Mate - Aeternitas

By jesuisannasophie

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[ gen.: aeternitātis (f.) lat. - Ewigkeit, Unvergänglichkeit, Verewigung ] Die zwischen den Baumwipflen eine... More

Information
I. Until Midnight
prolog
(I) eins
(I) zwei
(I) drei
(I) vier
(I) fünf
(I) sechs
(I) sieben
(I) acht
(I) neun
(I) zehn
(I) zwölf
(I) dreizehn
(I) vierzehn
(I) fünfzehn
(I) sechzehn
(I) siebzehn
(I) achtzehn
(I) neunzehn
(I) zwanzig
(I) einundzwanzig
(I) zweiundzwanzig
(I) dreiundzwanzig
(I) vierundzwanzig
(I) fünfundzwanzig
II. After Moon's Rising
(II) eins
(II) zwei
(II) drei
(II) vier
(II) fünf
(II) sechs
(II) sieben
(II) acht
(II) neun
(II) zehn
(II) elf
(II) zwölf
(II) dreizehn
(II) vierzehn
(II) fünfzehn
III. Between Night's Shadows
(III) eins
(III) zwei
(III) drei
(III) vier
(III) fünf
(III) sechs
(III) sieben
(III) acht
(III) neun
(III) zehn
(III) elf
(III) zwölf
epilog
Danksagung

(I) elf

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By jesuisannasophie

Lilian

Alles wandelt sich, nichts vergeht.

Es gibt im ganzen Weltkreis nichts Beständiges. Alles ist im Fluss, und jedes Bild wird gestaltet, während es vorübergeht. Ja, auch die Zeiten gleiten in ständiger Bewegung dahin, nicht anders als ein Strom. Denn stillstehen kann weder der Fluss noch die flüchtige Stunde ... Kein Ding behält seine eigene Erscheinung, und die ewig schöpferische Natur lässt eine neue Gestalt aus der anderen hervorgehen, und – glaubt mir – in der ganzen Welt geht nichts zugrunde, sondern es wandelt sich und erneuert sein Gesicht ... Und während vielleicht das eine hierhin, das andere dorthin übertragen wird, bleibt doch insgesamt alles bestehen.

Ich las die Zeilen aus Ovids Metamorphosen erneut. Und dann erneut, und erneut.

„Alles wandelt sich, nichts vergeht", murmelte ich zum wiederholten Male vor mich hin und ein Mädchen aus einem der unteren Jahrgänge, das im selben Gang der Schulbibliothek saß, sah mich verwundert an. Ich ignorierte sie und griff meinem Kaffeebecher, dessen Inhalt ich in einem großen Schluck meine Kehle hinunterlaufen ließ.

Alles wandelt sich, nichts vergeht. Man konnte nicht einfach sagen, dass wir Menschen egoistisch waren, so simpel war der Sachverhalt nicht. Unser Egoismus reichte so weit, dass wir alles, wirklich alles tun würden, um unsere Ziele zu erreichen. Vor allem wenn es um unsere eigenen Existenz oder das eigene Überleben gingeht. Wir waren wandlungs- und anpassungsfähige Wesen, es war so tief in unserem Unterbewusstsein verankert, dass wir es vielleicht nicht mal selbst merkten. In den modernen Zeit ging es da vor allem um unseren Charakter und unseren Geist; und wenn du dich einmal gewandelt hattest, ist es ein Leichtes, sich darin zu verlieren. Oft gab es auch kein Zurück mehr, die Wandlung, der wir uns selbst unterzogen haben, war nicht nur temporär.

Manchmal fragte ich mich, wie sehr ich mich selbst über die letzten Monate gewandelt hatte, und was der Auslöser dafür war. So viel hatte sich verändert; mein naiver, unschuldiger Blick auf die Welt war dem rationalen Gedankengut einer jungen Frau gewichen, die dabei war sich selbst aufzugeben. Zurückgeblieben war ein Wrack, das nachts von Albträumen heimgesucht wurde von zähnefletschenden Monstern, dem Gefühl, körperlich ausgeliefert zu sein. Tagsüber war es der Wahn, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. An jeder Ecke dachte ich, der Schatten, der dort lauerte, könnte sich mir beim Vorbeigehen in einer menschlicher Silhouette entgegenstellen, jedes Mal, wenn mein Handy vibrierte, blieb mein Herz kurz still stehen.

