die Haare ins Gesicht. Langsam hob ich meine Hand und strich mit meinen kalten Fingen die Haare wieder aus dem Gesicht. Schließlich öffnete ich die Augen wieder und starrte ins Dickicht vor mir, bis mir ein leichtes Kribbeln in der Nackengegend das Gefühl gab, beobachtet zu werden. Leicht mulmig zumute drehte ich meinen Kopf in alle Richtungen, ließ meinen Blick umherschweifen, doch meine Augen konnten nichts verdächtiges erkennen. So langsam dachte ich, ich werde verrückt. Jedes mal dachte ich bei dem auch nur kleinsten Geräusch, dass ich verfolgt werde; Jedes mal wenn ich alleine unterwegs war, hatte ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und fühlte mich gleich beobachtet. Ich wusste selbst nicht, wieso das jetzt so war. Früher hatte ich solche Sachen nie verspürt, erst seitdem ich die erste Begegnung mit Louis hatte.

Ein Schauder lief meinen Rücken hinab als ich daran dachte, wie viel Angst ich hatte, als er mich angesprochen hatte und meinen Namen wusste. Wie seine Piercings im Licht der Straßenlaterne ein gefährliches Funkeln verbreiteten, wie seine Tattoos im Kontrast des leichten Lichtes besonders hervortraten. Wie seine Haare verwuschelt auf seinem Kopf lagen, seine Ringe an meinem Schlüsselbund geklackt hatten. Und vorallem, wie seine heisere, leise Stimme seine Gefährlichkeit noch mehr zum Ausdruck brachte.

Und nun? Obwohl ich jetzt schon mehrere Begegnungen mit ihm hatte, ist die Angst immer noch nicht komplett verschwunden. In meinem Kopf schwirrte ständig dieser Gedanke, ob und wie viele Menschen er wohl schon verletzt hatte. Wie vielen er schon das Leben genommen hatte. Denn auch wenn ein kleiner Teil von mir es nicht glauben wollte, so ist er immer noch ein Drogendealer. Und soviel ich über dieses Geschäft wusste, musste man dort auch über Leichen gehen. Es war verschreckend, wie viele Leute bei einem Geschäft umkamen, obwohl es nicht mal erlaubt war. Wie viele Menschen ihr Leben mit den illegalen Substanzen zerstören. Schon seit dem ich wusste was Drogen sind, hatte ich mich gefragt, wieso ein Mensch wohl Drogen nahm, obwohl er eigentlich ganz genau wissen müsste, dass es ihn umbringen könnte. Einmal hatte ich Tyler diese Frage gestellt und er meinte, ich solle mir über sowas abscheuliches keine Gedanken machen. In dem Biologieunterricht wurde uns gesagt, dass die Menschen Drogen zu sich nehmen, um sich gut zu fühlen. Um einfach dem Alltag zu entkommen, um sich eine eigene Welt aufzubauen. Sie würden diesen Adrenalinkick lieben, würden es lieben, etwas verbotenes zu tun. Doch es hatte doch wohl einen Grund, warum es verboten war, oder? Und das es dann auch noch solche Menschen gab, die den Drogenkonsum auch noch unterstützten, indem sie es illegal verkauften, war widerwärtig. Sie wollten nur schnelles Geld machen und dachten gar nicht daran, was sich die Leute damit antun könnten.
Ich war so mit diesen Gedanken beschäftigt, dass ich nicht mal mitbekam, wie sich Schritte auf dem Kiesweg mir näherten. Erst als mir Zigarettenrauch in die Nase stieg und sich jemand neben mich setzte, fuhr mein Kopf erschrocken herum, meinem Mund entwich ein kleiner Schrei und ich machte einen Satz zur Seite, wobei ich fast von der Bank gefallen wäre, wenn die Person neben mir mich nicht lachend festgehalten hätte.

"Du musst doch nicht gleich vor mir runterfliegen. Ein einfaches 'Hallo' hätte auch gereicht.", schmunzelte er und ein Grinsen umspielte seine Lippen.