Doch von Dylan war keine Spur, die Nachrichten schienen bei Tageslicht sogar fast harmlos. Er würde mich niemals finden können, jetzt, da ich aus London weggezogen war.

„Wenn das mal nicht meine außerordentliche Projektpartnerin ist." Tyler Brown pfefferte seine Tasche mir gegenüber auf den Stuhl und grinste breit, in seiner Hand hielt er ein zerfleddertes Exemplar von Ovids Metamorphosen. „Bist du schon zu dem Part gekommen, an dessen Stelle man mystische Wesen wie Werwölfe mit der griechischen Antik vergleichen kann?"

„Was habt hier hier alle nur mit euren Wölfen?", entfuhr es mir im Flüsterton, doch mein Gegenüber lachte nur leise.

„Es ist dieser Ort, Lily", wisperte er verschwörerisch. „Er zieht alle möglichen Kreaturen mit Abgründen in der Seele an, ob menschlich oder tierisch. Du wirst schon sehen."

Unwillkürlich musste ich frösteln. „Du bist ein Idiot", stellte ich klar und gab ihm einen spielerischen Schlag auf die Schulter. „Wenn du mir allerdings Angst einjagen willst, braucht es mehr als Märchen über Menschen, die sich bei Vollmond in ein Tier verwandeln, es muss schon realistischer klingen."

„Na gut." Er hob kapitulierend die Hände. „Ich gebe zu, das war sehr naiv von mir. Lass uns lieber zu der realistischen Geschichte Ovids übergehen, in der Minerva Ariadne in eine Spinne verwandelt, um sie vor dem Tod zu bewahren."

„Du provozierst es aber auch echt", lachte ich und erntete einen weiteren bösen Blick des Mädchens am Nachbartisch, da meine Stimme etwas zu laut geworden war. „Die Metamorphosen sind genauso Märchen, das weiß doch jedes Kind. Außerdem war die Verwandlung keine Rettung. Sie war Bestrafung für ihre Hybris."

„Glaubst du, dass es nicht Rettung sein kann, von seiner Menschlichkeit befreit zu werden?", fragte Tyler nachdenklich. „Bevor du etwas sagst, denk mal darüber nach. Keine Emotionen, aber eben auch keine negativen. Du erreicht leichter einen Zustand, in dem du einfach nur eine zufriedene Existenz führst, ohne die Schatten deiner Gedanken. Ist das denn so verwerflich?"

Ich musste tatsächlich innehalten, als er seine Erklärung weiter ausgeführt hatte. In einer ganz nüchternen, makabren Betrachtungsweise wollte mein Verstand ihm Recht geben, so einleuchtend kam mir das Bedürfnis vor, diesen Schalter umlegen zu können. Diese verführerische Taubheit, die süße Leere, es gab Momente, in denen ich mir nichts mehr als das wünschte. „Also glaubst du an diese Art von Erlösung?"

„Ich weiß es", bestätigte er knapp, ging aber nicht weiter darauf ein. „Das wiederum ist der Unterschied zu Kafkas Verwandlung. Es ist eine temporäre Linderung, aber Erlösung gibt dem Protagonisten nur der Tod."

Ich schluckte. Es waren unzählige Aspekte, Auslegungsweisen, Winkel der Betrachtung, dazu kamen noch unsere subjektiven Meinungen.

„Tatsächlich wäre mein Vorschlag, dass wir aber die genaue Recherche auf heute Abend verschieben", schlug Tyler zu meiner Erleichterung vor. „Bei einem guten Vino lässt es sich besser denken. Und Gloria ist auch da, das wird bestimmt entspannt."

„Na klar, Alkohol verbessert die Hirnfunktionen", witzelte ich über seine Bemerkung, doch willigte danach ein. Seit der Party am Freitagabend hatte ich Gloria nicht mehr gesehen, da ich letztendlich ein Taxi gerufen und nach Hause gefahren war, ohne mich zu verabschieden. Das Wochenende über hatte ich mich in meinem Zimmer verschanzt, um den Kater auszukurieren und mit meinen Gedanken fertig zu werden, damit sie mich nicht mehr in schlaflosen Nächten übermannten. Ich machte mir Vorwürfe, mich bei meiner Freundin nicht gemeldet zu haben, doch heute Abend wäre die perfekte Gelegenheit sich zu entschuldigen.