Verärgert, aber den Schreck immer noch in den Knochen, schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch, um meinen Herzschlag und meinen Atem wieder zu beruhigen. Als ich sie wieder öffnete war es so still, dass ich hoffte, er wäre wieder weggegangen. Doch als ich meinen Kopf nach rechts drehte und direkt in seine braunen Augen sah, zerplatzte die Hoffnung wie eine Seifenblase.

Es war Liam.

Doch bevor ich überhaupt irgendetwas entgegnen konnte, redete er weiter.

"Was machst du eigentlich alleine hier? Wartest du auf jemanden?"

Schon zum zweiten Mal wunderte ich mich über seine Neugier. Aber es war keine schlimme oder gar besitzergreifende Neugier, es war eher eine freundliche Neugier. Als wenn es ihm wirklich interessieren würde. Und das brachte mich dazu, nicht wirklich Angst vor ihm zu haben. Ich stufte Liam eher als harmlos ein. Auch wenn er ganz und gar nicht so aussah.

Ich beobachtete, wie er die nur halbaufgerauchte Zigarette wegschnippte und den Rauch extra in eine andere Richtung aussblies als ich saß. Sofort musste ich an die Momente denken, an den Louis mir den Rauch entweder extra ins Gesicht geblasen, oder gar nicht darauf geachtet hatte, wohin er ihn blies. Ihm war es immer egal.

Kurz räusperte ich mich bevor ich antwortete, weil ich befürchtete, meine Stimme könnte heiser klingen.

"Nein, ich warte auf niemanden."

Ich zuckte mit der Schulter und starrte auf den Boden. Irgendwie war mir Liams Anwesenheit nicht mal unangenehm. Ich fand es irgendwie sogar gut, dass er hier war und ich nicht mehr ganz so alleine hier rumsaß.

"Und du? Was machst du hier?", fragte ich und wand ihm mein Gesicht zu.

Es sah aus, als wäre er in Gedanken und ich bemerkte nervös, wie er mit gerunzelter Stirn mein Gesicht studierte. Schließlich schob er seine Hände in die Taschen seiner Jeans, schaute auf den Boden und zuckte mit der Schulter.

"Ich hab dich hier sitzen sehen. Also bin ich hergekommen."

Wieso sollte er hier herkommen, wenn er mich hier sitzen sieht? Ich fand es ein bischen komisch; schließlich kannten wir uns nicht mal richtig. Aber ich beließ es dabei, nickte leicht, bevor ich meinen Blick wieder auf den Boden haften ließ.

"Aber du hast mir meine andere Frage nicht beantwortet.", sprach Liam nach einer Weile Stille, in der jeder seinen eigenen Gedanken hinterherhing.

"Welche Frage?", verwirrt wand ich ihm wieder mein Gesicht zu und runzelte die Stirn.

"Was du hier alleine machst."

Was ging ihm das an? Wieso interessierte er sich dafür, was ich hier alleine mache? Ich wusste nicht so recht, ob ich ihm die Frage beantworten sollte. Was würde es ihm oder mir bringen, wenn er es wüsste?

Doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, landete ein kleiner Tropfen auf meiner Nase. Langsam hob ich meinen Kopf und innerhalb weniger Sekunden wurden es immer mehr Tropfen. Es fing an zu Regnen.

Liam hatte es auch bemerkt und seuftze einmal, bevor er sich erhob und mir seine Hand hinhielt. Verwirrt sah ich von seiner Hand zu seinen Augen. Leicht lächelnd hob er die Augenbrauen und deutete mit seinem Blick auf seine Hand.
"Komm mit, oder willst du hier im Regen sitzen bleiben?", schmunzelte er.

Er wollte, dass ich mitkam? Meine Augen weiteten sich und erinnerten sich an die Worte, die meine Eltern mir damals immer eingeschärft hatten; Gehe nie mit einem Fremden mit.

War er denn ein Fremder? Natürlich war Liam ein Fremder für mich. Schließlich wusste ich außer seinem Vornamen und seinem Job rein gar nichts. Ich wusste nichtmal seinen Nachnamen!

Inzwischen regnete es in Strömen und meine Kleidung war bis aufs letzte Stück durchnässt. Ich sah, wie Liam immer ungeduldiger wurde und schließlich seufzte er einmal.

"Ich... Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist...", murmelte ich leise und vermied es, ihn anzusehen. Ich fand diese Situation ein wenig unangenehm, weil ich Angst hatte, etwas falsches zu sagen. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, dass ich ihn wegen seinem Aussehen nicht mochte.

"Ach komm schon. Ich werde dich schon nicht entführen. Ich will nur sicher gehen, dass du nicht hier im Regen sitzen bleibst. Wie wärs..."
Ich hob meinen Kopf und sah, wie er kurz überlegte.

"Genau, wie wärs, wenn wir etwas trinken gehen? Damit du mir glaubst?"
Ein kleines Lächeln fand auf seinen Lippen Platz, doch ich sah ihn nur verständnislos an. Er wollte mit mir was trinken gehen?
Liam schien zu bemerken was ich dachte und schüttelte lachend den Kopf.

"Nein, ich meinte nicht das trinken gehen. Ich meinte eigentlich einen Kaffee oder sowas ähnliches. Obwohl, zu einem Bier würde ich auch nicht Nein sagen.", zwinkerte er.

Im selben Moment blitze etwas grelles von der Seite auf und für einen kurzen Augenblick erhellte sich sein Augenbrauenpiercing. Kurz darauf ertönte ein lauter Knall und ich zuckte erschrocken zusammen und sah mich panisch um. Mist. Es gewitterte und wir befanden uns in einem Park, umgeben von lauter Bäumen.

Liam sah sich etwas besorgt um; ihm schien der selbe Gedanke gekommen zu sein.

"Unser Stichwort zu gehen. Komm mit."

Damit hatte er mich, denn ich wollte nicht durch einen Blitzeinschlag sterben. Schnell stand ich auf und kurz darauf rannten Liam und ich durch den Park, auf den Weg wo auch immer hin.

Der eiskalte Regen peitschte mir hart ins Gesicht und ich wünschte, ich wäre gar nicht erst auf die Idee gekommen, nach draußen in den Park zu gehen. Dann hätte ich jetzt schön Zuhause sitzen können, eine Tasse warmen Tee in der Hand und aus dem Fenster schauend. Nein, stattdessen rannte ich mit einem Drogendealer mitten durch den strömenden Regen, vor den Blitzen flüchtend durch einen Park.

Ich hatte einige Mühe mit Liam Schritt zu halten und der Kies knirschte unangenehm unter unseren mittlerweile durchnässten Schuhen. Ich wusste, lange könnte ich nicht mehr so weiter rennen. Mein Herz pochte schmerzhaft gegen meine Rippen und ich hatte das Gefühl, dass es mir gleich aus der Brust springen würde. Schweratmend und die Hände auf meine Knie gestützt hielt ich an und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

"Liam...!", japste ich in der Hoffnung, er hätte mich gehört.

Ich hatte Glück; sofort drehte er sich um und blieb stehen.
Meine Haare hingen klatschnass in meinem Gesicht und ich hob eine Hand, um sie mir aus meinem Sichtfeld zu wischen.

"Ich kann nicht mehr...", holte ich Luft und sah, wie Liam sich ein Lächeln zurückhalten musste. Was war daran jetzt so witzig?

"Komm schon Faye, es ist nicht mehr weit.", rief er über ein weiteres lautes Grollen eines Donners hinweg. Seine Haare waren ebenfalls klatschnass, obwohl er eine Kapuze aufhatte und sahen keineswegs mehr hochgegeelt aus.