Tyler und ich unterhielten uns noch über Belanglosigkeiten, bis ich mich verabschiedete, um vor der nächsten Schulstunde meine Bücher aus dem Spind zu holen. Eilig sammelte ich meine auf dem Tisch verstreuten Sachen ein, bevor ich mir meinen Weg an den erschlagend hohen Bücherregalen bis zur schweren Ausgangstür suchte, die ich mit dem Fuß aufstieß. Ein leicht kühler Wind wehte mir die Haare ins Gesicht, als ich über den Schulhof zum Hauptgebäude eilte, der süße Erfrischung an diesem warmen Spätsommertag lieferte. Es war einer der wenigen Nachmittage bis jetzt, an denen der Himmel nicht grau und wolkenverhangen war.

Beinahe widerstrebend betrat ich die kühlen Flure des Schulgebäudes und suchte die Nische, in der sich die Spinde befanden, außer mir waren die Korridore wie leergefegt. In der Stille hallte das Klicken des Schlosses zu laut an den Wänden wider, als ich die Zahlenkombination eintippte und das Fach öffnete. Noch im selben Moment ertönten von der linken Seite her Schritte und ein altbekanntes Kribbeln im Nacken kündigte die Anwesenheit von Will Black an. Unter meiner Haut sprühten Funken, ich hielt unwillkürlich den Atem an, als ich seine Stimme hörte.

„Hey, Lilian ..."

Ich riss mich mit aller Kraft zusammen und bemühte mich, meine Stimme möglichst neutral klingen zu lassen. „Was willst du?" Mit zusammengezogenen Augenbrauen starrte ich zu ihm hoch und begegnete seinen dunklen Augen. Er trat einen Schritt näher, hinter meinem Rücken spürte ich die kalte Tür meines Schließfachs.

„Was ich will?" Er grinste leicht, seine Stimme klang rau und dunkel. „Das weißt du genau. Ich will dich."

Ich hätte schwören können, dass mein Kreislauf für mehrere Sekunden aussetzte. Will stand dicht vor mir, völlig überrumpelt spürte ich mein Herz wild schlagen, das Kribbeln wurde immer stärker.

„Will", flüsterte ich atemlos. „Ich weiß nicht–"

Er stützte seine Hand neben meinem Kopf ab, seine Nähe brachte mich vollkommen um den Verstand. Vorsichtig strich er mit seinen Fingern an meiner Wange entlang und beugte sich vor. „Ich kriege dich nicht mehr aus dem Kopf, egal, wie stark ich es versuche. Und ich weiß ganz genau, dass es dir genauso geht", raunte er in mein Ohr. „Egal, wo wir sind, egal, was wir tun, wir werden immer zueinander hingezogen sein." Er hielt kurz inne, um mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. „Lass dich einfach fallen, Lilian."

„Das geht nicht so leicht, und das weißt du." Meine Kehle fühlte sich trocken an, so kratzig entglitten mir die Wörter.

„Was ich weiß, ist, dass du mich genauso willst wie ich dich", murmelte er mit seinen Lippen dicht an meiner Haut. „Du gehörst zu mir, nur zu mir. Wir gehören zusammen."

Du willst es doch selbst, wisperte der Teil von mir, der sich Will ohne wenn und aber am liebsten gleich in die Arme geworfen hätte. Und eben dieser Teil meines Bewusstseins hatte auch Recht; ich wollte Will, mehr als alles andere auf dieser Welt.

„Seit Freitag möchte ich nichts lieber, als das hier zu wiederholen", sprach er mein tiefstes Verlangen aus. „Nur du und ich, ohne den Alkohol."

In dem Augenblick, als unsere Lippen ohne Widerstand aufeinander trafen, schien die Luft zwischen uns vor Hitze zu brennen. Wie ein Feuer verbreitete sie sich auch in meinem Körper und verkohlte meine Zweifel und Ängste zu Asche. Mit flatternden Augenlidern genoss ich seine Berührungen, meine Haut auf seiner, seine Hände an meiner Hüfte.

Ich vergrub eine Hand in seinen weichen Haaren, während sich das kalte Metall des Schließfachs hinter mir an meinem Rücken durch den Stoff meines Oberteils bemerkbar machte, ich nahm es jedoch kaum wahr. Will zog mich näher an sich, keine Feder hätte mehr zwischen ihn und mich gepasst, wir hielten uns aneinander fest wie ein Stürzender an die letzte Kante der Schlucht, während unsere Zungen einen ungehemmten Tanz miteinander aufführten.