Der Regen lief eiskalt meinen Nacken hinunter und ich dachte daran, was meine Eltern wohl davon halten würden, wenn ich jetzt einfach im Regen stehen bleiben würde. Ich schloss einmal kurz die Augen, atmete tief durch und rannte weiter. Sobald Liam mitbekam, dass ich wieder rannte, drehte auch er sich um und lief weiter. Doch zum Glück verlangsamte er seinen Schritt mir zuliebe etwas, um neben mir zu laufen.

"Siehst du das schwarze Auto auf der anderen Straßenseite?", fragte Liam so normal, als wenn er gerade überhaupt nicht Rennen würde und es ihm nicht auch nur ein wenig Anstrengung kosten würde.

Trotzdem sah ich auf und blickte nach vorne, wo sich eine Straße befand und auf deren anderen Seite tatsächlich ein schwarzes Auto parkte. Ich brachte nur ein Nicken zustande, zu einer anderen Antwort war ich im Moment nicht fähig.

"Gut, da müssen wir hin. Es ist nicht mehr weit.", sagte Liam und bestätigte damit meinen Verdacht, dass das Auto ihm gehört.

Aber wollte ich wirklich mit ihm mitfahren? Was wäre, wenn er mir doch etwas antun möchte? Aber dann hätte er doch schon längst die Möglichkeit gehabt, oder? Schließlich saßen wir vorher alleine im Park. Vielleicht sollte ich Liam einfach vertrauen und mir nicht immer so viele Gedanken machen. Das wäre in dem Moment das einfachste; denn die Kraft zum wegrennen hatte ich nicht und ich wusste sowieso, dass er schneller als ich war.

Endlich spürte ich nicht mehr den Kiesweg, sondern die gepflasterte Straße unter meinen Füßen. Der Regen prasselte hart auf den schwarzen Asphalt und die Schritte klatschten laut und ließen das angesammelte Wasser hochspritzen.

Endlich kamen wir bei dem Auto an. Ich konnte sehen, wie Liam auf den Knopf seines Autoschlüssels drückte und daraufhin das Licht des Autos aufblinkte.

"Du musst auf der anderen Seite einsteigen.", rief Liam mir über der Lautstärke des Regens zu.

Schweratmend und keuchend lief ich die letzten Schritte ums Auto herum, öffnete mit zitternden Händen die Tür und ließ mich auf den Ledernen Sitz sinken, bevor ich die Tür wieder schloss.

Die einzigen Geräusche, die im Auto zuhören waren, waren das schnappartige Atmen meinerseits und der Regen, der auf das Autodach prasselte.

Eine Weile passierte gar nichts, die Stille machte mir ehrlich gesagt ein wenig Angst. Wieso sagte Liam denn nichts? Ich warf einen kurzen Blick in seine Richtung, schaute aber sofort wieder weg als ich direkt in seine braunen Augen starrte, die mich nachdenklich musterten. Hatte er mich schon die ganze Zeit angeschaut?

"Uhm... Ist irgendwas?", fragte ich verunsichert und schaute dabei auf meine Hände.

"Nein, alles gut. Du hast mich nur an etwas erinnert.", zuckte er die Schultern und startete den Motor.

Erleichtert blies ich die Luft aus und schob mir meine nassen Haare aus dem Gesicht.

"Willst du dich nicht anschnallen?", fragte seine Stimme und ich bemerkte peinlich berührt, dass er nur darauf wartete, damit er endlich losfahren konnte.

Mit wahrscheinlich rotem Kopf griff ich nach dem Gurt und ließ ihn einrasten.

"Wo fährst du eigentlich hin?", fragte ich ihn, als er losfuhr und leise Musik aus dem Radio ertönte.

Als ich ihm wieder mein Gesicht zuwandte sah ich, dass er konzentriert auf die Straße schaute und sehr langsam fuhr. Ich war froh, dass er wenigstens vorsichtig Auto fuhr, was bei den wenigsten der Fall war.