Auf einen Schlag wurde mir bewusst, dass es keinen Raum für Zweifel mehr gab, so deutlich konnte ich meine Gefühle einordnen. Die Bedeutung der Verbindung zwischen uns war mir fremd, aber ich wusste, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Vom einen auf den anderen Moment, in der winzigen Sekunde, als wir uns das erste Mal gesehen hatten.

Es war verrückt.

Wir küssten uns auf diesem menschenleeren Flur, und wir waren uns unglaublich nah. Bis wir schließlich merkten, dass wir gar nicht alleine waren.

„Sie an, sieh an", meinte Jackson Black, lässig an die Wand uns gegenüber gelehnt. Völlig außer Atem löste ich mich von seinem jüngeren Bruder, mit glühend roten Wangen, zerzausten Haaren und geschwollenen Lippen. „Und ich dachte schon, ihr schafft es nie."

Mich beschlich der Eindruck, dass Jackson wie Wills Schatten war, denn überall, wo einer der Brüder sich aufhielt, lungerte auch der andere herum. Meine Abneigung Jackson gegenüber hatte sich seit dem unglücklichen Aufeinandertreffen auf dem Schulgelände nicht verringert, und die derzeitige Situation kam dem ebenfalls nicht entgegen.

Wütend und wie ein Schutzschild verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Was geht dich das eigentlich an?" Es brachte mich in Rage, dass dieser Mann in meine Privatsphäre eindrang, doch noch schlimmer war dieses Gefühl der Wehrlosigkeit, der Bloßstellung, das ich unter seinem berechnendem eisgrauen Blick erfuhr. Er war der Gegenpol zu Wills Wärme, der Winter zu seinem Sommer.

„Oh, es geht mich in der Tat sehr viel an", entgegnete Jackson argwöhnisch und sah Will dabei herausfordernd an, der ihn mit eisigem Blick fixierte. Die beiden fochten ein stilles Duell unter sich aus, dessen Inhalt mir verwehrt wurde.

„Die Frage ist nur", meinte der Ältere der beiden dann nachdenklich, „ob du dich ihm immer noch hingeben würdest, wenn du die Wahrheit wüsstest."

„Was zum Teufel redest du da?", zischte ich zwischen zusammengepressten Zähnen.

Jackson lachte. „Es ist ganz einfach." Er trat auf mich zu, was mir gar nicht recht war. Zu deutlich spürte ich in Erinnerung noch den stechenden Schmerz meines Handgelenks, als er mich das letzte Mal gepackt hatte. „Mein Bruder hat dir nicht die Wahrheit gesagt. Diese Anziehung zwischen euch, diese Bindung – das ist keine Liebe." Er lachte verbittert, und mir wurde übel. Etwas an seinen Worten tat mehr weh als es tausend Messerstiche wären.

„Lass es mich dir kurz erklären", fuhr er unbeirrt fort und ich erkannte, dass es ihn deutlich amüsierte. "Wir träumten voneinander und sind davon erwacht, wir leben, um uns zu lieben und sinken zurück in die Nacht. Das ist ein schönes Gedicht, nicht wahr?"

Wie versteinert rührte ich mich nicht.

„Aber hat Will dir erzählt, wie es ausgeht? Zu was ihr bestimmt seid?" Herausfordernd funkelte er mich an.

„Will", flüsterte ich, konnte aber weder meinen Kopf abwenden, noch mich einfach umdrehen und wegrennen, wie ich es mir wünschte. „Warum sagst du nichts?"

Er schwieg weiter, im Gegensatz zu Jackson, der erbarmungslos weiterredete. „Ich habe es dir schon einmal gesagt, Lilian, euer Anfang ist das Ende. Mein Brüderchen hat dir einen wichtigen Teil dieses schönen Gedichtes, das euer Schicksal beschreibt, nämlich vorenthalten.

„Jackson, tu das nicht", warnte Will leise, doch es zeigte keine Wirkung. „Bitte."

„Es ist ganz einfach, Lilian." Jackson trat noch näher. „Du tratst aus meinem Traume, aus deinem trat ich hervor, wir sterben, wenn sich eines im andern ganz verlor. Weißt du jetzt, was ich meine?"

Ich schluckte.

Die Zeilen sprachen nicht mehr von Liebe. Es ging um etwas Düsteres, Finsteres; es ging um den Tod.


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