"Was trinken, hatte ich doch gesagt?", antwortete er und ich beließ es dabei.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die kalte Scheibe und schaute dabei aus dem Fenster. Als ich bemerkte, dass man durch den Regen nicht rausschauen konnte, schloss ich einfach meine Augen und hörte der Musik aus dem Radio zu. Mein Atem hatte sich wieder beruhigt und mein Herz pochte wieder im normalen Tempo. Doch jetzt wurde mir sehr kalt und ich rieb mir zitternd die Handflächen gegeneinander, um wenigstens etwas Wärme zu erzeugen. Die nassen Sachen, die an meiner Haut klebten machten es nicht gerade besser.

"Ist dir Kalt? Warte eben, wird gleich warm.", unterbrach Liam die Stille und drehte an einem Rad am Armaturenbrett.

"Danke...", murmelte ich und beobachtete, wie er es mit einem Nicken abtat.

"Und Danke dafür, dass du mich mitnimmst...", fügte ich leise hinzu und ich Liam leicht schmunzeln, während ich bemerkte, wie es langsam warm im Auto wurde.

"Schon gut. Ich konnte dich ja nicht im Regen sitzen lassen. Was für ein Typ wäre ich denn dann?"

Ein Lachen verließ meine Lippen und er lachte mit. Danach herrschte wieder ein unangenehmes Schweigen, aber ich wusste auch nicht, wie ich es brechen sollte.

Nach weiteren zehn Minuten wurde der Wagen schließlich langsamer, bis er dann ganz stoppte. Neugierig sah ich mich um, zog aber die Stirn kraus als ich bemerkte, dass ich die Umgebung nicht kannte. Vielleicht lag das aber auch daran, weil die Fensterscheibe durch den Regen so verschwommen war und ich deshalb nichts wiedererkennen konnte?

Doch als ich mich abschnallte und Liam nach draußen folgte, musste ich feststellen, dass ich diese Umgebung wirklich nicht kannte. Es standen lauter Reihenhäuser auf der linken und rechten Straßenseite, nur das Gebäude, vor dem wir geparkt hatten war ein Haus in dem sich mehrere Wohnungen befanden.

Mir wurde mulmig zumute, da Liam gesagt hatte, wir würden einen Kaffee trinken gehen und wir nun aber vor keinem Café oder ähnlichem standen. War es ein Fehler ihm zu vertrauen?

"Liam...?"

Ich konnte die wachsende Angst in meiner Stimme nicht verstecken und sah ihn fragend an.

Liam sah mich an, zuckte die Schultern und sagte leicht entschuldigend lächelnd:

"Tut mir leid, aber ich dachte, dass ich dich mit zu mir nehme. Ich mag es nicht im Café von allen Seiten angestarrt zu werden und außerdem kannst du dich hier besser aufwärmen."

Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an. Ich hätte nicht mit ihm mitfahren dürfen! Jetzt war ich an einem Ort irgendwo in Chelmsford, wo ich mich überhaupt nicht auskannte, mit einem Fremden. Er könnte weiß ich nicht mit mir anstellen und das nur, weil ich es bequemer fand, mit einem Fremden mitzufahren, anstatt einfach abzulehnen und nach Hause zu gehen. Meine Eltern machten sich bestimmt schon Sorgen, wo ich bei diesem Scheußlichen Wetter abgeblieben war. Gewissensbisse machten sich in mir breit und bevor ich wusste was ich tat, lief ich ein paar Schritte nach hinten, wobei ich Liam immernoch in die Augen schaute.

Sein Lächeln verblasste allmählich und er schien zu bemerken, was in mir vorging. In seinen Augen blitzte Reue auf.

"Es tut mir leid Faye. Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee. Wenn du möchtest, kann ich dich auch wieder nach Hause fahren, du musst nicht hierbleiben."

Nein, den selben Fehler werde ich nicht noch einmal machen. Doch wie sollte ich sonst nach Hause kommen? Zweifelnd schaute ich mich noch einmal um, in der Hoffnung vielleicht doch noch irgendetwas wiederzuerkennen, doch keine Chance. Hier war ich noch nie. Hätte ich doch während der Autofahrt besser aufgepasst!

"Okay, pass auf. Ich werde jetzt eben rein gehen und eine Decke oder sowas holen und dann werde ich dich nach Hause fahren, einverstanden? Wenn du willst, kannst du auch mit reinkommen, wie du vielleicht bemerkt hast, regnet es nämlich immer noch."

Was sollte ich denn jetzt tun? Mit reingehen wollte ich auf keinenfall, aber draußen im Regen stehen bleiben wollte ich auch nicht. Mir war jetzt schon so kalt, dass ich einige Gliedmaßen nicht mehr spüren konnte. Doch wer könnte mir überhaupt versichern, dass Liam mich auch wirklich nach Hause bringen würde? Verzweifelt biss ich mir auf die Unterlippe, bis ich mich an das Argument erinnerte, dass mich dazu gebracht hatte, mit Liam mitzufahren; Er hätte mir schon längst etwas im Park antun können. Zwar könnte er auch einfach nur darauf gewartet haben, dass ich mit zu ihm fahre, aber den Gedanken schob ich ganz nach hinten in meinen Kopf, da mich der andere etwas beruhigte.

Noch einmal sah ich Liam in die Augen, in denen nichts anderes als Geduld zu finden waren und fasste einen Entschluss. Auch wenn es vielleicht die falsche Entscheidung gewesen sein könnte, so lief ich dennoch mit wild pochendem Herzen und langsamen Schritten auf Liam zu, dessen Gesichtszüge sich hoben, bevor er sich zu dem Gebäude umdrehte und darauf zulief.

Ich folgte ihm mit einem Abstand und blieb hinter ihm stehen, als er sich an dem Türschloss ranmachte. Die Tür sprang mit einem quietschen auf und ich lief hinter ihm hinein in das Treppenhaus.
Es sah nicht wirklich gemütlich und gepflegt aus, im Gegenteil; Überall waren Tapetenstücke abgerissen oder Fetzen hingen von der Wand herab. Die Wand war mit Schmutz befleckt und hier und da hatte jemand etwas raufgekrigelt. Mit vorsichtigen Schritten, die als Echo im komplettem Treppenhaus wiederhallten, folgte ich Liam die Treppenstufen hinauf. Ein Blick auf die verschiedenen Wohnungstüren zeigte, dass hier so gut wie keiner wohnte, oder sie es nicht zeigen wollten, denn die Türen waren alle heruntergekommen und unpersonalisiert. Als wir die fünfte Treppe emporkletterten und ich schon leicht außer Atem war, kamen wir in einem Geschoss an, in dem keine weitere Treppe mehr nach oben führte, was hieß, dass wir uns nun ganz oben im letztem Stock befanden.

Ich schluckte einmal schwer, bevor Liam wahrscheinlich seine Wohnungstür aufschloss. Das Klicken des Türschlosses kam einem hier in dem schäbigen und heruntergekommenen Treppenhaus unnatürlich laut vor und ich wunderte mich, wie Liam hier überhaupt wohnen wollen würde.

Liam drehte sich noch einmal zu mir um, bevor er vor mir in seine Wohnung ging und ich ihm mit einem mulmigen Gefühl folgte. Worauf hatte ich mich hier überhaupt eingelassen?

Ich schloss die Tür hinter mir und war gerade im Begriff mich in dem Flur umzusehen, als eine Stimme ertönte.

"Liam du Pisser, wo verdammt nochmal warst du?"

Erschrocken schaute ich an Liam vorbei, der Augenblicklich genervt aufstöhnte.

"Da wo du nicht warst.", erwiderte Liam.

Und genau in dem Moment wanderten die Augen unseres Gegenübers zu mir und blieben bei mir stehen. Mit vor Entsetzen weit aufgerissen Augen starrte ich in seine mehrfarbigen.

____________

Surprise, surprise!

Naa, wer ist das wohl? ;-)



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